Politik

Bilanz ziehen

Ein Bericht über 10 Monate Bundeswehr

Teil I : Die Entscheidung

Jeder junge Mann in der Bundesrepublik Deutschland wird im Alter von etwa 18 Jahren aufgefordert, 10 Monate Wehrpflicht zu leisten und damit seinem Vaterland, in dem er leben und arbeiten kann, einen Dienst zu erweisen. Es geht dabei um die Wehrpflicht, die in unserem Land nun schon seit 1956 existiert, um das Land vor feindlichen Angriffen zu schützen.
Damals war der Auftrag noch präsent (Ost-West-konflikt). Heute scheint ein Verteidigungsfall unwahrscheinlicher und damit die Wehrpflicht zum Teil sinnlos. Doch die Aufgaben der Bundeswehr sind auch vielfältiger geworden. So geht es auch um die Sicherung des Weltfriedens in einer Zusammenarbeit als KFOR-Truppe auf dem Balkan. Außerdem muss man sich immer wieder klar machen, dass es radikale und auch aggressive Staaten gibt, die vor Angriffen nicht zurückschrecken. Eine moderne, aber auch zahlenmäßig starke Armee kann dabei eine wichtige Rolle als Abschreckung spielen.
Dieser Text soll aber nicht eine Debatte über die Wehrpflicht darstellen, sondern vielmehr ein Bericht über das Leben (ein mögliches) als Wehrpflichtiger sein. Damit soll den Jugendlichen, die in den nächsten Jahren vielleicht wieder vor die Frage gestellt werden "Wehrpflicht oder Zivildienst?" ein wenig die Angst vor der Armee genommen werden.

Vorurteile

Es herrschen leider allzu viele Vorurteile über die Bundeswehr: Die Soldaten dort sind dumm, aggressiv und unmenschlich. Sie werden mich (bzw. meinen Sohn, Freund, Enkel etc.) schlecht behandeln. Es werden 10 Monate Leiden sein. Das will ich mir nicht antun. Auch ich bin mit ähnlichen Vorurteilen an die Sache gegangen, doch dieser Bericht wird zeigen, dass es nicht nötig war. Ganz im Gegenteil...
Man erhält nun also diesen Brief vom Kreiswehrersatzamt und man spürt: Dort wartet schon ein neuer Lebensabschnitt auf mich. Nun muss man sich entscheiden: Kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, mit Waffen zu schießen? Bin ich meinem "Vaterland" einen solchen Dienst schuldig? Kann ich mich einem gewissen Drill aussetzen? Komme ich mit Befehl und Gehorsam zurecht?

Gewissensprüfung

Wer all diese Fragen mit einem klaren "Nein" beantworten kann ist bei der Bundeswehr mit Sicherheit falsch. Wer nur eine Frage mit "Nein" beantwortet oder ein wenig unsicher ist, für den wird es eine lange Zeit des Überlegens. Entscheidet man sich gegen den militärischen Dienst, gibt es in der Bundesrepublik einen sinnvollen Ersatzdienst: Den Zivildienst. Nur durch ihn kann das soziale Leben in Deutschland überhaupt noch laufen. Und in so fern ist auch die Entscheidung gegen den Wehrdienst zu respektieren. Man hilft Menschen direkt, und wer sich dabei besser fühlt, dem muss eine solche Möglichkeit gegeben werden. Er leistet damit auch für sein Land einen wichtigen Dienst.

Zur Musterung müssen noch alle. Die einen mit einem Verweigerungsschrieb in der Hand, die anderen, so wie ich, bereit, ihren zukünftigen Arbeitgeber zu inspizieren. Doch für alle ist dieser Tag aufregend. Allen Jugendlichen, die in den Gängen sitzen, sieht man eine gewisse Angespanntheit an. Ein erster Austausch findet statt: "Und willste verweigern?" Hier und da ein bereits Wehrpflichtiger, der Horrorgeschichten über die Grundausbildung berichtet (er selber will ausgemustert werden). Insgesamt hinterlässt der gesamte Apparat ein gemischtes Bild. Mal moderne Räume, mal heruntergekommen, mal freundliche nette Damen, mal schlecht gelaunte aggressive Männer.
Bei den letzteren geht natärlich sofort das Raunen durch den Raum: "typisch Bundeswehr", "ich werd' verweigern". Eigentlich schade.

Ein besonderer Tag

Doch schon hier werden dem Wehrdienstleistenden seine Aufgaben bewusst: Fragen über eventuelle Auslandseinsätze machen den Sinn der Bundeswehr deutlich. Man kann ungezwungen "Nein" sagen, man wird nicht gedrängt. Doch zumindest erhält man einen Einblick, was auf einen zukommen kann. Dann die eigenen Wünsche betreffend der Verwendung. Und es ist unglaublich, meine ersten Wünsche wurden doch tatsächlich erfüllt. Zur Marine (das Fernweh treibt mich) und Sanitäter (lieber Leben retten). Darüber war ich überrascht, aber auch sehr glücklich. Natürlich kommt es auch auf die eigenen Fähigkeiten, körperlich und geistig, an, welcher Verwendung man im Endeffekt zugeteilt wird. Wie im richtigen Berufsleben wird man Tests ausgesetzt, die der Bundeswehr die günstigste Verwendung angibt.

Insgesamt ein besonderer Tag, der aber schon bald durch den Schulalltag verdrängt worden war. Doch nach einiger Zeit der Schock, der das Leben nach der Schule wieder präsent werden ließ: Der Brief mit der Einberufung. Und dann noch schlimmer: Die Grundausbildung sollte in List auf Sylt ca. 600km von zu Hause sein. Da war kein Fernweh mehr, sondern der Wunsch nach Zivildienst. Doch jetzt hieß es, die Sache durchziehen. Immerhin würden viele Schulkameraden das gleiche Schicksal ziehen. Außerdem hatten es schon viele vor uns geschafft.

Holger Stawitz

Die Grundausbildung
Der Chor (Teil III)
Teil 4
Teil 5
Teil 6