Ein Markt wird umgekrempelt

Was bleibt neben den Digitalkameras?

Früher, in der guten alten Zeit, als die Luft im Ruhrgebiet noch dreckig war und Japan nicht als Kumpel in der demographischen Rheuma-Liga, sondern als kommende Wirtschafts-Supermacht Nummer Eins galt, war Fotografieren ganz einfach.
Man kaufte sich einen Film, eine (japanische) Kamera, machte sich mit den Grundsätzen dieses überraschend komplexen Vorgangs vertraut und legte los.
Man hatte die Wahl zwischen Papier- und Diafilmen, letztere mit brillanter Schärfe und Farben, aber der Schrecken der Verwandtschaft ("Ach, übrigens, wir haben da noch ein paar Dias vom letzten Spanienurlaub ...") und zudem zwischen verschiedenen Lichtempfindlichkeiten, meist 100 bis 400 ISO (21 bis 27 DIN), wobei gilt: je empfindlicher der Film, desto grobkörniger der (besonders etwas größere) Abzug.
Die Kameras wurden immer raffinierter, Elektronik nahm den Menschen die meisten Entscheidungen ab, aber die Bildqualität hat sich seit Jahrzehnten nicht mehr gravierend geändert. Das liegt vor allem daran, daß der entscheidende Faktor für gute, scharfe Bilder, das Objektiv, seit langem ausgereizt ist.

Die Digis kommen

Die klassische Kombination Objektiv/Gehäuse/Film verliert nun durch den Siegeszug der Digitaltechnik stark an Bedeutung. Der Film wird durch einen Chip ersetzt, dessen Signale wiederum in der Kamera aufbereitet und gespeichert werden. Die Bilder landen meist als TIFF- oder JPEG-Dateien auf dem heimischen Computer, wo man sie bequem nachbearbeiten kann (wenn denn der Bildschirm die Farben richtig anzeigt).
Es ist auch problemlos möglich, von den geschossenen Aufnahmen ebenso Abzüge machen zu lassen wie früher auch. Und über Beamer und TV-Geräte kann man den guten (?) alten Diaabend wiederauferstehen lassen.
Waren vor einigen Jahren Digitalkameras, die konkurrenzfähige Bilder schossen, noch vollkommen unbezahlbar und Profis vorbehalten, so hat sich die Lage geändert. Die üblichen 10x15-Abzüge haben mit den herkömmlichen 3- bis 5-Megapixel-Kameras eine Qualität erreicht, die für die meisten Zwecke reicht und kaum von Kleinbildabzügen zu unterscheiden ist.
Die weiteren Vorteile der Digicams sind bestechend: Keine Filme, sofortige Überprüfung der Aufnahme möglich, Nachbearbeitung am heimischen PC, keine Abzüge von nicht gelungenen Aufnahmen und - zumindest bei Nutzern von DSL- oder Breitband-Anschlüssen, da Fotodateien sehr groß sind: Online-Versand der Fotos an Fotolabors und Erhalt der Abzüge per Post.

Kleinbild am Ende?

Sind also die Tage der Kleinbild-Fotographie (oder generell der Fotografie mit Filmen) gezählt? Ist die Situation so ähnlich wie bei der Einführung der CD, als die Vinylplatte mangels irgendwelchen Vorteilen sehr schnell vom Markt verschwand?
Die Antwort lautet nach meiner Ansicht bis auf weiteres nein. Zweifellos wird die Digitalfotografie zum dominierenden Zweig der Fotografie werden. Doch um das Feld komplett zu beherrschen, müßte sie einem ambitionierten Amateur dieselbe gestalterische Freiheit geben wie ein Spiegelreflex-Kleinbildsystem. Und da hapert es.
Damit ist nicht gemeint, daß zwischen normalen Abzügen von Kleinbild- und Digitalkameras gravierende Unterschiede sichtbar wären (obwohl die Auflösung eines Kleinbildfilms immer noch höher ist als die höchste Auflösung gängiger Digicams).
Doch selbst die für Otto Normalverbraucher so gerade noch bezahlbaren Digital-Spitzenmodelle am Markt (etwa Nikon 5700, Canon 300D, Minolta A1 oder die angekündigte Sony DSC 828), deren Preise alle etwa um 1000 Euro pendeln, zwingen den Fotograf zu Kompromissen.
Der Chip beherrscht einen geringeren Tonwertumfang als ein Farbnegativfilm - was bedeutet, daß der klassische Film größere Hell-Dunkel-Kontraste problemlos abbilden kann und auch nicht abrupt, wie der Chip, bei dunklen Bildpartien plötzlich "absäuft". Nebenbei: Der Chip versteht auch nur noch Farbe; Schwarzweiß geht zwar, aber in verminderter Qualität.

Die Schärfentiefe geht flöten

Ein weiteres Problem ist die Chipgröße, die gerade in gängigen Consumer-Kameras immer stärker schrumpft. Dadurch benötigt zwar auch das Objektiv eine kleinere Brennweite, aber eines der wichtigsten fotografischen Gestaltungsmittel geht dabei baden: Die Schärfentiefe. Digitalkameras neigen selbst im Telebereich dazu, fast alles scharf abzubilden. Das ist oft gar nicht erwünscht, wenn man etwa Portraits mit unscharfem Hintergrund schießen will.
Selbst die Digital-Superzooms von Minolta, Nikon und Sony/Zeiss erreichen kaum mehr als 50 mm effektive Brennweite - das ist im Kleinbildbereich ein Normalobjektiv, für Digicams ein starkes Teleobjektiv. Damit ist bestenfalls eine leidliche Schärfentiefe möglich, und es kommt noch, da es sich bei den Digitalkameras um einen starken Telebereich handelt, die Verwackelungsgefahr hinzu.
Ein weiterer prinzipbedingter Schwachpunkt der Digicams ist die Rauschneigung. Längere Belichtungen führen zu Pixel-Fehlbildungen, die man vor allem in den dunklen Bildpartien sieht. Andere Fehlbildungen wie Moiré (Farbschillern an Linien- oder Sternstrukturen) werden allerdings immer besser ausgemerzt.

Spiegelreflex-Digicam?

Was soll nun der anspruchsvolle Hobbylichtbildner tun? Er könnte natürlich eine digitale Spiegelreflex kaufen. Seit neuestem sind Modelle ab 1100 Euro zu haben. Die meisten hier beschriebenen Probleme sind etwas entschärft: Der Chip ist größer, der Brennweiten-Vergrößerungsfaktor folglich nicht so kraß, und zudem kann man, falls vorhanden, auf eventuell vorhandene Objektive zurückgreifen.
Trotzdem gibt es noch keine digitale Spiegelreflex auf dem Markt, die für vergleichbares Geld dieselbe fotografische Leistung bietet wie eine Kleinbild-Spiegelreflex. Klar, man kann sich eine Canon EOS 1D zulegen. Danach ist man aber auch um den Preis eines Fiat Punto ärmer. Die Kameras am unteren Ende der Skala erzwingen wiederum Kompromisse.
Die hier angestellten Überlegungen betreffen letztlich, wie gesagt, nur den ambitionierten Amateur. Wer nicht so sehr die Bildgestaltung, sondern die zahlreichen anderen Vorteile der Digitalkameras (nicht zuletzt die Nachbehandlung am Computer) höher bewertet, ist mit diesen Geräten bestens bedient.
Und es soll sogar schon vorgekommen sein, daß das Knipsen mit den Digicams wieder Interesse weckte an der verstaubenden Kleinbild-Spiegelreflex. Friedliche Koexistenz sozusagen.

Prinzipieller Schwachpunkt

Alle digitale Kameras haben einen prinzipiellen Schwachpunkt - sie veralten schnell. Eine Kleinbild-Kamera von heute erzeugt bei gleichem Film und Objektiv dieselbe Bildqualität wie ein Modell von 1970. Das gilt für Digicams nicht, weil ihr "Film" fest eingebaut ist. Der Charakter der ganzen Industrie wird umgekrempelt; es ist zu befürchten, daß nur die ganz Großen überleben, die das Kapital für dauernde Modellwechsel haben. Ein Leica M-Modell, das seit Jahrzehnten kaum verändert gebaut wurde, ist hier undenkbar.