Satire

Kalif anstelle des Kalifen

Oder: Warum Helmut Kohl noch mal antreten wird

Bonn, Kanzleramt. Weit nach Mitternacht. Das Bundeskabinett sucht immer noch verzweifelt nach dem Inhalt eines 56-Milliarden-Lochs im nächsten Bundeshaushalt. Die Nerven liegen blank. Selbst gute Freunde keifen sich an. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl starrt gedankenverloren auf eine riesige Gyros-Portion mit Fritten.

Bohl (zu Waigel): Neun Nullen, Theo! Eine Milliarde hat neun Nullen, du Null! Kauf' dir doch endlich mal einen Taschenrechner mit genügend Stellen!
Blüm: Genau, denk' doch an die soziale Verantwortung! Sonst müssen die Rentner bald ihr Gebiß auf dem Flohmarkt kaufen!
Rühe: Wenn du mit dem Geld besser umgehen könntest, müßten meine Soldaten nicht ins Deutsche Museum nach München trampen, um wenigstens einmal während ihres Wehrdienstes einen Panzer zu sehen, der nicht älter als 30 Jahre ist!
Seehofer: Doch nur wegen deiner blöden Spielzeugtruppe fehlt uns das Geld! Schick' sie lieber zum Blutspenden, dann tun sie wenigstens einmal was Sinnvolles.
Kohl (mehr zu sich selbst): Ich werde bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten ...
Waigel (ihn unterbrechend, in Richtung Blüm und Bohl): Ja Kruzitürken noch eins! Ich hab' dir doch damals gesagt, daß die Rentenreform nicht mit 50 Milliarden aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden kann. Aber wer will nicht hören? Unser oberster Sozialklempner! (giftig zu Rüttgers, der nervös an der allwissenden Kristallkugel herumfingert) Und wenn unser Zukunftsminister sein Geld auch nur annähernd wert wäre, hätte er uns ja wenigstens einmal warnen können!
Rüttgers (mit belegter Stimme): Ich sehe große Veränderungen ...
Kohl (unterbricht ihn brüllend, jedes einzelne Wort betonend): Ich - trete - nicht - mehr - an!!!
Plötzliche Stille. Rühe erbleicht. Blüm ist fassungslos. Waigel grinst. Bohl tritt kalter Schweiß auf die Stirn.

Bohl (mit brüchiger Stimme): Helmut, der erste April ist doch vorbei.
Kohl: Ich bin diesen Kindergarten hier leid. Sogar die Pizza [vgl. Politeia 167] hat man mir gestrichen. (Springt auf und geht erregt hin und her) Soll doch einer von euch den Job übernehmen. Du zum Beispiel, Theo. Oder Schäuble. Oder meinetwegen auch unser Jürgen.
Rüttgers (entgeistert): Ich?

Läßt vor Schreck die Kristallkugel fallen, die genau unter Helmut Kohls Schuhsohlen, Größe 48, rollt. Der Kanzler stürzt, schlägt dabei hart mit dem Hinterkopf auf ein Modell des SchürmannBaus und bleibt regungslos liegen.

In einer anderen Zeit, in einer anderen Welt...

Bonn, Kanzleramt. Weit nach Mitternacht. Das Bundeskabinett sucht immer noch verzweifelt nach dem Inhalt eines 1,5-Billionen-Mark-Lochs im nächsten Bundeshaushalt. Die Nerven liegen blank. Selbst gute Freunde keifen sich an. Bundeskanzler Dr. h.c. Josef (Joschka) Fischer starrt gedankenverloren auf einen riesigen Tofu-Burger.


Innenminister Rudolf Scharping (zu Trittin): Zwölf Nullen, Jürgen! Eine Billion hat zwölf Nullen, du Null! Schaff dir doch endlich einen biologisch abbaubaren, unlackierten und garantiert nicht aus Tropenholz bestehenden Rechenschieber an!
Finanzminister Jürgen TrittIn (gelassen): Ach, zwölf? Man verliert so leicht den Überblick. Aber wenigstens sind wir diese abstoßenden Computer aus Aluminium und PVC los. Da müssen eben Opfer gebracht werden. Und der Polizeieinsatz in Gorleben war eben etwas teurer als erwartet.
Scharping: Ach? Wieso?
TrittIn: Nun, der schwarze Block, bestehend aus Junger Union, Alt-CDU-Mitgliedern und etwa 500.000 ortsansässigen Landwirten und Landwirtinnen, hat sich im Endlager mit fast der Hälfte der deutschen Bull- äh, Polizei geprügelt.
Minister für ökologisches Bauen Michael Vesper: Es wäre ja auch nicht nötig gewesen, gleich alle Kernkraftwerke auf einen Schlag dichtzumachen und den Müll nach Gorleben zu schicken. Man hätte das doch auf zwei Jahre strecken können.
Bundeskanzler Joschka Fischer: Verräter! Aber warum sind die Leute dort unten so sauer? Sie wollten doch immer raus aus der Kernenergie. Jetzt sind wir raus. Markus?
Geheimdienstkoordinator Markus Wolf: Nach den Berichten unserer Informellen Mitarbeiter herrscht gerade in Niedersachsen immer noch eine gewisse Verstimmung über die Umwidmung der Volkswagen-Werke in ökologisches Volkseigentum und die Verhaftung des Separatistenführers Gerhard Schröder.
Minister für Justiz und Landwirtschaft Gregor Gysi (amüsiert): Ach ja, ich erinnere mich. Eigentlich fast ein tragischer Fall. War der nicht mal in deiner Partei, Oskar?
Aussenminister Oskar Lafontaine (peinlich berührt): Nun ja. Aber er war immer ein Außenseiter. Mit seinem Autotick ging er allen auf die Nerven. Er hat nie begriffen, daß die Zeit der stinkenden Benzinkutschen vorbei ist. Immerhin war er aber ziemlich erfolgreich. Er -
TrittIn: Ja, bis wir endlich, was längst überfällig war, den ADAC zur kriminellen Vereinigung erklärt und den Mitgliedern das Wahlrecht entzogen haben.
Scharping: Aber Jürgen, man sollte nicht vergessen, daß die Autofahrer (Vesper spuckt angewidert) durch vielfache Formen der Besteuerung damals einen großen Teil zur Finanzierung des Haushaltes beigetragen haben!
Fischer: Ach nee! Sollen wir jetzt das Autofahren wieder erlauben, nur weil es Steuern bringt?
Lafontaine: Warum nicht? Denn seitdem wir wegen der Atompolitik die Beziehungen zu Frankreich abgebrochen haben, trinken die Leute weniger Alkohol und zahlen weniger Steuern darauf. Aber alternativ sollten wir endlich Haschisch, Heroin und Kokain besteuern. Seit der Freigabe aller Drogen hat sich der Konsum fast vertausendfacht. Das wäre eine wirklich stetige, sprudelnde Einnahmequelle.
TrittIn (verärgert): Ich darf die Herren Lafontaine und Scharping doch mal ganz vorsichtig daran erinnern, daß wir immerhin 40% geholt haben und ihr nur in in der Regierung sitzt, weil wir die Fünf-Prozent-Hürde abgeschafft haben. Die Regierung Kohl hat damals eine faschistoid-autoritäre Drogenpolitik getrieben. Wollt ihr wieder dahin zurück? Wollt ihr Millionen von Junkies ausgrenzen?
Fischer: Bitte keinen Streit. Dadurch füllen wir keine Haushaltslöcher.
Lafontaine: Wenn wenigstens Bayern noch beim Bund wäre! Können wir die eigentlich nicht zurückholen?
Fischer: Nicht schon wieder diese Diskussion! Seien wir doch froh, daß sie weg sind. Außerdem: Wie sollen wir das machen? Erstens bin ich mit wenigen Ausnahmen für strikte Gewaltfreiheit, und zweitens wird die bayerische Polizei mit den paar Zivildienstverweigerern, aus denen die Bundeswehr noch besteht, spielend fertig.
Vesper: Außerdem: Was bringt uns Bayern? Rüstungsindustrie! Bah! Autofabriken! Bah! Kernkraftwerke! Bah! Kruzifixe in den Schulen!
Alle: Bah!
Gleichstellungsministerin Bärbel Höhn: Wenn wir Schröder nicht damals eingebuchtet hätten, wäre Niedersachsen vielleicht auch abgesprungen. (sinnend) Wollte der nicht mal - vor vielen Jahren - Kanzler werden? Wie war das eigentlich?
Fischer: Das war, als der Dicke plötzlich und unerwartet aus einer Kabinettsitzung verschwand und Theo Waigel neuer Bundeskanzler wurde, den wir später in der Bundestagswahl geschlagen haben.
TrittIn: Was ist dem Dicken eigentlich damals passiert? Weiß das einer?
Wolf: Nein. (Anerkennend) Wer auch immer Kohl beiseite geschafft hat - das war wirklich ein absolut sauberer Profi-Job.
Fischer (grinst): Dann weiß ich mehr als du.
Alle (überrascht): Erzähl!
Fischer: Ich hab's von Waigel persönlich, der es mir während eines Empfangs für das Dalai Lama -
Lafontaine: Den!
Fischer: - erzählte, als er schon mächtig getankt hatte. Kohl ist während einer Kabinettsitzung schwer gestürzt. Er war bewußtlos, hatte aber sonst nichts Ernstes. Waigel hat sofort ein paar vertrauenswürdige Grenzschutzbeamte angerufen, die ihn in eine psychiatrische Klinik in Rußland brachten, in der bereits der frühere russische Präsident Boris Jelzin saß, nachdem er von den Kommunisten abgesetzt worden war. Angeblich kommen die beiden blendend miteinander aus und machen jeden Tag miteinander Weltpolitik. (Wehmütig) Irgendwie mochte ich den Dicken ....
Alles verschwimmt. Das Kabinett verwandelt sich in ein abstraktes Gemälde und danach in grauenhaft stechende Kopfschmerzen.
Kohl (benommen, mit einem Eisbeutel auf der Stirn): Wo bin ich? (Sieht Waigel mit dem Hörer in der Hand) Finger weg vom Telefon, Theo!
Waigel (erschrocken): Aber ich wollte doch nur den Notarzt -
Kohl (dessen robuste Natur sich durchsetzt): Brauche ich nicht. Das ist nur eine Beule. Übrigens: Ich werde wieder antreten. (Winkt aufkeimende Gratulation ab; Richtung Waigel) Nichts ist mit russischen Anstalten! Da guckst du dumm, wie?
Bohl: Äh, Helmut, wenn du noch etwas Erholung -
Kohl: O nein. An die Arbeit. Schließlich müssen wir noch 1,5 Billionen Mark zusammenkratzen. Und damit ihr's wißt: Niemand wird Kalif anstelle des Kalifen!

Erläuterungen

Helmut Kohl (CDU) ist Kalif.
Friedrich Bohl (CDU) ist Bundesminister und Chef des Kanzleramtes.
Volker Rühe (CDU) ist Bundesverteidigungsminister.
Norbert Blüm(CDU) ist Bundesarbeitsminister.
Theo Waigel (CSU) ist Bundesfinanzminister.
Horst Seehofer (CSU) ist Bundesgesundheitsminister.
Jürgen Rüttgers (CDU) ist Zukunftsminister und Beschwörer der allwissenden Kristallkugel.
Joschka Fischer (Grüne) ist Fraktionssprecher der Grünen im Bundestag.
Jürgen Trittin (Grüne) ist Vorstandssprecher der Grünen.
Markus Wolf (006) war Chef der Hauptabteilung Aufklärung der Stasi.
Michael Vesper (Grüne) ist Bauminister in NRW.
Bärbel Höhn (Grüne) ist Umweltministerin in NRW.
Rudolf Scharping (SPD) ist derzeit Chef der SPD-Bundestagsfraktion.
Oskar Lafontaine (SPD) ist Chef selbiger und halbtags Ministerpräsident des Saarlandes.
Gerhard Schröder (VW) ist dort Aufsichtsrat und außerdem SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen.
Gregor Gysi (PDS), gelernter DDR-Jurist, Viehzüchter und IM, ist Chef der PDS-Gruppe im Bundestag.

G.D. / MiWi