Politik

Wer die Wahl hat ...

In letzter Zeit wird immer öfter die Forderung erhoben, die Wahlperiode des Bundestages auf fünf Jahre zu verlängern. Zwar sind alle Parteien im Bundestag mehr oder weniger stark dafür, aber bisher scheiterte eine entsprechende Verfassungsänderung daran, daß SPD und Grüne im Gegenzug plebiszitäre Elemente (Volksinitiative und Volksentscheid) auf Bundesebene wollten, was die Union wiederum als Schwächung der repräsentativen Demokratie ablehnte.
In den letzten Tagen waren nun neue Töne zu hören: Es hieß, SPD und Grüne wollten einer Verlängerung auch ohne plebiszitäre Elemente zustimmen.
Angeblich verschafft die längere Frist der Regierung den Spielraum, notwendige Projekte mit längerem Atem anzugehen, ohne schon nach spätestens drei Jahren wieder im Wahlkampfstreß zu stehen.
In Wirklichkeit ist diese Argumentation äußerst fragwürdig. Ein klassisches Gegenbeispiel ist die NRW-Landesregierung, die in den letzten 30 Jahren, nur alle fünf Jahre von Wählervoten behelligt, ihrer tiefen Mittelmäßigkeit frönen konnte. Mehr Druck durch drohende Wahlen würde vielleicht manches beschleunigen.
Hinzu kommt: Angesichts der zahlreichen Bundesländer werden immer irgendwo Wahlen sein - Entschuldigungen für aufgeschobene Reformen wird die Bundesregierung immer finden.
Die Länge der Wahlperiode ist ein Kompromiß zwischen Arbeitsfähigkeit der Regierung und den demokratischen Rechten der Bürger. Je länger die Wahlperiode dauert, desto stärker werden diese Rechte eingeschränkt. Wer heute 20 Jahre alt ist und (bei gesundem Essen, Sport und Verzicht auf Rauchen) 80 Jahre und älter wird, geht in seinem Leben bei einer Verlängerung der Wahlperiode etwa drei bis vier Mal weniger zur Bundestagswahl.
Nein: Vier Jahre sind ein guter Kompromiß. Eine Verlängerung dient ausschließlich der Bequemlichkeit der Gewählten auf Kosten der Rechte der Wähler. Das gilt übrigens auch für die Opposition, die leicht dazu neigt, sich bequem einzurichten und immer mehr an Spannkraft zu verlieren.
Wie sehr Wahlen erfrischen können, haben die letzten in Hessen und Niedersachsen ja bewiesen. Man mag mit dem Ergebnis hadern; aber die Botschaft der Wähler ist unmißverständlich. Selbst die Schröder-Wahl von 1998 hatte ja nicht nur negative Aspekte.
Plebiszitäre Elemente als Ersatz für häufigere Wahlen: Diese Argumentation der Grünen überzeugt nicht, denn im Gegensatz etwa zur Schweiz, deren Regierung nicht vom Parlament gewählt, sondern durch die sogenannte Zauberformel bestimmt wird, wählt bei uns die Parlamentsmehrheit die Regierung (bzw. den Kanzler).
Die Parlamentsmehrheit ist also für den Bürger extrem wichtig; sie entscheidet über die Grundrichtung der Politik. Daher haben Länge der Legislatur und Plebiszite im Grunde in unserem System nichts miteinander zu tun.
Es ist frustrierend, daß die Wähler selbst von ihrem Wahlrecht nicht viel zu halten scheinen. In schönster Untertanenmanier trabten die Hessen vor einigen Monaten zu den Wahlurnen und beschlossen per Volksabstimmung die Beschneidung ihrer eigenen Rechte, die alle (!) Parteien empfohlen hatten. Stattdessen hätten die Hessen besser die Todesstrafe abgeschafft (Art. 21,1 - gottseidank bricht Bundesrecht hier Landesrecht) oder das passive Wahlrecht von 21 auf 18 Jahre gesenkt (Art. 75,2).
"Die da oben" sind keineswegs alle gleich. Nur Denkfaule machen keine Unterschiede. Wählen verändert (zugegeben: nicht immer zum Besseren - das ist aber das Risiko), Wählen macht Spaß, und Wählen bricht Verkrustungen auf. Wollen wir wirklich noch mehr verkalken?