Politik

Dokumentation eines Irrweges

Die Gelegenheit wäre günstig gewesen wie nie. Mit dem Abgang von Ministerpräsident Wolfgang Clement nach Berlin hätte man das unselige Projekt Metrorapid sanft entschlafen lassen und schließlich klammheimlich beerdigen können. Der Gesichtsverlust für die sozialdemokratisch dominierte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hätte sich so noch in überschaubaren Grenzen gehalten.
Peer Steinbrück, Nachfolger des in Düsseldorf ebenso wie in Berlin bislang glücklosen Clement im Amt des nordrhein-westfälischen Landesvaters, wäre bei all den Problemen, die unser Bundesland nicht zuletzt vor dem Hintergrund leerer Kassen vor sich herschiebt, einen Nebenkriegsschauplatz neben vielen anderen los geworden.
Bis dato hatte Clement schließlich wie kein zweiter die Magnetschwebebahn zwischen Düsseldorf und Dortmund mit seiner Person verbunden. Steinbrück jedoch wäre es mit seine Richtlinienkompetenz leicht möglich gewesen, hier andere Prioritäten zu setzen.
Dann jedoch begab es sich, daß die Jungfernfahrt der fertiggestellten Magnetschwebebahn im chinesischen Shanghai vonstatten ging. Man mag dem Geschwindigkeitsrausch erlegen sein, oder der an die deutschen Spitzenpolitikern gereichte Sekt an Bord des Zuges enthielt gar bewußtseinsverändernde Substanzen - plötzlich erhielt das Projekt Metrorapid neuen Aufwind. Ohne Not setzte man sich selbst unter Druck, zur Umsetzung verurteilt, um jeden Preis, koste es - im wahrsten Sinne des Wortes -, was es wolle. Anlaß genug für uns, die Historie des Projekts Metrorapid nachfolgend noch einmal zu dokumentieren:

November 1998

Der Bau der Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin steht auf der Kippe. "Wir helfen dem Zug, damit er ein Exportschlager wird", sagte NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement und bietet in NRW die Strecke zwischen Köln und Düsseldorf an. Hersteller Thyssen-Krupp nennt die Idee "einen Witz".

Februar 1999

Clement legt eine Vorstudie vor, die eine Strecke Dortmund-Düsseldorf für sinnvoll hält - für 6,5 Mill. DM.

April 2000

NRW stellt einen Antrag beim Bundesverkehrsminister für den "Metrorapid", die Kurzstreckenversion des Transrapid.

August 2000

Die Grünen, bislang Gegner, tendieren zu einer "Zustimmung unter gewissen Voraussetzungen".

Oktober 2000

Berlin wählt aus mehreren Bewerbern Bayern und die Ruhrgebiets-Trasse aus.

Juli 2001

Clement und Mehdorn erklären, daß sie den Metrorapid vorantreiben wollen. Gleichzeitig werden Zweifel an der Vorstudie laut, ebenso an der Terminvorgabe 2006.

August 2001

NRW-Verkehrsminister Schwanhold stellt Zuschüsse aus Brüssel in Aussicht. Eine Studie für die Streckenverlängerung nach Köln wird beschlossen.

September 2001

Nach mehrmonatiger Prüfung steht fest: Die Strecke des Metrorapid durchs Ruhrgebiet mit sieben Haltepunkten soll in einer Machbarkeitsstudie überprüft werden. Ein Gutachten der Deutschen Bank attestiert dem "7,2 Mill.-Mark-Projekt" gute Zukunftschancen und die Aussicht auf Überschüsse von bis zu 180 Mio. Mark jährlich.

Januar 2002

Die Machbarkeitsstudien von Bayern und NRW ergeben: Beide Strecken "rechnen" sich. Für NRW prognostiziert: 35 Millionen Fahrgäste jährlich; die Strecke soll nun rund 2,6 Milliarden Euro kosten, die Züge rund 575 Millionen Euro.

Februar 2002

Alles wankt: Die Bundesmittel, auf die NRW fest setzt, sind frühestens 2004 eingeplant, sagt Eichel - und beschlossen habe sie der Bundestag auch noch nicht. Wenige Tage später folgt eine definitive Zusage aus Berlin, 2003 werde Geld fließen. Ende Februar Überraschung: Clement verkündet, der Metrorapid werde zur Fußball-WM 2006 sogar bis Köln fahren.

März 2002

Clement nennt den Metrorapid "ein solitäres Glanzstück". Währenddessen mehren sich die Stimmen gegen die "teure Bimmelbahn durch das Ruhrgebiet". Die Stadträte Essen und Düsseldorf lehnen ab.

April 2002

Die Machbarkeitsstudie wird in Zweifel gezogen - sogar von der Deutschen Bahn, die entscheidende Teile "unrealistisch" nennt - auch die Fahrgastprognosen.

Mai 2002

Trotz aller Differenzen schließen Land und Bahn einen Dienstleistungsvertrag. Derweil bemängelt der Bundesrechnungshof die Berechnungen der Länder: Der Metrorapid werde sich nicht rechnen, eine "Bau- und Realisierungswürdigkeit sei nicht gegeben".

Juli 2002

Land und Bahn schließen einen Vertrag für eine Projektgesellschaft Metrorapid, aus der die Bahn ausscheiden kann, wenn "ein wirtschaftlicher Bau und Betrieb" nicht gewährleistet ist. Die Bezirksplanungsräte Düsseldorf, Arnsberg und Münster lehnen die Strecke ab.

September 2002

Bahnchef Mehdorn hegt Zweifel am Metrorapid, die Geschäftsgrundlage müsse noch einer "dreimaligen Prüfung unterzogen werden".

November 2002

Berlin will erst über die Verteilung der Bundesmittel in Höhe von 2,3 Milliarden Euro entscheiden, wenn NRW und Bayern tragfähige Finanzierungsmodelle vorgelegt haben.

Januar 2003

Bei der Jungfernfahrt des Metrorapid in Shanghai wird festgeklopft: Es gibt 250 Millionen Euro mehr Geld aus Berlin für NRW - wenn das Hersteller-Konsortium 200 Millionen Euro drauflegt.

Februar 2003

Nach Streit der rot-grünen Koalition wird ein gemeinsames Finanzierungskonzept zu Lasten Dritter vorgelegt.
Die Gesamtkosten werden zur Zeit mit 3,2 Milliarden Euro veranschlagt, davon soll der Bund 2,3 Milliarden übernehmen. Weitere 200 Millionen Euro sollen die Transrapid-Hersteller aufbringen. Die verbleibenden 800 Millionen Euro müssen über einen Kredit finanziert werden.
Zudem entwickelt die Landesregierung bei der Mobilisierung der notwendigen Gelder eine erstaunliche Phantasie und Kreativität. So gibt es derzeit Bestrebungen, zugunsten des geplanten Metrorapid die Zweckbindung des Landeswohnungsbauvermögens aufzuheben.
Hier droht dem Wohnungsbau mit dem Wegfall öffentlicher Mittel genau das, was auch der öffentliche Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen für sich schon längst befürchtet: Daß der Metrorapid die notwendigen Investitionen für den konventionellen Nahverkehr im erheblichen Ausmaß gefährdet.

Besser S-Bahn-Ausbau

Dabei sind die Investitionskosten für den Metrorapid nur die eine Seite der Medaille. Ebenso kritisch und unter langfristigen Gesichtspunkten sind nach einem getätigten Investment die Betriebskosten zu betrachten. Ob die Fahrgastzahlen jemals dazu ausreichen, die Betriebskosten zu decken geschweige denn die Investitionskosten zu refinanzieren und gar einen Gewinn einzufahren, ist höchst umstritten.
Insbesondere der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und die unter seinem Dach zusammengeschlossenen Verkehrsbetriebe zweifeln dies nachhaltig an. Sie argumentieren vielmehr, daß ein konsequenter Ausbau des bestehenden S-Bahn-Systems für nur einen Bruchteil der Metrorapid Investitionen zu haben sei,. was den Fahrgästen insgesamt einem leistungsfähigeren und attraktiveren Nahverkehr mit einem breiteren Nutzungsgrad einbrächte.

Zusätzliche Subventionen

Umsteiger in einen künftigen Metrorapid würden zudem für andere Verkehrsunternehmen als zahlende Kunden ausfallen und so einen zusätzlichen Subventionsbedarf durch die öffentliche Hand nach sich ziehen. Man schafft sich damit eine hausgemachte und somit sinnlose Konkurrenz. Bei der angestrebten Verlängerung des Metrorapid über Düsseldorf hinaus nach Köln wird das Thema aufgrund der zwangsläufigen Streckenführung für Leverkusen weiterhin die Tagesordnung beherrschen.