Editorial

Gespaltenes Frankreich

Präsidentschaftswahlen erschüttern die Demokratie

Selbst die Franzosen schienen nicht glauben zu wollen, dass die Rechte in ihrem Land so stark geworden ist. Die extrem Rechten waren bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen so stark, dass ihr Spitzenkandidat Jean Marie Le Pen den sozialistischen Regierungschef Lionel Jospin überholte. Zwar gewann der amtierende Präsident Chirac den zweiten Wahlgang gegen Le Pen, doch war dies ein eher bitterer Sieg.

Krokodilstränen

Ganz Frankreich schien geschockt und äußerte seinen Protest gegen Le Pen in Massendemonstrationen. Sogar die Linken forderten die Bevölkerung auf, den konservativen Neogaullisten Chirac zu wählen und auch die Intellektuellen forderten dies. Doch diese Forderungen erinnern stark an das Sprichwort: "In der Not frisst der Teufel fliegen". Die Proteste gegen den rechtspopulistischen Le Pen und die Aufforderung konservativ zu wählen scheinen aber angesichts der Situation in Frankreich etwas scheinheilig. Dass die Rechte in Frankreich erstarkt wusste man nicht erst seit gestern, denn bereits bei den Parlamentwahlen 1997 gelang es ihnen viele Stimmen auf sich zu vereinigen. Es scheint ebenfalls so als sein die Franzosen, ähnlich wie wir Deutschen, demokratiefaul geworden. In Frankreich wurde der Fehler begangen, der auf Dauer zu einer Katastrophe in einer Demokratie führen muss: Die Menschen gehen nicht mehr zu den Wahlen. Hätten sich mehr Menschen an der Wahl beteiligt, dann wären die Protestwähler und die Stammwähler von Le Pen weniger stark ins Gewicht gefallen und die Stichwahl hätte zwischen Sozialisten und Konservativen stattgefunden. Die Menschen haben nach dieser Wahl hoffentlich erkannt, dass eine Demokratie davon lebt, dass jeder aktiv an ihr teilnimmt und von seinem RECHT zu wählen Gebrauch macht.
Deutschland sollte aus den Fehlern der Nachbarn lernen, wenn es schon nicht im Stande ist aus den eigenen zu lernen. Deutschland würde man einen solchen rechten oder linken Schlenker aufgrund unserer Vergangenheit nicht so leicht verzeihen, wie den Franzosen. Deshalb sollte jeder, der Demokratie nicht nur als Selbstverständlichkeit begreift, sondern als Privileg, das es zu verteidigen gilt, am 22. September seine Stimme bei den Bundestagswahlen abgeben.

Die Parteien tragen eine Mitschuld

Man darf es aber nicht nur den Bürgern ankreiden, dass Le Pen so stark wurde. In vielen europäischen Ländern haben es die etablierten Parteien versäumt, Antworten auf die Fragen der Bürger zu finden. In einer globalisierten Welt, die sich für den einzelnen rasant und dramatisch verändert, suchen die Menschen nach einfachen Lösungen aber seriöse Wege sind in der Politik selten einfach und so wenden sich viele Menschen den Parteien zu, die scheinbar einfache Lösungswege liefern. Leider sind dies meist unseriöse Parteien, egal ob rechte Parteien in Frankreich oder Parteien von beiden Seiten, wie in Deutschland die PDS oder DVU usw..

Konsequenzen

Die Konsequenz aus den Wahlergebnissen ist, dass Chirac eigentlich nur zweite Wahl ist und dass die Konservativen und die Sozialisten versuchen müssen ihre Zersplitterungsprozesse aufzuhalten. Die wichtigste Konsequenz sollte aber sein, dass das Protestieren nach der Wahl ganz nett ist, dass eine Demokratie aber von Diskurs und der aktiven Teilnahme ihrer Bürger lebt.

M.P.