Politik

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Ein Bericht über 10 Monate Bundeswehr / Teil 4: Der offizielle Dienst

Meine neue Dienststelle sollte also Bonn sein. Damit hatte ich wirklich Glück gehabt. Denn im Bundesministerium der Verteidigung würde der Ton mit Sicherheit nicht so rau sein. Außerdem war ich nicht so weit von Leverkusen entfernt, sodass ich regelmäßig nach Hause fahren konnte. Doch im Zug selber von Dresden nach Bonn kamen wieder ähnliche Ängste wie am ersten Tag der AGA auf. Man saß allein in dem Zug nach Bonn und so viele Fragen kamen in einem auf: Was für Leute würde ich kennenlernen? Welche Aufgaben würden auf mich zukommen? Wie würde der Umgang mit den Vorgesetzten aussehen?

Wohin?

Doch zunächst einmal musste ich dort ankommen und dank der Deutschen Bahn kam ich natürlich auch gleich zu spät. Man sollte sich bis spätestens 16.00 an der neuen Dienststelle melden doch ich hatte durch Verspätung der DB meinen wichtigen Anschlusszug verpasst. Ich war erst um Punkt 16.00 Uhr am Bonner Hauptbahnhof. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie ich nun zur Kaserne kommen sollte. Man hatte uns nicht mit genügend Informationen versorgt. Also musste ich mir ein Taxi leisten. Da die Kaserne auch noch etwas weiter vom Bahnhof entfernt lag (Hardthöhe), wurde diese Fahrt noch ein teurer Spaß.
Da stand ich also nun vor der Wache an der Hardthöhe. Und die wussten auch nicht recht, wohin ich nun gehen musste. Sie erklärten mir nur, dass ich als Sani hier völlig falsch sei und nun bis ans andere Ende der Kaserne laufen sollte. Das schreckliche: ich hatte massig Gepäck dabei (noch von der Chorreise) und damit sollte ich jetzt noch Ewigkeiten umherlaufen. Doch was blieb mir anderes übrig. Also schnappte ich mir meine Sachen und ging los. Wie musste ich mich jetzt verhalten, wenn ein höherer Dienstgrad an mir vorbeilief? Was wurde von mir erwartet? Ich hatte von anderen gehört, dass man nach der AGA nicht mehr grüßen musste. Doch wer garantierte mir das?!
Durch Zufall fuhr mir schon nach wenigen Metern ein Kamerad von Sylt über den Weg, der zusammen mit mir versetzt worden war. Er hatte sich schon gemeldet und konnte mir meine Unterkunft zeigen. Die lag zum Glück gleich an der Wache, an der ich hineingekommen war. Also lud ich erst mal dort meine Sachen ab und meldete mich telefonisch an meiner neuen Dienststelle, die tatsächlich am anderen Ende der Kaserne lag. Man teilte mir mit, dass ich mich erst am nächsten Morgen vorstellen brauchte. In der Unterkunft wurde mir nun ein Zimmer zugeteilt.

Schock!

Und nun kam der Schock schlechthin. Die Bude, in die ich einziehen sollte war der letzte Saustall. Und in diesem Fall übertreibe ich kein bisschen, wenn ich sage: Es ähnelte einer Müllhalde. Ich wollte nur noch weg von hier. Zufällig war in dem gleichen Gebäude ein Schulfreund von mir untergebracht. Ich begegnete ihm auf dem Flur und klagte ihm mein Leid. Er baute mich auf und gleichzeitig kam ein weiterer Kamerad von Sylt an. Er hatte sich auch ein wenig verspätet. Doch jetzt waren wir zu zweit und geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid. Er war auch etwas optimistischer und sagte wir würden uns die Bude schon noch ordentlich einrichten. Die erste Nacht allerdings mussten wir im Dreck verbringen.
Am nächsten Morgen wanderten wir gemeinsam zu unserer neuen Dienststelle: dem Sanitätszentrum. Die Ausmaße der Kaserne waren natürlich völlig anders als in List. Die Hardthöhe ist schon fast eine eigene kleine Stadt. Dort angekommen, wurden wir zuerst von unserem neuen Spieß begrüßt. Es wurden allerhand formelle Dinge erledigt und dann wurden wir in der Kaserne herumgeführt. Das war natürlich alles sehr viel auf einmal. Man wusste gar nicht was nun wichtig war und man behalten musste. Dann wurden uns neue Dienststellen angeboten.
Wir drei von der Marine konnten zwischen drei Stellen wählen. Ich entschied mich für die Bettenstation, da ich gerne persönlich etwas mit Menschen zu tun haben wollte. Das auf dieser Bettenstation so gut wie nichts los war, konnte ich ja nicht ahnen. Aber die anderen Stellen hätten mir mit Sicherheit weniger Spaß gemacht. Am Ende dieser Einführung beschwerten wir uns bei unserem Spieß über den Zustand der Unterkunft. Er zeigte sich gleich sehr verständnisvoll und gab uns drei gleich den nächsten Tag frei, um unser Quartier auf Vordermann zu bringen.

Nicht nur sauber, sondern rein

Er versorgte uns mit Putzzeug und wünschte uns viel Glück. Da wir alle nicht mehr in diesem Dreckstall wohnen wollten, legten wir uns am nächsten Tag richtig ins Zeug, sodass am Ende die Bude richtig ansehnlich wirkte. Leider waren wir drei zunächst die einzigen aus dem San-Zentrum, die in der Kaserne übernachteten. Die anderen kamen alle aus Bonn und waren deshalb Heimschläfer. Überhaupt war in dieser Kaserne nach Dienstschluss (16.00) tote Hose. Die meisten der hier Beschäftigten kamen auch aus Bonn. So kam es leider auch erst nach etwas längerer Zeit zu festen Kontakten mit den übrigen Kameraden.
Die Abende nach Dienstschluss erwiesen sich deshalb schon ab der nächsten Woche als äußerst langweilig. Die Freizeitmöglichkeiten waren leider auch nur begrenzt. So waren der kaserneneigene Kraftraum wegen zu wenig Nachfrage und der Fernsehraum wegen Unsauberkeit geschlossen worden. Arbeitsgemeinschaften wie auf Sylt gab es überhaupt nicht. Spätere Versuche auf der eigenen Stube, durch Dart und Mikrowelle gemütliche Abende zu verbringen, sind auf Dauer fehlgeschlagen. In der Kaserne selber waren die Unterhaltungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Wenigstens kamen nach einem Monat noch weitere Soldaten auf die Nachbarstube hinzu, sodass man sich abends einfach mal zum Kartenspielen, Reden und Trinken zusammensetzen konnte.
Im großen und ganzen war das Leben auf dem Kasernengelände zu einsam. Daher fuhr ich zum Beispiel häufiger mit dem Auto nach Hause. Mit Bus und Bahn hätte es sich nicht gelohnt, da ich sonst 2 Stunden gebraucht hätte - mit dem Auto nur 45 Minuten. Kein Wunder, dass Autofahren immer noch so beliebt ist. Doch jeden Tag mit dem Auto nach Hause wäre auf Dauer zu teuer geworden. Deshalb gestaltete ich die Woche mit gemischten Ausflügen: Am Montag nach Bonn und ein wenig die Stadt kennenlernen, am Dienstag mit Kameraden auf der Stube feiern, am Mittwoch nach Hause und Freunde treffen, am Donnerstag nach Köln bummeln gehen und am Freitag sowieso wieder nach Hause und dort das Wochenende verbringen.
Außerdem freundete man sich während der Dienstzeit auch immer mehr mit den Heimschläfern an, sodass man sich auch mal in Bonn getroffen hat und gemeinsam einige Kneipen besuchte. Diese Kameradschaft wurde in diesem Quartal sogar so fest, dass am Ende meiner Dienstzeit ein gemeinsames Abschlussfest organisiert wurde. Unser Vorgesetzter erzählte uns, das so etwas schon seit Jahren nicht mehr zustande gekommen wäre.
Die Arbeiten im San-Zentrum waren ähnlich denen einer zivilen Arztpraxis. Auch das Verhalten den höheren Dienstgraden gegenüber war sehr locker geworden. Im Grunde wurden nur noch Generäle gegrüßt und antreten mussten wir nur noch einmal die Woche.
Man wurde also verschiedenen Aufgaben zugeteilt. Einige arbeiteten im Vorzimmer als Schreibkraft, andere halfen sortieren in der Apotheke. Ich bekam glücklicherweise viele Einblicke in das Sanitäterleben. Mein eigentlicher Arbeitsbereich, die Bettenstation, war eher schwach frequentiert. Meine Vorgesetzte, eine zivile Schwester, ließ mich deshalb oft auf anderen Stationen aushelfen. So durfte ich z.B.: auf der Dermatologie mit in den Behandlungsraum und bei kleinen Operationen dem Arzt zusehen und zum Ende hin auch helfen.
Weiterhin saß ich in der Dermatologie auch häufig im Vorzimmer und kümmerte mich um die Annahme sowie den Schriftverkehr von Patienten. Meine beste Zeit verbrachte ich jedoch auf der Inneren Medizin, leider nur 3 Wochen und dann nur noch zwischendurch als Aushilfe. Dort lernte ich so viel selbständiges Arbeiten wie selten während meiner BW-Zeit. Ich wurde in viele Geräte eingewiesen und wurde auch mit dem Aktenwesen vertraut gemacht. Am Ende durfte ich selbstständig EKGs anlegen und durchführen und bei Sonographien teilnehmen.
Zusätzlich erklärte der Arzt mir sehr viel, sodass ich fachlich am Ende wirklich viel mitnehmen konnte. Für spätere Medizinstudenten wäre dies mit Sicherheit ein interessanter Einblick gewesen, mit dem sie auch später noch einiges hätten anfangen können. Jeder brachte sich in seinem Job so gut ein wie er konnte, selbst wenn es nicht immer Spaß gemacht hat und einige auch manchmal Streit mit Vorgesetzten hatten. Das Quartal war wohl insgesamt sehr einsatzfreudig gewesen, da wir von unserem Disziplinarvorgesetzten offiziell gelobt wurden, die meisten erhielten eine Belobigung, und fast alle von uns wurden sogar noch zum Hauptgefreiten befördert (was gar nicht mal so selbstverständlich ist).

Und dann der Generalinspekteur

Der einzige Unterschied zum Zivildienst war, dass wir mit auf sogenannte San-Begleitungen mussten (durften), wo man oft interessante Erfahrungen machen konnte. So gingen einige mit auf Schießbegleitung und konnten dort zusätzliche Ausbildung an verschiedenen Feuerwaffen machen, meistens gingen auch nur die Leute mit, die auch Spaß an diesen Dingen hatten. Ich selber war nicht so hinter Schießübungen her. Ich wurde aber zum Glück zu besonderen Anlässen als San-Begleiter in einem Team ausgesucht. (Im Nachhinein glaube ich, dass ich das meiner schönen Matrosenuniform zu verdanken habe.) So war ich dreimal auf San-Begleitung an einem offiziellen Empfang tätig und einmal mit auf dem Truppenübungsplatz.
Das erste Mal durfte ich zum alljährlichen Treffen der Militärattachés aller Länder. Dieses Treffen war im Kasino auf der Hardthöhe, und ich sah viele interessante Menschen. Beim Buffet gesellte sich sogar der Generalinspekteur der Bundeswehr zu uns und unterhielt sich den Rest des Abends mit uns. Er ist ein sehr freundlicher und höflicher Mensch, dem sein Dienstgrad auch gar nicht so wichtig zu sein scheint. Man erkannte: Das ist doch auch nur ein Mensch. Wir haben dann sogar ein gemeinsames Foto gemacht, was nun als schöne Erinnerung an die Bundeswehrzeit im Fotoalbum klebt.
Das zweite Mal sollten wir bei der Verabschiedung einiger wichtiger BW-Angehöriger dabei sein. Diesmal gab es leider nicht so gutes und reichhaltiges Essen wie bei den Militärattachés, aber die Verabschiedung wurde durch das Bundeswehr-Orchester gestaltet, und dadurch hatten wir auch richtig gute Unterhaltung. Einige der Stücke kamen mir auch noch sehr bekannt vor: Aus meiner Zeit vom Chor.
Mit der letzten San-Begleitung hatte ich einen echten Glücksgriff gelandet. Es war zum Karnevalsempfang des Bundeskanzlers im ehemaligen Kanzleramt. Die Jecken aus dem gesamten Umland waren hier versammelt worden, um mit dem Kanzler zu feiern. Auch hier gab es wieder viel Musik und gutes Essen. Als humoristische Einlage war Bernd Stelter eingeladen, der sich auch gleich dazu bereit erklärte, mit den Bundis ein paar Fotos zu schießen. Er erzählte mir übrigens, dass auch er Wehrdienst geleistet hatte. Als sich der Kanzler um den offiziellen Teil gekümmert und sich zu einem Glas Bier zurückgezogen hatte, fragte unsere begleitende Ärztin doch tatsächlich, ob wir nicht ein Foto mit ihm machen könnten. Und gönnerisch sprach unser Kanzler: "Aber gerne doch. Mit der Bundeswehr zeige ich mich eh gerne!" Und so hatte ich an dem einen Tag gleich zwei weitere Bilder für mein Fotoalbum gesammelt.
Eine weitere Eigenheit der BW waren die GVD(Gefreiter vom Dienst)-Schichten. Das hieß für uns 24 Stunden über das San-Zentrum wachen und bei Bedarf ärztliche Versorgung (eigentlich nur in Notfällen) bereitstellen. Dabei hatte man mit einem höheren Dienstgrad zusammen Dienst, der hauptverantwortlich für die Überwachung war. Dabei lernte man auch die Unteroffiziere näher kennen. Meist gaben diese sich auch sehr freundlich, und in vielen Gesprächen baute man auch mit ihnen eine gute Beziehung auf.

Holger Stawitz

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