Politik

FLUGHÖHE NULL

Noch zu Zeiten der vormaligen Deutschen Bundesbahn, Kunden der heutigen Deutschen Bahn AG entsinnen sich mitunter dieser guten alten Institution seligen Angedenkens, mietete die Lufthansa als Fluggesellschaft schienengebundene Fahrzeuge an.
Über zehn Jahre, vom 27. März 1982 bis zum 27. Mai 1993, verkehrten Elektrotriebwagen der Baureihe 403 als sogenannter Airport-Express zwischen Düsseldorf und Frankfurt am Main. Die Fahrzeuge wurden dafür eigens in die "Produktfarbe gelb" der Lufthansa umlackiert und erhielten anstatt der üblichen Zugnummern die "Flugnummern LH 1001 - 1008", mit denen sie auch in die Bahnfahrpläne und Kursbücher Eingang fanden.

Heute schon Zug geflogen?

Zur Benutzung dieser als Ersatz für kurze innerdeutsche Fluglinien bestimmten Verbindung berechtigten ausschließlich reguläre Flugtickets. Der Bordservice entsprach dem in der Passagierluftfahrt entsprechendem Standard und wurde selbstredend auch durch Flugbegleitpersonal erbracht. Lediglich die Gestellung der Triebfahrzeugführer erfolgte nach wie vor durch die Bundesbahn. In Lokführerkreisen pflegte man sich seinerzeit scherzhaft mit der Frage zu begrüßen, welchen Zug man den heute fliegen würde.
Heute, im nächsten Jahrhundert angekommen und unter der Flagge der Deutschen Bahn AG firmierend, mag manch einem altgedienten Eisenbahner diese Redewendung in den Sinn kommen und gar übel aufstoßen. Kein geringerer als der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Hartmut Mehdorn höchstselbst, spricht heute lieber von den Piloten der Schiene als von dem althergebrachten Beruf des Lokführers.
Wenn dann allerdings die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) analog zu den Piloten bei der Lufthansa für ihre Klientel einen eigenen Spartentarifvertrag fordert, findet Bahnchef Mehdorn dies weitaus weniger witzig. Dennoch bedient er sich für seine Unternehmenspolitik zahlreicher Anleihen aus dem Bereich des internationalen Luftverkehrs. Dafür wird er nicht zuletzt in seinem Vorstand von ehemaligen Lufthansamanagern beraten.
Selbst die Unternehmensbekleidung, früher kannte man dafür die Bezeichnung Uniform, bezieht die Bahn AG von der Adresse, von der auch das Personal der Lufthansa einkleidet wird.

Neues Preissystem

Deutlichster Ausfluß der Anlehnung an die Gepflogenheiten der Luftfahrt ist jedoch in erster Linie das neue Fahrpreissystem der Deutschen Bahn, welches zeitgleich mit dem sogenannten Jahrhundertfahrplanwechsel am 15. Dezember vergangenen Jahres Premiere feierte. Seitdem ist das Fahrgastaufkommen im Fernverkehr der Bahn dem Vernehmen nach in den ersten beiden Monaten des Jahres 2003 um rund 15 Prozent rückläufig.
Genau das Gegenteil sollte das neue Tarifsystem jedoch bewirken: Mehr Reisende in die Züge bekommen und gar den einen oder anderen Flugpassagier für die Schiene gewinnen. Der sich zunehmend dünnhäutig gebende Mehdorn führt dies auf die schlechte Konjunktur zurück, während es bereits Stimmen gibt, welche das Verbleiben seiner Person an der Spitze der Deutschen Bahn AG zum Ende diesen Jahres gerade von dem Erfolg eben jener Tarifreform abhängig machen.

Mehr Auslastung erhofft

Neben der Erschließung neuer Fahrgastpotentiale versprach sich die Bahn von dem neuen Tarifsystem mehr Preistransparenz und eine bessere und regelmäßigere Auslastung ihrer Züge. Analog zum Flugverkehr sollte die Reservierung beziehungsweise die möglichst frühzeitige Festlegung auf einen bestimmten Zug fortan den Regelfall für den Bahnkunden darstellen. Dem Fahrgast wird dies durch teilweise erhebliche Rabatte honoriert, ebenso muß er jedoch Sanktionen in Form hoher Stornogebühren hinnehmen, sofern er aus welchen Gründen auch immer Umdisponiert oder die Fahrt erst gar nicht antritt.
Mit besonders preisgünstigen Sitzplatzkontingenten in den Zügen versucht man zudem dem Beispiel der Billigflieger nachzueifern. Wer sein Ticket gar über das Internet ordert, kann das Maximum an Preisvorteilen erzielen.
Wenngleich das Fliegen heutzutage für breite Bevölkerungsschichten schon fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, wird das Flugzeug der Bahn niemals den Rang als Massenverkehrsmittel ablaufen - ebenso wie die Bahn derzeit nicht die Zahl der Nutzer des motorisierten Individualverkehrs in Frage stellen kann. Die beiden unschlagbaren Eigenschaften eines Personenkraftwagens liegen darin, jederzeit verfügbar zu sein und seine Insassen in der Regel von Haus zu Haus befördern zu können. Bei der Benutzung des Autos bedarf es vorher keines Blickes in irgendwelche Flug- oder Fahrpläne, keines Vorlaufs einer Reservierung und keiner An- und Abfahrt zu einem Flughafen beziehungsweise einer Bahnstation.
Daraus leitet sich zunächst einmal eine höchstmögliche Flexibilität für den Autofahrer ab, die aber wiederum von solchen Umständen wie überfüllte Straßen und Autobahnen eingeschränkt wird und ihn so auch gewissen Unwägbarkeiten aussetzt. Die Bahn bietet mit ihren auch im Fernverkehr weitgehend vertakteten Fahrplänen auf den Hauptverkehrsstrecken zwischen den großen Städten tagsüber im stündlichen Abstand eine für den Kunden vergleichsweise hohe Verfügbarkeit. Kurzfristiges Disponieren am Ziel- und Abfahrtsort läßt das Verkehrssystem Bahn also durchaus zu.

Bestrafung konsequenter Bahnfahrer

Dieser Umstand wird jedoch durch das neue Tarifwerk konterkariert. Der konsequente Bahnfahrer, der insbesondere bei beruflich bedingten Reisen kaum von vornherein über Datum und Uhrzeit einer Fahrt selbst bestimmen kann, wird von den Verantwortlichen der Bahn mittels Höchstpreis regelrecht abgestraft.
Statt mit einem flexiblen Angebot bei großer Nachfrage den Bedarf nachzukommen, versucht man die Verkehrsströme an dem tatsächlichen Bedarf vorbei über den Preis zu regeln. Zwar wird man mit den sogenannten Schnäppchen den einen oder anderen Flugpassagier auch mal für eine Zugfahrt gewinnen können, ihn aber dadurch nicht dauerhaft als Kunden binden. Wer aber häufig im Inland unterwegs ist und für den die Bahn eine echte Alternative darstellen könnte, wird seine Reiseplanungen allenfalls von einem Blick auf den Fahrplan abhängig machen wollen, nicht jedoch vom Studium von Preistabellen und dem Ausknobeln irgendwelcher Spartarife.
Hier wird eine Klientel verprellt, bei der es sich um potentielle Stammkunden handeln könnte. Da nimmt man lieber gleich das eigene Auto oder reserviert für weitere Strecken mit ähnlich hohem Aufwand gleich einen Sitz im Flugzeug. Denn die eigentliche Konkurrenz für die Bahn stellt der Straßenverkehr dar und in einem weitaus geringerem Maß der Luftverkehr.

Bahn verspielt ihre Stärken

Wer sich der Vorteile und Stärken seines eigenen Verkehrssystems nicht bewußt ist, setzt sich dem Verdacht aus, dieses überhaupt nicht zu kennen und begriffen zu haben. Insofern wird auch Hartmut Mehdorn mittelfristig scheitern, wenn er sich nicht noch rechtzeitig auf die eigenen Möglichkeiten der Bahn besinnt und statt dessen weiterhin versucht, den Luftverkehr auf der Schienenoberkante zu kopieren. Dann droht ihm in der Tat selbst die Versetzung zum fliegenden Personal, nämlich von dem Sitz des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG herunter.