Editorial

Wann ist man ein Mensch?

Gentechnologie und ihre Gefahren

Wenn der Anlass dieses Artikels kein so ernster wäre, dann könnte ich eigentlich eine Flasche Sekt aufmachen und feiern. Denn die Politeia-Redaktion hat Weitblick bewiesen und sich schon vor einiger Zeit an ein schwieriges Thema gewagt. Die Rede ist von der Gentechnologie, bereits im Februar haben wir uns damit beschäftigt und unsere Positionen dargelegt.
Aber leider ist es kein Anlass zum Feiern, beweist es doch, dass man in der Politik einmal wieder geschlafen hat und jetzt versucht, auf die Schnelle Nägel mit Köpfen zu machen. Eigentlich wäre ich auch froh über ein anderes Thema zu schreiben. Doch in eine Debatte, die oftmals mit den unpassendsten und perversesten Argumenten geführt wird, wie sie ich zuletzt im Zusammenhang mit den ewig Braunen gehört habe, die behaupten, im Dritten Reich habe es niemals Selektion und KZs gegeben, muss sich einfach jeder vernünftige Mensch einschalten.

Mensch?

Die zentrale Frage in der aktuellen Diskussion um die Gentechnologie lautet, auf den Punkt gebracht: Wann ist man ein Mensch und wann besitzt man folglich Menschenwürde? Eine Frage, die heute von vielen Politikern sehr oberflächlich und schnell beantwortet wird. Mit Antworten, voll von Pragmatismus und Charisma, jedoch ohne jegliche Ethik und Moral. Insbesondere die PID stellt jeden gesunden Menschen vor diese alles entscheidende Frage.
Die Präimplantationsdiagnostik ist ein Verfahren, das an dieser Stelle nur grob erklärt werden kann, da es sonst jeglichen Rahmen sprängen würde. Die PID (s. Politeia 208) ist eigentlich ein Instrument, welches Paaren helfen soll, deren Erbgut eventuelle Gendefekte aufweist. Es werden mehrere Eizellen der Frau mit den Samen des Mannes künstlich im Labor befruchtet. Diesen befruchteten Eizellen werden nach einer gewissen Reifungsphase Zellen entnommen, die auf Gendefekte untersucht werden. Findet man unter den Eizellen eine, die gesund ist, wird sie der Frau eingepflanzt und im Optimalfall ausgetragen. So weit so gut, also eine Chance für einige Menschen gesunde Kinder zu bekommen. Doch die Tatsache, dass die restlichen Embryonen vernichtet werden, kann keinesfalls hingenommen werden.

Nur ein Zellhaufen?

Hier setzen heute viele Politiker und Wissenschaftler mit dem Argument an, dieser wenige Tage bis Wochen alte Embryo sei lediglich ein unbedeutender Zellhaufen. Dabei muss man sich doch die Frage stellen: Haben diese Menschen zu Ende gedacht? Wohl kaum. Denn was entwickelt sich aus diesem Embryo? Die Antwort muss ohne jeden Zweifel lauten: Ein Mensch. Und wenn wir dieses zukünftige Individuum, mit einer Persönlichkeit, einem Bewußtsein und Gefühlen, nicht mit all unserer Macht unter den Schutz der Gesellschaft stellen, was ist dann noch erhaltenswert?
Es ist zwar verständlich, dass Paare, deren Erbgut Defekte aufweist und deren Kinder aller Voraussicht nach behindert sein werden, die PID als durchweg positiv auffassen. Aber zu welchem Preis wird ein solches gesundes Kinderglück erkauft? Es wird bezahlt mit dem Tod zahlreicher gesunder und kranker Embryonen, die man nicht implantiert und die wie ein defektes Spielzeug weggeworfen werden.
Zwar trifft Eltern mit behinderten Kindern oft ein schweres Schicksal, doch die meisten von ihnen bereuen die Geburt ihres Kindes dennoch nicht. Kein Mensch sollte das Recht haben, Leben zu selektieren, und gerade uns in Deutschland sollte dies bewusst sein. Man darf kein behindertes Leben bereits im Embryostadium vernichten, denn auch behindertes Leben ist lebens- und erhaltenswert und muss den gleichen Schutz genieszlig;en wie jeder gesunde Mensch. Die Selektion kranker Embryonen ist vielmehr ein Schlag in das Gesicht eines jeden Behinderten, mit dem man ihm sagt: Du bist nicht lebenswert! Und wenn Politiker und Wissenschaftler damit leben können, muss man sich fragen: Wo sind wir bereits jetzt angelangt?
Es war einmal, wird es in wenigen Jahrzehnten dann wohl heißen, eine Menschheit, in der nicht alle Menschen ein riesiges Lungenvolumen, blonde Haare, blaue Augen und einen perfekt ausgereiften Intellekt hatten. Denn in naher Zukunft wird es wohl auch möglich sein, mit Hilfe der PID einen Embryo auszuwählen, der die gewünschten Merkmale aufweist, und sollte kein solcher vorhanden sein wird er halt genetisch "überarbeitet".
Wie gesagt, eine Horrorvision, da durch ihre Realisierung unendlich viele Menschen im Embryostadium getötet würden. Deshalb müssen wir an die Sache mit der Sichtweise gehen, dass der Mensch keinesfalls alles machen darf, was er kann.
Und wenn sich Politiker heute als Verteidiger der PID aufspielen und ihre scheinbar so humane Seite zeigen, dann kann man ihnen guten Gewissens vorwerfen, un-menschlich oder dumm zu sein. Denn wenn die Euthanasie erst einmal gang und gäbe ist und die PID die Regel, dann ist eine solche Gesellschaft keinesfalls mehr lebenswert, und wir müssen uns dann nicht mehr die Frage stellen, wann man ein Mensch ist, sondern ob wir uns noch länger Menschen nennen dürfen.

Billige Ersatzteile

Ein genauso verachtungswürdiges Verfahren ist das therapeutische Klonen. Hier werden einem z.B. Nierenkranken Zellen entnommen, mit deren Hilfe, vereinfacht gesagt, ein Klon hergestellt wird. Ist dieser Klon zum Embryo gereift, werden ihm die sogenannten Stammzellen entnommen, mit deren Hilfe sich eine neue Niere züchten lässt, die ohne Abstoßungsgefahr dem Patienten verpflanzt werden kann, da sie ja aus seiner Erbmasse hergestellt wurde (genauere Infos zum Verfahren Politeia 208). Doch auch hier gilt das gleiche Prinzip: Ein Mensch zieht einen Nutzen aus der Sache, ein anderer stirbt, denn der Embryo wird nach der Entnahme vernichtet.

Auslagerung

Bei diesem Wort schlägt das Herz eines jeden Menschen höher, der für seinen Betrieb eine Kostenersparnis herbeiführen möchte, und genauso pragmatisch und kalkulierend wird von einigen Politikern das ganze Problem betrachtet. Allen voran unser cleverer Landesvater, der einfach Stammzellen aus Israel importieren möchte und somit glaubt, das Embryonenschutzgesetz zu umgehen und auch in keine ethische Zwickmühle zu geraten, denn wir in NRW haben ja keine Embryonen vernichtet, wir arbeiten lediglich mit lebenswichtigen Teilen von ihnen.
Ein Lösungsansatz, der generell fragwürdig und negativ zu bewerten ist. Denn wer sich in einer essentiellen Frage des Menschseins darum sorgt, dass der Standort Deutschland bei PID und Co. ins Hintertreffen geraten könnte oder dass man doch mit der Kommerzialisierung dieser Verfahren Arbeitsplätze schaffen kann, der verwirkt jegliches Recht darauf, in einem Parlament zu sitzen. Schließlich ist ein Abgeordneter im Bundes- oder Landtag doch nur seinem eigenen Gewissen verpflichtet, doch muss man Menschen wie Clement ein Gewissen beinahe absprechen, was ich an dieser Stelle allerdings nicht tun möchte.

Am Scheideweg

Aber man sollte eine solche Debatte nicht nur mit Zahlen und Fakten führen, sondern vielmehr auf eine ethische Weise, denn Moral, Werte und Ethik lassen sich auf keiner Skala ablesen. Am Ende dieser Diskussion in Deutschland wird man wissen, welcher Weg gegangen wird. Aber man wird ebenso wissen, was aus unserer Gesellschaft in den letzten Jahren geworden ist, ob wir blind in neue Verfahren und Technologien vertrauen, ohne deren Folgen auch nur ansatzweise abschätzen zu können oder nicht. Argumente wie "Es wird schon nichts passieren" und "Dieses Verfahren ist fehlerfrei" sollten doch wohl kaum unser Gewissen beruhigen, seitdem mit dem Mythos von unsinkbaren Schiffen bereits 1912 aufgeräumt wurde.

Bis wir am vorläufigen Ende dieser Debatte angelangt sind, sollte es jedem vernünftigen Menschen gehen wie Heine, der, zugegebenermaßen vor einem anderen Hintergrund, 1843 in einem Gedicht schrieb: "Denk ich an Deutschland in der Nacht / Dann bin ich um den Schlaf gebracht."

M.P.