Satire

In einem fremden Land

Schröder in Balkonien

Nach ihrem abgesagten Italien-Urlaub haben sich die Schröders entschlossen, das deutsche Bruttoinlandsprodukt zu steigern, und bleiben mit Ausnahme der Kinder, die in die USA abgeschoben werden, daheim. In ihrem schon seit längerer Zeit nicht mehr genutzten Hannoverschen Reihenhauswohnung türmen sich Staub und Spinnenweben.

Gerhard (hustet): Doris! Haben wir nicht unsere Nachbarin, wie heißt sie noch gleich ...

Doris: Frau Koch.

Gerhard: ... damals auf 325-Euro-Basis angeheuert, damit sie hier saubermacht?

Doris (angesäuert): Sie hat damals, als du diese Jobs voll versicherungspflichtig gemacht hast, gekündigt. Ich habe dir das damals gesagt und -

Gerhard: Ich erinnere mich ... Ich habe mich damals, glaube ich, gerächt durch die Modernisierung der Rentenanpassung. Na ja, wer schon Koch heißt ... Im übrigen ist das gar nicht schlecht. Wir wollten schließlich nicht nur dem Oberspaghettifresser eins auswischen, sondern unseren Urlaub dazu nutzen, wieder zu erfahren, wie das Volk lebt. Also putzen wir selber. Fang schon mal an!

Doris (empört): Ich denke gar nicht daran! So habe ich mir unsere gleichberechtigte Partnerschaft nicht vorgestellt! Du kannst meinetwegen putzen, und ich lese inzwischen die letzten Ausgaben von "Das Pferd und Du", wozu ich vor lauter Ehrenämtern und Eröffnungen nicht mehr gekommen bin. Hol doch den Müntefering, der erledigt doch immer die Drecksarbeit.

Gerhard: Der macht Urlaub im Ruhrgebiet, da fühlt er sich am wohlsten. Tjaaa -

Doris: Gerd! Du bist schuld, daß niemand geputzt hat, also geh gefälligst nach nebenan zu Frau Koch, entschuldige dich nett für das 325-Euro-Gesetz und bitte sie, hier Ordnung zu schaffen.

Gerhard (flehend): Aber Doris -

Zehn Minuten und eine heftige Diskussion später legt Schröder seinen staubigen Finger auf einen blankpolierten Klingelknopf mit dem Namen "Koch".

Frau Koch (graue Haare, mit Putzlappen in der Hand, deutlich älter und stärker als Schröder): Na, das gibt's doch nicht! Ich hätte Sie mit Ihren grauen Haaren kaum erkannt. Benutzen Sie eine neue Tönung?

Gerhard (verlegen): Laut Aktenzeichen 08/1644rtz/55 des OLG Hannover werden meine Haare nicht getönt. Meine natürliche Färbung wird von Staub überdeckt. Und deswegen komme ich auch zu Ihnen. Ich wollte Sie höflichst bitten, ob Sie nicht vielleicht die Güte hätten, bei uns etwas aufzuräumen. (grinst) Ganz umsonst wäre das natürlich nicht.

Frau Koch (empört): Typisch Mann! Anstatt selber zuzupacken, dürfen die Frauen die Hausarbeit machen. Und Ihre Frau Gattin ist sich natürlich zu fein dazu. (Grinst) Wieviel?

Gerhard: Wie wär's mit einer deutlichen Rentenerhöhung fürs nächste Jahr?

Frau Koch: Ha, die Politiker! Bis das durch den Bundesrat ist, fressen an mir schon die Würmer, und an Roland auch! (Schröder zuckt zusammen) Nein, bar! Cash auf die Hand!

Gerhard: Wieviel?

Frau Koch: Zwei Grüne.

Gerhard: In Ordnung.

Frau Koch: Aber kein Wort an Ihren Hans! Die Sache bleibt unter uns. (lacht gackernd) So schnell würden Sie die Grünen wohl immer gern loswerden wollen, was?

***

Drei Stunden später. Die Wohnung erstrahlt in neuem Glanz.

Doris: Gerd.

Gerhard (sieht gerade "Gute Zeiten, schlechte Zeiten"): Also, seit ich nicht mehr mitspiele, hat die Serie doch sehr an Niveau verloren.

Doris: Gerd, wie hast du dir eigentlich die Ferien vorgestellt?

Gerhard: Ööööh, ja, ich dachte, ich sehe fern, entspanne, du kochst -

Doris: Schmink dir das ab. Du solltest viel lieber mal den Kontakt zu ein paar alten Freunden auffrischen.

Gerhard: Zu wem? (Zappt auf die Tagesschau) Erst mal sehen, was die Kollegen so alles heute angestellt haben.

Jens Riewa (monoton): Der für Tourismus zuständige Staatssekretär im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, Gerd V. Graul, erklärte in einem Interview, Niedersachsen sei nicht angewiesen auf eine Invasion von getönten biertrinkenden Currywurst-Kanzlern -

Gerhard: Das gibt es nicht! Sind wir denn von verrückten Staatssekretären umgeben? Pack sofort die Koffer! Wir fahren nach Hause!

Doris: Also hierhin?

Gerhard: Nein, ins schöne, verträumte, lauschige Berlin. Aber vorher werde ich dem Ministerpräsidenten dieses lächerlichen Bundeslandes -

Doris: Vorsicht, du hast es früher selber mal regiert!

Gerhard: - meine Meinung geigen! (greift zum Telefon, Dauerton im Hörer) Gibt's in diesem verdammten Haus denn keine Vermittlung?

Doris: Du mußt schon selber wählen, Schatz. Laß mich mal machen - ich kenne die Nummer noch ganz gut -

Freizeichen ertönt, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Es wird abgehoben.

Gerhard (geladen): Jetzt hör mal zu, du Pseudo-Ministerpräsident: Wenn dieser Staatssekretär nicht innerhalb von 24 Stunden zurück-

Telefon: -rufbeantworter der Staatskanzlei des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Ich bin zur Zeit im Urlaub in Italien. Wenn Sie Frau Merkel stürzen oder parteiinterne Intrigen anzetteln wollen, sprechen Sie bitte nach dem Piepton. Wenn Sie Herr Schröder sind, legen Sie bitte auf. (Piiiieeep)

Gerhard (wirft erbost den Hörer auf die Gabel): Diesem Streber werde ich seine Werftenhilfen streichen!

***

Zwei Tage später. Die Schröders ernähren sich von Tiefkühlpizza, Dosenravioli und Erna's Schlachtplatte, von Frau Koch gegen weitere "Grüne" eingekauft und zubereitet.

Doris: Gerd. Da kommt gleich im Radio eine interessante Diskussionsrunde zum Thema "Das verflixte fünfte Jahr - verkorkste Reformen, vergrätzte Freunde". Mit Seehofer, Struck, Wulff, Ulla Schmidt, Westerwelle und Trittin.

Schröder: Doris, von denen möchte ich mich doch gerade erholen!

Doris: Interessant sind doch vor allem die Zuhörer, die im zweiten Teil der Sendung anrufen und mitdiskutieren dürfen. Das ist Volkes Stimme!

Eine Stunde später. Schröder hört mit einer gewissen masochistischen Faszination den erbosten Anrufern zu, die die Bundesregierung in die Pfanne hauen.

Doris: Gerd, so geht's nicht weiter! Die manipulieren das doch! Alle, die anrufen, sind gegen dich!

Gerhard: Das läßt sich nachprüfen. (Wählt die Nummer der Talkrunde und wird mit einer Telefonistin eines Call-Centers verbunden)

Telefonistin: Ihr Name?

Gerhard: Ich heiße Gerhard Schröder und bin Bu- (verstellt schnell seine Stimme) Vertreter für Haartönungen.

Telefonistin: Was wollen Sie die Runde fragen oder sagen?

Gerhard: Ich möchte unserem Bundeskanzler zu seiner hervorragenden Arbeit (Knuff von Doris, besinnt sich) ganz bestimmt nicht gratulieren, sondern diesen hochbezahlten Pennern mal meine Meinung sagen!

Telefonistin (erfreut): Warten Sie einen Moment, Sie werden bald ins Studio durchgestellt.

Nach wenigen Minuten, in denen Gerhard in der Warteschleife hängt und dort dem Steuersong lauschen muß, wird er mit der Runde verbunden.

Moderator: Unser nächster Anrufer ist Herr ... (lacht albern) Gerhard Schröder aus Hannover, sicher nicht verwandt oder verschwägert mit dem Bundeskanzler! Herr Schröder, wie ist Ihre Meinung zu der Politik Ihres Namensvetters?

Schröder: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der wo ich bin, macht eine erstklassige Politik. Wir erneuern die Sozialsysteme, wir gehen daran, das Steuerrecht zu reformieren, und dies alles, ohne die kleinen Leute zu schröpfen. Nebenbei, Jürgen und Peter: Ihr hättet euch bei der Diskussion ruhig mehr ins Zeug legen können! Das war schlapp und wird ein Nachspiel haben!

Struck: Eines muß man Ihnen lassen: Sie sind ein wirklich begabter Stimmenimitator, wenn auch nicht perfekt. Es ist schön, daß Sie unsere Politik gut finden, aber ich kann Ihnen versichern, daß Gerhard Schröder doch etwas differenzierter argumentieren würde als Sie.

Moderator: Es war sicher ein netter Scherz, Herr - Schröder aus Hannover, aber wir wollen hier seriös diskutieren. Der nächste Anrufer -

Schröder (erbost): Halten Sie die Klappe! Peter, wenn ich schon undifferenziert argumentiere, dann darf ich dich daran erinnern, daß du noch vor drei Monaten gebrauchte Handgranaten aus Afghanistan kaufen wolltest!

Trittin (gelangweilt): Wir sind als Bundesregierung nun mal gegen Einwegprodukte. Zudem kann man mit gebrauchten Handgranaten keinen Schaden anrichten.

Ulla Schmidt (signalisiert verzweifelt, "Herrn Schröder" aus der Leitung zu nehmen)

Moderator (gehorcht): Der nächste Anrufer ist - Moment - ein Herr Peters aus - Niedersachsen. Schon wieder von dort. Herr Peters, Ihre Meinung.

Peters: Ich bin Jürgen Peters, und wenn ich Mitglied im Kabinett Schröder wäre, würde ich streiken. Offenbar hat mein Vorredner völlig den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Deutschland leidet unter zu niedrigen Löhnen, der viel zu langen Arbeitszeit im Osten und den kapitalistischen Blutsaugern.

Moderator (verzweifelt): Hab ich's denn heute nur mit Spinnern zu tun? Nächster Anrufer bitte: Herr Mustermann aus Kassel:

Mustermann: Alle Politiker sind doch Verbrecher und wollen uns das Fell über die Ohren ziehen. Regierung, Opposition, Gewerkschaften, Justiz: Alles dieselbe Mafia, die die kleinen Leute übervorteilt und ausbeutet!

Moderator: Herr Seehofer, nach den beiden Scherzbolden nun wieder eine ernstzunehmende Stimme aus der Bevölkerung.

Seehofer: Ja, in der Tat, wir müssen auf die Sorgen der kleinen Leute ...

***

Der Rest, verehrte Leser, ist Geschichte: Die Werftenkrise in Niedersachsen, das überraschende Aus für einen bis dahin erfolgreichen niedersächsischen Rundfunksender, der plötzliche Reichtum der Familie Koch und ein diskretes Telefonat von Gerhard Schröder, bei dem er die Adresse einer gutbürgerlichen Pension am Wolfgangsee in Österreich erhielt.