Sport

Der Terrier als Champion

Kleiner Nachtrag zur Fußball-EM

Berti Vogts ist plötzlich der Größte. Langjährige Kritiker, Journalisten und Trainer, bescheinigen ihm nach der gewonnenen Europameisterschaft enorme Lernfähigkeit. Er habe sich seit der verkorksten Weltmeisterschaft 1994 gewaltig geändert. Wie diese Änderung nun genau aussieht, wird allerdings nie so genau beschrieben.
Das ist auch nur schwer möglich, weil es sie gar nicht gegeben hat. Vogts war auch während der Europameisterschaft genauso fleißig, dünnhäutig und ohne jeden Sinn für öffentliche Auftritte wie vor zwei Jahren. Grundregeln für öffentliche Äußerungen, die jedem Provinzpolitiker in seinem ersten Rhetorikseminar eingetrichtert werden, ignoriert der "Terrier" weiterhin, so etwa das strikte Verbot, sarkastisch oder ironisch zu werden.
Doch in Deutschland zählt eben der Erfolg. Vergessen wird etwa, daß die Mannschaft 1994 gar nicht so schlecht war und vielleicht sogar ins Finale gekommen wäre, wenn nicht gerade Thomas Häßler gegen Bulgarien zum Kopfballduell mit dem ca. 30 cm größeren Letschkow angetreten wäre. Möglicherweise wäre die damalige Vogts-Truppe sogar die einzige gewesen, die Brasilien ernsthaft außerhalb eines Elfmeterschießens hätte gefährden können. Statt dessen begingen Brasilien und Italien mit perfekter Taktik und Angst vor der eigenen Courage Mord am Fußball.
Vergessen wird auch, daß man als Bundestrainer gar keine so furchtbar außergewöhnlichen Fähigkeiten braucht. Selbst Beckenbauer hatte bis zur WM 1990 kaum zählbare Erfolge: 1986 kam man zwar ins Finale, weil Toni Schumacher gegen Mexiko praktisch alle Elfmeter hielt und im Halbfinale die überlegenen Franzosen ausgekontert wurden. Aber im Endspiel hatten Rummenigge, Völler & Co. so viel Angst vor Maradona, daß man die anderen argentinischen Feldspieler vergaß, die daraufhin die Tore zum verdienten 3:2-Sieg machten. Und 1988 scheiterte man im eigenen Land im EM-Halbfinale an den Niederlanden.
1990 zeigte Deutschland "nur" in der Vorrunde und im Achtelfinale gegen Holland wirklich guten Fußball. Ab dem Viertelfinale schoß die Beckenbauer-Truppe kein einziges herausgespieltes Tor mehr: Die Tschechoslowakei wurde via Elfmeter besiegt, gegen England verwandelte Brehme einen Freistoß (bevor das Elfmeterschießen entschied), und das Finale gegen Argentinien gewann die (zugegeben hochüberlegene) deutsche Mannschaft dank einer Schwalbe von Rudi Völler.

1990: Kein strahlendes Beispiel

Natürlich ist es völlig in Ordnung, so Weltmeister zu werden. Aber als alles überstrahlendes Beispiel taugt die WM 1990 eigentlich nicht, ebensowenig wie die EM 1992 als Paradebeispiel für Unfähigkeit.
Es ist gut möglich, daß Deutschland zum letzten Mal für lange Zeit einen großen Titel geholt hat. Nicht etwa, weil wir schlechter werden, nicht einmal, weil die anderen besser geworden sind, sondern einfach deswegen, weil Brasilien, Argentinien und Italien bei jeder WM das Zeug zum Titelgewinn haben (und Frankreich, England oder Nigeria dazustoßen könnten). Der Zufall könnte auch einmal gegen Deutschland sein, so wie er in den 80ern eher mit die Mannschaft war.
Der Terrier sollte daher nicht selbstzufrieden werden. Eine Niederlage - und der "neue Berti" ist wieder der alte Buhmann. Der Ball ist bekanntlich rund.

G.D.