Politik

Bilanz ziehen

10 Monate Bundeswehr
Teil 2: Die Grundausbildung

Der große Tag X war gekommen. Das Abitur lag schon in weiter Ferne. Die Abschlussfeiern lagen einem in den Knochen (Ende Juni Abschlussfeten, Anfang Juli Einberufung).
Und wie sehr war uns allen der Abschied nahe gegangen. Wir dachten, wir sehen uns Ewigkeiten nicht mehr, war uns doch bewusst, dass ein sehr unbefangener Teil des Lebens nun vorbei war. Wir würden in alle Himmelsrichtungen zerstreut werden, und mich sollte es wohl nach Sylt verschlagen.
Wie viele haben mich beneidet, damals hätte ich gerne getauscht, da ich so unsicher war, was auf mich zukommen würde. Gerade der Moment, an dem ich am Bahnhof in den Zug gesetzt wurde, war am schlimmsten: Was für Leute werden dort mit mir sein? Was werden die Ausbilder von mir erwarten? Solche Gedanken werden wohl jedem Neuling bei der BW durch den Kopf schiessen.

Erste Kontakte

Doch es befinden sich noch mehr Jugendliche in dem Zug mit dem gleichen Ziel. Und das erkennt man. Nach langem Zögern und vielen scheuen Blicken traut man sich dann doch, jemanden anzusprechen, oder man gerät automatisch in ein Gespräch. Und man stellt fest: Genau das gleiche Schicksal, genau die gleichen Ängste. Man knüpft erste Kontakte und fühlt sich gut, nicht allein zu sein.
Bei der Ankunft in Sylt scheint es zunächst so, als wäre man in ein Jugendfreizeitcamp gefahren. Man darf in gemeinsamen Gruppen die Stadt Westerland erkunden. Dann, im Bus, auf der Fahrt zu unserer neuen Heimat, läuft Charts-Musik: Die Vengaboys. Die Stimmung ist ausgelassen. Wir fahren zu der Kaserne, dort erwartet uns eine große Schwimm- und Sporthalle und eine Außen-Volleyballanlage. So schlimm kann es also doch nicht sein.
Doch schon beim Aussteigen wird uns klar: Der Schein trügt: "Bewegung!", "Das geht auch schneller", "Stehen sie gerade". Das ist also die Bundeswehr. Doch genauso wie es im Fernsehen gezeigt wird oder wie man es aus Erzählungen kennt. Ein harter Umgangston. Wir werden nun in die große Turnhalle gedrängt. Man kommt sich vor wie Transportvieh.

Dumme Sprüche

In der Turnhalle: Registrieren der neuen Rekruten. Dabei zum ersten Mal: Stillstehen. Wer aufgerufen wird, hat sich an einer Linie vor dem Ausbilder aufzustellen. Wer sich nur ein bisschen schlecht anstellt, kriegt direkt einen dummen Spruch vom Ausbilder zu hören: "Warum stehen sie so nah? Wollen sie mich küssen?", "Können sie auch lauter. Ich kann sie nicht verstehen!". Jeder, der ohne eine Bemerkung davonkommt, ist froh.
Doch schon nach der Stubenzuteilung geht es besser. Man hat eine Menge Papierkram, aber auch viele neue Eindrücke hinter sich. Und dort lernt man also nun Leute kennen, sogenannte Kameraden, mit denen man die nächsten 3 Monate, auf engstem Raum, verbringen muß.
Doch die Stimmung ist angenehm. Man freundet sich sofort an, denn man weiß, man hat das gleiche Schicksal. Und bekanntlich ist geteiltes Leid halbes Leid. So ziehen wir gleich am ersten Abend gemeinsam über die BW her.

Kameradschaft

Und nun beginnt die tatsächliche Grundausbildung, auch AGA genannt. Wir werden mal wieder richtig getrimmt. D.h. viel Sport und zusätzliche körperliche Auslastung. Man bekommt oft zu hören, dass viele diese Belastung nicht aushalten, aber bei uns ist wirklich jeder durchgekommen. Auch unserer "Dickerchen" hat sich wirklich bemüht und hat sportlich echt klasse Leistungen gebracht. Und dafür hat er von jedem von uns Lob und Anerkennung bekommen. Auch hier zeigte sich wieder der Gemeinschaftsgeist.
In keiner ernsten Situation wurde wirklich über einen Kameraden gelacht. Natürlich wurden wir auch soldatisch eingekleidet. Zunächst mit unseren Sportanzügen (auch Schlumpftarn genannt wegen dem lustigen Blau [es lebe dem Dativ]), dann mit unseren Tagesanzügen (noch oliv, später Flecktarn) und natürlich den marinetypischen Matrosenanzug. Über letztere wurde viel gelacht untereinander, aber später erhielt man immer öfter ernst gemeintes Lob von jungen Damen!

Die 3 Monate Grundausbildung waren aufregend, anspruchsvoll, aber haben auch viel Spass gemacht.

Erste Hilfe

Aber nicht nur sportlich anspruchsvoll. Wir hatten auch viel theoretischen Unterricht als Sanitäter, und das im Bereich: Anatomie, Erste Hilfe, Krankenpflege und Schreibkraft. Ich habe noch nie so viele Tests in 3 Monaten geschrieben wie in dieser Zeit. Um einigermaßen gute Ergebnisse zu erreichen, haben wir uns dann abends gemeinsam hingesetzt und gelernt und uns gegenseitig abgefragt.
Aber auch praktisch wurden wir gut angelernt In den Bereichen Erste Hilfe, Krankenpflege oder Arzthelfer im OP, was sich später auch tatsächlich als nötig erwies. Somit haben wir auch etwas wirklich Sinnvolles in unserer AGA gelernt.
Natürlich wurden wir auch zum Soldat "erzogen", und dazu gehört natürlich auch Gehorsam, was sich im Formaldienst zeigt. Es wird gemeinsames Marschieren geübt, das Grüssen soll soldatisch sein, und der Anzug muss ordentlich sitzen.

Oft stellt man sich bei diesem Unterricht die Frage nach dem "Warum". Vor allem wenn man von einem vermeintlich "dummen" Ausbilder umhergescheucht wird. Doch das ist die Psychologie der Bundeswehr: Das Demonstrieren von Stärke durch gemeinsames Auftreten.
Gleichzeitig geht es um Sauberkeit, d.h. Stuben- und Revierreinigen und das lernen einige Jungen zum ersten Mal bei der BW, was ja gar nicht mal so unsinnig ist. Außerdem muss eine gewisse Ordnung herrschen, um das gemeinsame Leben auf engem Raum zu ermöglichen.
Zunächst erscheinen die Ausbilder überpenibel (das Bettenmachen war schon fast ein Fluch), aber das ist mit Absicht so überzogen, denn sobald die Regeln zu sehr gelockert werden, entgleitet die gesamte "Ordnung". Das fällt vor allem nach der AGA auf. Vor allem aber die Gemeinschaft wird wieder mal durch diesen Druck gestärkt.
Was auch zu dieser Ausbildung gehört, ist die Vorbereitung auf einen Verteidigungsfall. Das bedeutet im Grunde "Krieg spielen". Dabei fühlt man sich oft komisch aber dafür sind wir halt bei der BW und nicht im Zivildienst. Wie sinnvoll bzw. hilfreich (im tatsächlichen Kriegsfall) dieser Ausbildungsteil ist kann man schlecht beurteilen.
Es sind grundlegende Dinge, die man beherrschen sollte: Umgang mit Gewehr, Gewehr reinigen bis zum Erbrechen, Wache halten, ABC-Übungen (atomare, biologische und chemische Waffen) d.h.: Verhalten unter solchen Bedingungen (immer dabei: die berühmt-berüchtigte ABC-Maske). Solche Übungen im Felde forderten wirklich viel von uns Wehrpflichtigen. Obwohl man bis ans Ende seiner Kräfte gescheucht wurde, haben doch alle durchgehalten.

Der Sport selber brachte über die Zeit eine gute körperliche Fitness. Zwei Mal die Woche Laufen (mindestens 5 km) und einmal die Woche Mannschaftssport und natürlich die allmorgendlichen Liegestütze. Man spürte wirkliche Ergebnisse. Zugleich erlebte man beim Laufen Natur pur: So z.B. wir auf Sylt über die Deiche und durch die Dünen. Auch die körperlich Schwächeren wurden durch die anderen gepuscht und hielten durch.

Auch ein bißchen Theater

An den gemeinsamen Abenden lernte man sich immer besser kennen. Man konnte zusammen lernen, auf Partys gehen und natürlich auch "den Durst bekämpfen". Dabei ergaben sich Freundschaften, bei denen man sogar die Wochenenden zusammen verbrachte. Zum Schluss hin gesellten sich auch die Ausbilder zu uns, und man erkannte, dass sie genauso waren wie man selber. Zum Teil waren sie ja auch gerade mal 1 Jahr älter.

Einer von ihnen hat uns am Ende auch gestanden, dass die AGA ein bisschen "Theater" war. In der Truppe selber würde sich das Leben ziemlich ändern (Es war tatsächlich genau so!). Doch man hatte etwas Disziplin gelernt, und er sagte, es würde mit Sicherheit nicht schaden, sich davon ein wenig zu bewahren.

Die Höhepunkte der AGA waren zu Anfang verhasst, im Endeffekt aber eine Erfahrung, die ewig in Erinnerung bleibt. So zum Beispiel der Nachtmarsch: 20 km mit 20 kg Gepäck zu später Stunde über die Insel Sylt. Nach einem wirklich anstrengenden Tag und einer gemeinsamen Party fielen wir alle in die Kojen. Wir dachten, dass die Ausbilder uns an so einem Abend in Ruhe lassen würden. Weit gefehlt.
Nachts um 2 Uhr schrillten die Alarmglocken. Unser Nachtalarmstuhl (Kleidung und Ausrüstung) war natürlich nicht gepackt. Die Ausbilder rannten über die Flure und brüllten uns zu. Wir mussten uns schnellstmöglich anziehen und dann draussen sammeln. Dann wurden wir in Gruppen eingeteilt, mit Blinkern auf dem Helm versehen und los gings. Der erste Schreck war vergessen. Die Erschöpfung war im Geist und im Körper deutlich zu spüren. Doch alle kämpften, und als man dann doch morgens um 5.30 Uhr ankam, war man froh, durchgehalten zu haben.

Erlebnisreiche militärische Ausbildung

Die zweite Höchstbelastung und damit Höhepunkt war die EMA (erlebnisreiche militärische Ausbildung) beim Heer auch Biwak genannt. Das war 4 Tage Leben in der freien Natur mit einem abschließenden Orientierungsmarsch. Auch hier wieder der Marsch als Extrembelastung von Körper und Seele. Nach diesem Marsch sind einige auch zusammengebrochen, aber waren auch froh, durchgehalten zu haben.
Auf dem Biwak-Platz selber hatten wir tagsüber Stationsausbildung: z.B. am Krankenwagen (be- und entladen) oder an Krankentragen. Zudem auch wieder viel nützliches wie z.B. Überleben im Felde, aber auch medizinische Ausbildung wie Verbände anlegen und Rettungsgriffe richtig anwenden. Durch ständige Übung bekamen wir auch richtige Routine. Nachts hiess es dann Feuerwache. Wobei es vorkam, dass die Ausbilder einen Überfall simulierten. Dennoch kam abends immer wieder Lagerfeuerstimmung auf, sodass auch hier insgesamt eine sehr schöne Erinnerung bleibt.

Mit der EMA endet auch der Bericht von der AGA. Und damit ist auch schon der körperlich anspruchvollste und seelisch anstrengendste Teil vorbei. Der Rest der BW sollte einfacher werden, aber hat dafür auch nicht so viele mannigfaltige Eindrücke geben können.

Holger Stawitz

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