Rede von OB Buchhorn zur Reichskristallnacht


Archivmeldung aus dem Jahr 2010
Veröffentlicht: 09.11.2010 // Quelle: Stadtverwaltung

Anläßlich der Gedenkstunde am Platz der Synagoge zur Reichskristallnacht hielt Oberbürgermeister Buchhorn folgende Rede:

Lieürgerinnen und Mitbürger,
liebe Schülerinnen und Schüler,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

65 Jahre sind der zweite Weltkrieg und damit das Dritte Reich vorbei. Für viele junge Leute ist das ein fast unvorstellbar langer Zeitraum - und doch bereiten Schülerinnen und Schüler in jedem Jahr dieses Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mit uns zusammen vor. Hier am Platz der Synagoge, hier, wo in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 ein Gotteshaus bis auf die Grundmauern niederbrannte. Denn das, was damals passierte, geht uns heute noch an.

Keiner der unrühmlichen Gedenktage an die Herrschaft des Nationalsozialismus steht mehr als die Reichspogromnacht für einen bis dahin schleichenden Prozess der Ausgrenzung von Juden, der sich in dieser Nacht zu Gewalttaten, zu Brandstiftung, Plünderung, Raub, Misshandlung und Mord steigerte. Deutschlandweit geht man heute von über 400 Todesopfern nur in dieser Nacht aus. Allein um den 9. November wurden über 25.000 Menschen verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Wir wissen alle, dass das nur ein Anfang war.

Das Thema, unter dem dieser Tag heute steht, heißt „Gesellschaft ohne Rassismus, Gesellschaft mit Courage“.

Rassismus, genauer Antisemitismus war damals der Boden, auf dem der Judenhass gedieh, ein Hass der bewusst geschürt wurde und letztlich zu einer nie da gewesenen Vernichtung von Millionen unschuldiger Menschen führte.

Wenn wir Deutschen uns mit Rassismus auseinandersetzen, denken wir zuerst daran. Immer.

Rassismus ist leider noch aktuell. Das wissen wir nicht erst, seitdem ein Sarrazin die unselige, jüngste Debatte in Deutschland wieder losgetreten hat. Dabei ist die Idee von Rasseunterschieden bei Menschen auch wissenschaftlich belegt längst unhaltbar geworden. Es gibt keine Menschenrassen.

Wenn wir aber heute von Rassismus sprechen, meinen wir damit ein gruppendynamisches Phänomen. Mit rassistischen Zuschreibungen werden Menschen ausgegrenzt und ihrer Chancen beraubt. An Kriterien wie der Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit wird eine angebliche Minderwertigkeit festgemacht, die es den Tätern im Lichte dieser Wahrnehmung erlaubt, diese Menschen schlecht zu behandeln.

Dass eine solche Zuschreibung funktioniert und wie willkürlich die äußerlichen Merkmale sein können, zeigt übrigens das Konzept „blauäugig“ - von einer amerikanischen Grundschullehrerin entwickelt und als Trainingsprogramm inzwischen weltberühmt. Darin wird eine Gruppe von Menschen in Blauäugige und Braunäugige aufgeteilt: Den Blauäugigen werden alle negativen Eigenschaften zugeschrieben, die auch bei rassistischer Diffamierung eine Rolle spielen. Mit dem Ergebnis, dass nach kürzester Zeit die Braunäugigen die Blauäugigen nicht nur dominieren und herabsetzen, sondern sich auch die Blauäugigen benehmen, als hätten sie es nicht anders verdient: Die einen rebellieren, die anderen verhalten sich unterwürfig.

Diskriminierung funktioniert nach einfachen psychologischen Gesetzmäßigkeiten und hat nichts mit dem zu tun, wie Menschen wirklich sind. Das zeigt dieses Experiment und es zeigt auch, dass äußerliche Merkmale helfen, Ressentiments zu festigen.

Den äußerlichen Merkmalen wurde im Dritten Reich noch ein bisschen nachgeholfen: Im Juli 1938 wurde Juden auferlegt, besondere Ausweise bei sich zu tragen; im August wurde verordnet, dass jeder jüdische Mann in amtlichen Dokumenten zwischen Vor- und Zunamen 'Israel' und jede jüdische Frau 'Sara' einzutragen hätte. Ab dem 5. Oktober stand in an Juden ausgegebenen Pässen ein großes, rotes 'J', das unübersehbar auf die Seite mit den Personalangaben gestempelt worden war. Schließlich mussten ab 1941 Judensterne an die Kleidung genäht werden.

Am 9. November 1938 steigerte sich die Demütigung und Ausgrenzung zum ersten Mal zu offener Gewalt. Deshalb versammeln wir uns auch in jedem Jahr wieder an dieser Stelle. Hier stand in der Nacht vom 9. auf den 10. November die Synagoge Opladens in Flammen. Hier unterließ die Feuerwehr jeden Löschversuch, bevor das Gebäude abbruchreif war. Hier wurden Schulkinder aufgefordert, Scheiben einzuwerfen und hier fand am Abend des 10. November eine angeblich spontane Protestkundgebung statt, die so wenig spontan war, wie die deutschlandweite Zerstörung aller jüdischen Gotteshäuser, die Verhaftung von Juden und Regimegegnern und schlussendlich die Deportation und Vernichtung von Millionen Menschen jüdischen Glaubens.

In dieser Nacht, die manchmal heute noch verharmlosend „Reichskristallnacht“ genannt wird, gingen nicht nur Scheiben zu Bruch. Diese Nacht war eine öffentliche Attacke gegen alle jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, ihren Besitz, ihren Leib und ihr Leben. Spätestens am nächsten Tag wusste jeder Nichtjude, wie gefährlich es ist, sich offen zu jüdischen Geschäftsleuten, Nachbarn, Kollegen und Freunden zu bekennen - ja, nur in einem jüdischen Geschäft einkaufen zu gehen.

Das Wegsehen aber wirkte wie Billigung, war eine stille Duldung der Gewalt.

Wenn dieses Gedenken heute unter den Titel: „Gesellschaft ohne Rassismus - Gesellschaft mit Courage“ gestellt wurde, meint es auch das: Nicht wegschauen, wenn jemandem Unrecht geschieht, Partei ergreifen, auch, wenn dadurch Nachteile drohen.

Rassismus gibt es genauso wie Antisemitismus auch heute noch - auch in Deutschland - und nicht nur von Deutschen. Gerade erst erschien das Buch: „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“. Darin schildert ein aus dem Iran kommender junger Mann, der im Berliner Ortsteil Wedding aufwächst, wie er anfangs dazugehört, weil er nicht anders aussieht, als die meisten Jugendlichen in dem von muslimischen Zuwanderern geprägten Stadtteil - bis er zu erkennen gibt, dass er Jude ist. Von da an wird er gehasst - von den Migrantenkindern, für die er der Außenseiter ist.

Die Fremdenfeindlichkeit Deutscher, das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Deutschland ist ebenso problematisch - und sollte uns Sorgen machen.

Mit Courage dem Rassismus die Stirn bieten, sollten wir, wo immer er uns begegnet. Überall dort, wo Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Religionszugehörigkeit negative Eigenschaften zugeschrieben werden, wo die Welt in gut und böse, in schwarz und weiß eingeteilt wird, ist schon etwas faul. Denn die Welt ist zu komplex, als dass es einfache Wahrheiten gäbe.

So ist die ehrliche Auseinandersetzung miteinander das beste Mittel gegen stereotype Zuschreibungen von Eigenschaften und Vorurteilen. Deshalb freut es mich sehr, dass ein Teil der Schülerinnen und Schüler, die diesen Tag mit vorbereitet haben, einen Migrationshintergrund haben, sprich Eltern, die aus anderen Ländern hier eingewandert sind. Indem Sie mit uns der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus gedenken, identifizieren Sie sich auch ein wenig mit der deutschen Verpflichtung, zu dieser Schuld zu stehen und trauern mit uns um die Opfer des Antisemitismus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Schülerinnen und Schüler,

Wir wissen alle, dass am Ende einige Menschen in Deutschland doch noch den Mut hatten dem Dritten Reich und seinen Machthabern aktiv entgegen zu treten. Dazu brauchte es aber mehr als Courage, das war Todesmut.

Courage beginnt weit früher. Einzugreifen, wenn man sieht, das jemand ausgegrenzt wird - im Freundeskreis, in der Klasse, am Arbeitsplatz. Das ist Courage und das ist schon schwer genug - denn jeder, der das tut, läuft Gefahr, ebenfalls zum Außenseiter zu werden.
Trotzdem sollte man Partei zu ergreifen, auch wenn es weh tut. Denn eines ist sicher: Wer sich heute nicht traut, Menschen, die zu Unrecht angegriffen werden, zur Seite zu stehen, hätte diesen Mut im Dritten Reich ganz bestimmt nicht aufgebracht.

In den vergangenen Jahren haben wir hier viele eindringliche Beiträge von Schülerinnen und Schülern gehört.

Auch heute haben Schülerinnen und Schüler des Landrat-Lucas-Gymnasiums und der Montanus-Realschule sich schon seit Wochen mit diesem Tag beschäftigt. Ihnen will ich jetzt das Mikrophon überlassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir gehen jetzt zusammen zur Jugendkirche Leverkusen in der Opladener Fußgängerzone. Ich würde mich freuen, wenn Sie alle sich uns anschließen.


Anschriften aus dem Artikel: Albert-Einstein-Str 58, Alte Landstr 129

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