Leverkusen

AWL und kein Ende

"Kein Deal"

Zum Editorial der letzten Ausgabe, in dem wir eine große Wahrscheinlichkeit für eine Übernahme der Abfallwirtschaftsgesellschaft Leverkusen (AWL) durch die Energieversorgung Leverkusen (EVL) unterstellten, weil damit sowohl der Stadt als auch dem anderen 50%-Aktionär der EVL, der RWE, gedient sei, erhielten wir ein heftiges Dementi von CDU-Kreisgeschäftsführer Hans Gert Lelickens, der auch AWL-Aufsichtsratsvorsitzender ist. Der wichtigste Teil lautet:
"Ich bitte Sie dringend darum, zur Kenntnis zu nehmen und spätestens in der nächsten POLITEIA richtigzustellen: Es gibt keinen Deal zwischen SPD, CDU, EVL, RWE und der Stadt zu dem von Ihnen angeschriebenen Thema. Folgerichtig kann ich einen solchen Deal auch nicht für richtig halten."
Keine Frage, wir begrüßen dies heftig. (Wobei zu betonen ist, daß wir in einer Zustimmung zu einem solchen "Deal" kein unehrenhaftes, sondern ein politisch falsches Verhalten sehen.)
Doch die Zukunft der AWL bleibt im dunkeln. Oberbürgermeister Dr. Mende (SPD) befürwortet weiterhin den Einstieg der RWE AG bei der AWL. Die EVL-Lösung wäre ja nur dann "sinnvoll", wenn der RWE aus kartellrechtlichen Gründen die Direktbeteiligung verwehrt wäre. Letzteres ist keineswegs unwahrscheinlich. Lassen wir uns also überraschen! Und etwas schriftlich zu haben ist immer nützlich.

Einspruch

Das Landgericht Köln hat der Klage des ehemaligen AWL-Chefs Welzenberg gegen seine Kündigung stattgegeben. Der Rat hat daraufhin beschlossen, in die Berufung zu gehen. Die Verwaltung begründete dieses Vorgehen mit formalen Gründen: Man brauche freie Hand, um nach der Zustellung der Urteilsbegründung, ab der die Einspruchsfrist läuft, eventuell handeln zu können. Ob es tatsächlich zur Berufung komme, sei nicht sicher.
Das Rechtsamt der Stadt beurteilte die Chancen der AWL, basierend auf der inoffiziellen Landgerichts-Pressemitteilung, pflichtgemäß positiv.
Bernd Welzenbergs Stellung ist dennoch gestärkt. Er hat in den Verhandlungen mit der Stadt jetzt bessere Karten. Schätzungen gehen von einer Abfindungssumme aus, die den bis zum eigentlichen Vertragsende noch ausstehenden Gehaltszahlungen entspräche, was in den siebenstelligen Bereich gehen kann. Zudem droht Welzenberg mit einer Schadenersatzklage gegen die AWL.
Vieles ist natürlich Poker. Auch vor der Landgerichtsverhandlung wurden öffentlich Welzenberg kaum Chancen eingeräumt. Wenn er auch die Berufung gewinnt, wird die Sache für die AWL und also für die Leverkusener Gebührenzahler richtig teuer.
Oberbürgermeister Mende, einer der Drahtzieher bei Welzenbergs Sturz, muß sich dreierlei klarmachen: 1. Er hat Bockmist gebaut. 2. Er sollte nur mit eigenem Geld pokern (nicht mit dem der Gebührenzahler). 3. Er sollte auch pokern können.

"Führungskräfte nehmen Stellung"

In einer viertelseitigen Anzeige in der Rheinischen Post (andere waren wohl zur Veröffentlichung nicht bereit) legen 16 Führungskräfte der AWL noch einmal ihren Standpunkt dar. Dabei wird Ex-AWL-Geschäftsführer Welzenberg wie gehabt als Täter mit "sozialer Inkompetenz und Großmannssucht" bezeichnet. Wäre ihm nicht gekündigt worden, hätte dies zu einer "Massenkündigung und zu einer Rückkehrwelle zur Stadt Leverkusen geführt".
Ferner wird die "gestiegene" Geschlossenheit der AWL-Belegschaft beschworen, Welzenbergs diktatorischer Führungsstil beklagt, der leider wegen Fristablauf nicht mehr als Kündigungsgrund in Frage gekommen sei, und in diesem Zusammenhang Oberbürgermeister Mende und AWL-Aufsichtsratsvorsitzender Lelickens ein Freibrief ausgestellt.
Unfreiwillig haben die Autoren dieses Machwerkes jedermann den privilegierten Status vieler AWL-Mitarbeiter verdeutlicht. Mit ihrem Rückkehrrecht zur Stadt halten sie (bei riesigen Haushaltslöchern) eine hervorragende Erpressungsmöglichkeit in der Hand. Sie riskieren praktisch nichts. Es ist ausgeschlossen, daß beispielsweise Führungskräfte der Bayer AG per polemischer Zeitungsanzeige zur Kündigung ihres Vorgesetzten Stellung nehmen.
Das macht klar: Hier geht es um Politik. Und das wiederum läßt die Beteuerung der "Führungskräfte", Welzenbergs Kündigung habe nichts mit einer möglichen RWE-Beteiligung an der AWL zu tun, nicht glaubwürdig erscheinen. Vielleicht ist ja auch die Idee zu dieser Anzeige nicht auf dem Mist der Unterzeichner gewachsen.
Man hat den Eindruck, daß die verschiedenen Legenden in dem Fall längst ein Eigenleben entfaltet haben und ihre Erfinder inzwischen selbst an sie glauben, ob sie nun Mende, Otto, Schoofs oder Welzenberg heißen.
Was die "gestiegene" Geschlossenheit angeht: Sind "Führungskräfte" überhaupt tragbar, die von der Öffentlichkeit und erst recht von der AWL-Belegschaft das Bekenntnis zu ihrer Version verlangen? Was geschieht eigentlich mit jenen (offenbar wenigen) AWL-Mitarbeitern, die sich der "gestiegenen" Geschlossenheit entziehen? Man denke nur an Mobbing oder Bossing! Ist nicht ein solches Verhalten von "Führungskräften" ein klarer Fall von sozialer Inkompetenz?

Rücktritt

SPD-Ratsherr Hans-Erich Hofmann (SPD) und sein Stellvertreter Rohleder (Grüne) haben ihre AWL-Aufsichtsratsmandate niedergelegt. Hofmann kritisierte die mit acht zu eins Stimmen getroffene Empfehlung des Gremiums, im Welzenberg-Verfahren in die Berufung zu gehen, und empfahl eine schnelle außergerichtliche Einigung. Rohleder kritisierte die mangelnde Aufsicht des Aufsichtsrates. Ein Interview mit Hofmann ist auf den nächsten Seiten zu finden.

IHK Köln fordert mehr Wettbewerb

Die Industrie- und Handelskammer Köln hat drastisch steigende Müllgebühren in ihrem Kammerbezirk beklagt. Mit 195,92 DM pro Einwohner liegt Leverkusen in der Spitzengruppe, die Steigerungsrate von 518% in zehn Jahren ist sogar nach der Leichlingens die zweithöchste.
Generell fordert die IHK mehr Wettbewerb zwischen den Entsorgungsunternehmen. Der Zwang, den Müll an ein monopolistisches Entsorgungsunternehmen abzugeben, sei eine "Perversion der Marktwirtschaft". Solche Monopole förderten den Kostenauftrieb.

G.D.

Fremde Federn zum AWL-Urteil

Nachdem ein Skandal im Rathaus den nächsten jagt - Korruption, Finanzen, AWL etc. -, ist doch die Frage, wie sich die Situation in der Verwaltung bzw. dem Rat verbessern ließe. (...) Leider erfüllt ja die CDU ihre Oppositionsrolle nicht. Und dies, obwohl Herr Hupperth, der Fraktionsvorsitzende der CDU, dies in seiner Antrittsrede im Rat groß ankündigte. Stattdessen wird weiter mit der SPD zu Lasten unserer Stadt und ihrer Bürger gekungelt. Erfreulich ist, daß die Junge Union sich umso klarer ausdrückt, aber die sitzt nicht im Rat.
Birgit Kemski, Leverkusen, Leserbrief in der Kölnischen Rundschau vom 14. März 1996

Das Landgericht hat die fristlosen Kündigungen gegen Herrn Welzenberg für nichtig erklärt. Dennoch ist für Oberbürgermeister Walter Mende die fristlose Entlassung die richtige Entscheidung. Dies muß der Oberbürgermeister den Bürgern einmal genauer erklären und begründen, warum ein neuer Geschäftsführer der AWL belastet mit den zusätzlichen Folgekosten in Millionenhöhe, den Gebührenzahlern zum Vorteil dienen soll. (...)
Dr. Barbara Hennig, Leverkusen, Leserbrief im Leverkusener Anzeiger vom 9. März 1996

Die Kosten des Verfahrens - gut 50.000 Mark - hat die AWL zu tragen. (...) Doch wer trägt die AWL? Der Bürger! Der damit die 50.000 Mark bezahlt. Dabei bleibt es aber nicht. 1,5 Millionen Mark stehen Herrn Welzenberg bis Vertragsende an Gehalt noch zu. Von wem? Vom Bürger dieser Stadt! Wie schreiben Sie doch in Ihrem Kommentar über die Gründe für die Kündigung: "Es stellt sich für uns die Frage: Wer hat diese Nieten gezogen?". Wir meinen: "Nur Nieten können solche Nieten ziehen." (...)
Elke + Peter Vorberg, Leverkusen, Leserbrief im Leverkusener Anzeiger vom 9. März 1996

Monatelang wird krampfhaft mit einer besessenen Akribie durch das Rechnungsprüfungsamt der Stadt Leverkusen nach Gründen gesucht, wie man Herrn Welzenberg irgendwelche betrügerischen Delikte anhängen kann. Was kam dabei heraus? Das Gericht attestiert Herrn Welzenberg u.a. sogar noch, daß er der AWL viel Geld gespart hat. Und wie reagieren unsere sogenannten Bürgervertreter im Rat der Stadt Leverkusen darauf? Die SPD läßt unter dem Motto, die Partei hat immer recht, erklären, "Herr Welzenberg ist der Täter und kein Opfer". Hier kann man nur feststellen, daß in dieser Partei eine große Ignoranz vorherrscht. (...)
J. Pick, Leverkusen, Leserbrief im Leverkusener Anzeiger vom 12. März 1996

(...) Die Kündigungsgründe scheinen mir verzweifelt gesucht zu sein, das Gericht hat das wohl auch so gesehen. (...)
Elke Schulz, Leverkusen, Leserbrief im Leverkusener Anzeiger vom 12. März 1996

Der AWL-Skandal und der damit verbundene Eiertanz unserer Politiker in Rat und Verwaltung ist eine Zumutung für unsere Stadt und ihre Bürger. (...) Auch das Ansehen Leverkusens in der Region und darüber hinaus wurde erheblich beschädigt. (...)
Peter Hoemke, Leverkusen, Leserbrief im Leverkusener Anzeiger vom 13. März 1996

Wenn ich richtig gelesen habe, hat das Rechnungsprüfungsamt der Stadt, im Auftrag von Herrn Dr. Mende, all die Vorwürfe gegen Herrn Welzenberg aus den AWL- Akten ausgegraben. Ein Amt, das in den Rathausakten zu "Korruption im Rathaus" offenbar überhaupt nichts fand. Ich stelle mir die Frage, ob man einmal prüfen sollte, ob in diesem Amt alles mit rechten Dingen zugeht. (...)
Rudolf Haase, Leverkusen, Leserbrief im Leverkusener Anzeiger vom 13. März 1996