Reisebericht über die Finnlandfahrt des Leverkusener Musikschul-Sinfonieorchesters nach Oulu


Archivmeldung aus dem Jahr 2004
Veröffentlicht: 07.09.2004 // Quelle: Musikschule

Es ist Donnerstag, der 2. September 2004 um 19.30 Uhr, als Klaus Müller, Leiter des Leverkusener Musikschul-Sinfonieorchesters, erleichtert aufatmet. Das Unternehmen "Oulu 2004" ist erfolgreich abgeschlossen. 30 Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 bis 24 Jahren zusammen mit 3 weiteren Lehrerinnen der Schule steigen gesund und glücklich aus dem Bus und werden von Ihren Angehörigen freudig begrüßt. Hinter ihnen liegt eine Woche voller Musik und menschlicher Begegnungen in der finnischen Stadt Oulu. Lediglich ein Koffer steht vermutlich noch in Helsinki auf dem Flughafen, wo es wegen Verspätungen im Flugplan wohl sehr hektisch zugegangen sein muss.

Begonnen hatte alles im Frühjahr 2003, als das finnische Jugendorchester "Con Brio" des Konservatoriums aus Oulu in Leverkusen zu Gast war. Damals gab es ein bewegendes Konzert im Forum mit fast 100 Kindern und Jugendlichen gemeinsam auf der Bühne.

Nun stand der Gegenbesuch des Leverkusener Orchesters in Finnland an. Nach intensiven Wochen der musikalischen und organisatorischen Vorbereitung stiegen die jungen Musiker am Donnerstag dem 26. 08. in das Flugzeug nach Oulu und wurden nach vierstündiger Reise herzlich vom dortigen Organisationsteam begrüßt. Es gibt bereits bei der Begrüßung bewegende Szenen, da sich einige Teilnehmer bereits vom letzten Jahr kennen und sich freudig in die Arme fallen. Sie hatten die ganze Zeit über per E-Mail Kontakt gehalten und freuen sich nun sehr über das Wiedersehen.

Der nächste Tag beginnt dann zunächst mit einer ausführlichen Orchesterprobe nur für die deutschen Musiker im wunderschönen Tulindberg-Saal des Konservatoriums. Durch 5 Wochen Sommerferien etwas aus der Übung, muss sich das Orchester erst einmal wieder zusammenraufen, um den alten Leistungsstand zu erreichen. Nach einem schmackhaften Mittagessen in der Kantine des benachbarten Musikgymnasiums steht dann das erste Konzert auf dem Programm. Etwa 150 Schülerinnen und Schüler des Musikgymnasiums lauschen aufmerksam den Erläuterungen des Dirigenten Klaus Müller zu den Stücken von Mozart, Holst und Bizet. Bizets Musik aus der Oper "Carmen" kommt bei den jungen Zuhörern besonders gut an und wird mit reichlichem Beifall bedacht.

Nach dem Konzert starten die Deutschen zu einer ausgedehnten Busrundfahrt, um die Stadt Oulu kennen zu lernen.

Am Samstag erfolgt dann das erste Zusammentreffen aller finnischen und deutschen Streicher. Genau wie ein Jahr zuvor in Leverkusen sieht man selbstbewusste Finnen sich an die vorderen Pulte setzen und etwas verunsicherte Deutsche fragend dreinblickend: "wo soll ich mich hinsetzen?" Aber eine kurze Bemerkung des finnischen Orchesterleiters Osmo Leponiemi genügt, und innerhalb kurzer Zeit sitzen 60 jugendliche Streicher bunt gemischt und warten gespannt auf das erste gemeinsame Musizieren. Klaus Müller hat das Vergnügen, die ersten gemeinsamen Klänge zu dirigieren. Auf dem Programm steht die "St. Paul's Suite" von Gustav Holst, ein spielfreudiges und schwungvolles, auf schottischen und irischen Melodien basierendes Werk. Das erste Durchspiel zeigt sofort, dass es keine großen musikalischen Probleme geben würde. Alle Musikerinnen und Musiker sind glänzend vorbereitet, der Klang des Orchesters ist sehr homogen und hat eine wunderbare Wärme und Fülle, auch dank der exzellenten Akustik des mit sehr viel Holz gestalteten Tulindberg-Saales.

Den Nachmittag verbringen die deutschen Jugendlichen dann mit ihren Gastfamilien. Einige fahren sogar zum 200 km entfernten Polarkreis oder in Sommerhäuser der Familien, die meist sehr einsam in der weiten, wald- und wasserreichen Landschaft um Oulu liegen.

Der Sonntag beginnt mit einem Gottesdienst in einer Kirche in Oulu. Die Leverkusener Lehrerinnen Anke Barth, Birthe Metzler und Katja Müller gestalten, ergänzt durch Constanze Löffler mit Streichquartett-Spiel die Messe. Da die Pfarrerin etwas deutsch sprechen kann und die wesentlichen Texte auch auf deutsch verteilt wurden, können die Gäste aus Leverkusen dem Ablauf gut folgen. Aber selbst, wenn man die Texte nicht versteht: die wunderschönen Melodien der finnischen Kirchenlieder sprechen direkt das Gefühl an und schaffen eine warme und vertraute Atmosphäre in der sonnendurchfluteten Kirche. Verblüffend für uns Deutsche ist, in einem protestantischen Gottesdienst einige typisch katholische Elemente zu finden, wie beispielsweise das festliche Priestergewand, die Position des Altars oder die Kniebänke beim Abendmahl, die in deutschen evangelischen Kirchen so nicht anzutreffen sind.

Nach dem Gottesdienst ist das Orchester zu einem üppigen Mittagessen im Gemeindesaal eingeladen, und im Anschluss daran spielen die Leverkusener und das finnische Orchester "Con Brio" ein Konzert in der Kirche. Leider ist es aus Platzgründen nicht möglich, beide Orchester gemeinsam spielen zu lassen. So präsentieren sich die deutschen und finnischen Musikerinnen und Musiker nacheinander in einem gut einstündigen Programm dem leider nicht sehr zahlreichen Publikum.

Nach dem Konzert wartet ein Bus auf die deutschen Gäste und der Besuch eines Heimatmuseums auf einer Flussinsel steht auf dem Programm. Bei teilweise heftigem Regen können wir einen Einblick in die Vergangenheit der finnischen Lebensweise gewinnen. Den Abschluss aber auch den Höhepunkt des Tages bildet dann der Sauna-Abend im Gästehaus der Stadt Oulu. Einsam, mitten im Wald gelegen, stehen einige Holzhäuser. Nach einem kurzen Begrüßungstrunk drängen sich alle Gäste in die Saunen, um sich dann mit einem mutigen Sprung in den eiskalten Oulu-Fluss wieder abzukühlen. Mit hochroten Köpfen und bester Laune versammeln sich dann alle im gemütlichen Essraum um die traditionelle finnische Lachs-Suppe zu genießen. Wir erfahren, dass nur offizielle Gäste der Stadt Oulu in dieses Haus eingeladen werden und freuen uns besonders über die große Wertschätzung, die uns seitens der Gastgeber entgegengebracht wird. Der Sonnenuntergang mit traumhaft rot gefärbtem Himmel während der Heimfahrt macht diesen Abend vollends zum unvergesslichen Höhepunkt unserer Reise.

Am nächsten Tag, nach einer kurzen Ostsee-Schiffstour, für die sogar die finnischen Jugendlichen schulfrei bekamen, sind nun alle gespannt, wie das große gemeinsame Sinfonieorchester klingen wird.

Hinter die 60 Streicher postieren sich noch fast 30 Bläser und Schlagzeuger und lassen einen enormen Klangkörper entstehen. Als kleine Begrüßungsgeste verteilt Klaus Müller Bleistifte mit dem Aufdruck des Fördervereins der Leverkusener Musikschule an alle Musiker, und dann beginnt Osmo Leponiemi die Probe zur Ouvertüre "Die diebische Elster" von Rossini. Bereits das erste Durchspiel ist von erstaunlicher Qualität. Abgesehen von wenigen Profimusikern des "nördlichsten Sinfonieorchesters der Welt" in den Bläsern, sitzen dort Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren und produzieren einen "Sound", der den großen Konzertsaal der Stadt Oulu, den "Madetoja-Saal", mit wunderschönem Klang erfüllt. Der schöne Klang und das Erlebnis, Teil eines richtig großen Sinfonieorchesters zu sein, lassen die vierstündige Probe wie im Flug vergehen. Osmo Leponiemi stellt hohe Anforderungen an das Orchester. Rücksicht auf das geringe Alter der Musiker nimmt er nicht. Er wählt teilweise so schnelle Tempi, das selbst den Profis nicht jeder Lauf gelingt.

Der nächste Tag beginnt zunächst wieder mit "Sightseeing". Die deutschen Gäste besichtigen die Stora-Enson Papierfabrik in Oulu. Der Betrieb ist Teil des weltgrößten Papierproduzenten und beeindruckt alle durch Produktionsmaschinen von riesigem Ausmaß. Eine Papiermaschine ist mehr als 500 Meter lang und ca. 30 Meter hoch und produziert in einer Stunde Qualitätspapier im Gewicht von 13 Elefanten, wie uns die Führerin schmunzelnd erläutert. Die Tagesproduktion, von den tonnenschweren Rollen zerschnitten und auf Paletten gestapelt, wäre viereinhalb mal so hoch wie der Eifelturm. Die Papierproduktion ist Finnlands wichtigster Export- und Wirtschaftsfaktor.

Nach dem beeindruckenden Besuch konzentrieren sich alle wieder auf das am Abend anstehende große Konzert. Viele nutzen die verbleibende Zeit, um noch ein wenig zu üben. Denn die schnellen Tempi waren etwas überraschend, und niemand möchte sich am Abend blamieren. Die Probe vor dem Konzert verläuft sehr gut, Problemstellen aus der ersten Probe gelingen schon viel besser und jeder gibt sein bestes, um das gemeinsame Konzert zu einem Erfolg werden zu lassen.

Am Abend jedoch gibt es eine kleine Enttäuschung. Nur etwa 100 bis 150 Zuhörer finden den Weg in den mehr als 800 Plätze bietenden Saal. Als das große Orchester, einheitlich in schwarz-weiß gekleidet, die Bühne betritt, gibt es nur spärlichen Applaus. Aber die jugendlichen Musikerinnen und Musiker lassen sich die Freude an ihrem Tun dadurch nicht nehmen. Mit großer Begeisterung und hohem musikalischen Können bieten Osmo Leponiemi und Klaus Müller mit ihren jungen Leuten ein fast zweistündiges Musikprogramm von hoher Qualität.

Höhepunkt und krönender Abschluss der musikalischen Arbeit der vergangenen Tage ist dann die gemeinsame Aufführung von Jean Sibelius' "Finlandia". Ein Werk, welches für die Finnen mit vielen Emotionen behaftet ist und beinahe wichtiger und bedeutsamer als die Nationalhymne für das Empfinden des finnischen Volkes ist. Dieses Musikstück in so guter Qualität von einem deutsch-finnischen Orchester zu erleben, war einer der bewegendsten Momente und riss dann auch das zahlenmäßig kleine Publikum zu herzlichem und begeisterten Applaus hin. Nach dem Konzert und der anschließenden Feier im Foyer des Konzerthauses sah man auch nur zwar ein wenig erschöpfte aber glückliche Gesichter bei allen Beteiligten. Der letzte Tag vor dem Rückflug ist dann nur noch der Entspannung gewidmet. Nach einstündiger Busfahrt tauchen wir ein in die Welt der Steinzeit. Ein archäologisch sehr bedeutsamer Ausgrabungsort ist zu einem hochinteressanten Dokumentationszentrum ausgebaut worden, und eine finnische Archäologie-Studentin, stilecht in Lederkleidung, bringt uns durch ihre lebendige und überzeugende Darstellung das Leben von vor ca. 7000 Jahren näher. Wir besichtigen nachgebaute Erdhütten und lernen verschiedene Fallen und Jagdmethoden der Steinzeit kennen. Zum Schluss dürfen wir selbst das Bogenschießen versuchen und Schmuckstücke aus dünnen, relativ weichen Steinen schleifen und bohren. Alles natürlich mit den Händen und Steinwerkzeugen. Da das Wetter uns - wie fast die ganze Woche über - gut gesonnen ist, genießen wir die Zeit am See und im Wald in vollen Zügen.

Der Abschied am Donnerstag fällt allen sehr schwer. Einige Tränchen werden verdrückt, als die Jugendlichen sich von ihren Gastfamilien verabschieden, die sie eine Woche lang liebevoll umsorgt hatten. Natürlich kommt die Frage nach dem Wiedersehen. Klaus Müller und Osmo Leponiemi haben schon weitere Ideen entwickelt, wie man die begonnene Arbeit fortsetzen und die Begegnungen der Jugendlichen intensivieren kann. Die Idee eines Sommer-Camps wurde als Beispiel genannt. Da die finnischen Jugendlichen ihren normalen Schulalltag absolvieren mussten, waren die gemeinsamen Freizeitaktivitäten natürlich recht begrenzt. Wenn die nächste Begegnung so stattfände, dass alle Ferien haben, könnte man den ganzen Tag miteinander verbringen und die anfängliche Scheu vor einander, die auch dieses mal wieder dazu geführt hat, dass die Jugendlichen erst kurz vor Ende der Fahrt zusammen fanden, viel schneller überwinden.

Auch wenn die Musik in der Lage ist, Menschen verschiedener Nationen zu vereinen und sich verstehen zu lassen, so ist es dennoch ein weiterer und offenbar schwererer Schritt, sich nach dem Musizieren zu treffen und ungezwungen miteinander freie Zeit zu gestalten.

Dieses Ziel, dass aus miteinander musizierenden jungen Menschen richtige Freunde werden und die europäische Einheit gelebter Alltag wird, wollen Osmo Leponiemi und Klaus Müller gemeinsam mit ihren finnischen und deutschen Kollegen des Konservatoriums in Oulu und der Leverkusener Musikschule weiter verfolgen.


Anschriften aus dem Artikel: Alte Landstr 129, Albert-Einstein-Str 58

Kategorie: Kultur
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