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Buchkritik: Eine Abrechnung mit Internet- und Computer-Mythen

Dieser Tage wurde der Versuch eines gerichtlichen Vergleichs zwischen der Firma Microsoft und privaten Sammelklägern von einem Richter gestoppt. Microsoft wollte, um die lästige Klage vom Bein zu haben, eine Milliarden-Dollar-Summe an schlecht ausgestattete Schulen spenden - aber nicht in erster Linie in bar, sondern in Naturalien, also Software. Der Richter stellte sich jedoch auf den Standpunkt, daß Microsoft auf diese Weise seinen Marktanteil im Schulbereich (wo auch Konkurrenten wie Apple und Linux stärker vertreten sind als im Geschäftsleben) unangemessen vergrößern würde. Und das würde den Sinn einer Strafe ja auf den Kopf stellen.
Die Grundidee wurde jedoch auch vom Richter gebilligt: Software an schlecht ausgestattete Schulen zu spenden anstatt Tausende von Klägern mit kleinen Dollarbeträgen abzuspeisen.

Skepsis wecken

Was würde wohl Clifford Stoll davon halten? Wahrscheinlich rein gar nichts. In seiner famosen Streitschrift "Logout. Warum Computer nichts im Klassenzimmer zu suchen haben und andere High-Tech-Ketzereien" attackiert der Autor die zunehmende Neigung, Computer und Internet nicht als Mittel, sondern als Zweck anzusehen.
Dabei ist Stoll alles andere als ein technikfeindlicher Gruftie. Er ist Physiker, Astronom, Programmierer, Internet-Pionier und sagt von sich, daß er Computer liebe, aber befürchte, daß sie durch "hemmungslos übertriebene Versprechungen in Mißkredit geraten".
Im Vorwort betont Stoll, das Buch sei kein Manifest gegen Technik; es solle aber die Skepsis gegenüber den "utopischen Träumen der digitalen Wunderwelt" wecken. Und das tut es dann auch. Computer und Internet lassen soziale, intellektuelle und kulturelle Fähigkeiten verkümmern, so Stoll. Und ganz besonders ärgert ihn der völlig unkritische Einsatz von Computern im Schulbereich.

Der zu kleine Fernsehturm

Hier schlägt er gnadenlos zu. Stoll verdammt sogar den Einsatz von Taschenrechnern im Matheunterricht, weil er Kopfrechnen und tieferes Verständnis blockiere (er erwähnt etwa eine Schülerin, die kritiklos die Höhe des Fernsehturms von Toronto mit 0,0034117 Millimetern angab). An der an US-Schulen grassierenden Laptop-Manie läßt er kein gutes Haar, auch aus ganz praktischen Gründen ("in den Händen von Kindern überleben sie kaum ein Jahr"). Den besseren Lehrern gehe es nicht um die Pensionsberechtigung, sondern "um die Rückmeldung auf den Unterricht - ein Lächeln, ein ,Kapiert!? Gerade das geht aber durch die Technisierung der Schule verloren".
Der diesen Auswüchsen zugrundeliegenden Denkfaulheit von Lehrern, Schulleitern und Politikern, die sich einbildeten, Computer und Internet verbesserten das Lernen, steigerten das Gemeinschaftsgefühl und machten Schulbibliotheken überflüssig, versucht Stoll entgegenzuwirken.
Mit der auch in Deutschland populären These, das Wissen würde sich alle paar Jahre verdoppeln und daher müßten die Schulen via Computer darauf eingerichtet werden, räumt Stoll auf. Seiner Ansicht nach hat sich das grundlegende Schulwissen seit 30 Jahren nur wenig geändert. Hingegen bezweifelt er, daß die Computer von heute auch in fünf Jahren noch zu etwas nutze sind, während Bücher, die bei der Schulausstattung in direkter Konkurrenz zur Digitaltechnik stehen, auch nach Jahrzehnten genauso funktionieren wie am ersten Tag (falls sie nicht ruiniert wurden).
Stolls polemischer und bewußt einseitiger Rundumschlag macht auch vor den allgemeinen Computer-Ärgernissen nicht halt. Warum, fragt er sich verzweifelt, sind alle Computer (Ausnahme: Apple) so potthäßlich? Warum schafft es die Softwareindustrie nicht, ein funktionierendes Programm auf den Markt zu bringen? Warum wird Software immer komplexer, anstatt sie erst einmal zuverlässig zu machen? Warum sind Computer-Hotlines meist inkompetent? Warum läßt man öffentliche Bibliotheken verfallen und investiert statt dessen in Technik, die von den Nutzern nicht angenommen wird?
Überhaupt die Bibliothekare. Stoll beklagt das rapide Schrumpfen ihres Ansehens in der Öffentlichkeit, obwohl gerade ihr Berufsstand paradoxerweise wie kein anderer dazu geeignet war und ist, Informationen aufzuarbeiten und bereitzustellen. Statt dessen glaubt man, sie durch Maschinen ersetzen zu können - ein fataler Irrtum, wie der Autor zu Recht meint.
Ein besonders verdienstvolles Kapitel heißt "Die PowerPoint-Pest". Alle, die bereits unter PowerPoint-Vorträgen gelitten haben, wissen, was er meint: "Ein langweiliger Diavortrag, ergänzt mit belanglosen Knalleffekten". Grantig läßt er vor dem geistigen Auge des Lesers Abraham Lincoln erscheinen, der die berühmte Rede von Gettysburg mit PowerPoint hält: "Fett hervorgehoben würde er die Highlights an die Wand projizieren: ,eine neue Nation?, ,im Schoße der Freiheit empfangen? und ,alle Menschen sind gleich geschaffen?". Oder die (reale) evangelische Kirchengemeinde, die für 160.000 Dollar ein Videoprojektionssystem mit PowerPoint als Herzstück erwarb und nun die wichtigsten Punkte der Predigt auf die Leinwand werfen läßt. Stoll sarkastisch: Es "spart im übrigen auch noch einige hundert Dollar für Gesangbücher".

Fazit

Stolls Buch ist manchmal einseitig und polemisch, und seine Einwände gegen bestimmte Techniken schießen manchmal übers Ziel hinaus. Aber das alles ist durchaus gewollt. In Deutschland, wo die PISA-Studie den Blick darauf gerichtet hat, daß kulturelle Grundtechniken wie Lesen und Rechnen bei Schülern im Argen liegen, müßte "LogOut" eigentlich verstanden werden, vor allem wenn man es als das erkennt, was es ist: Eine erfrischende Streitschrift.
Aber das Buch gibt auch ganz praktische Tips. Was soll man etwa mit einem alten Computer anstellen? Für moderne Software ist er längst zu langsam. Schenkt man das Gerät etwa einer Schule, verlagert man das Problem nur dorthin. Stoll präsentiert daher zwei originelle Vorschläge: Seinen 10 Jahre alten Apple Macintosh baute er mit Glasscheiben, Dichtmasse und Heftpflaster zum MacQuarium um, in dem sich nun drei Goldfische tummeln; und den alten PC von IBM hat er zum Katzenklo umfunktioniert.

Clifford Stoll: LogOut. Warum Computer nichts im Klassenzimmer zu suchen haben und andere High-Tech-Ketzereien. S. Fischer, ISBN 3-10-040220-0, 14,90€

G.D.