Editorial

Vom Schmuddelkind zur Universaleinheit

Welche Aufgaben soll die Bundeswehr noch übernehmen?

Man muss sich schon die Augen reiben. Kaum 10 Jahre ist es her, da wurde vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt, ob ein deutscher Offizier an einem AWACS-Aufklärungsflug über der Adria teilnehmen darf oder nicht. Heute ist die Bundeswehr an mehreren Konflikten gleichzeitig in großem Umfang beteiligt. Hätte man vor 10 Jahren gesagt, dass die Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen, von denen Teile 1990 die Abschaffung der Bundeswehr forderten, heute die Zustimmung zu bewaffneten Auseinandersetzungen geben würde, er wäre vermutlich als Spinner ausgelacht worden.

Bundeswehr stößt an personelle Grenzen

Ob uns Deutschen dieser Zustand nun gefällt oder nicht: Die Nachkriegszeit ist vorbei. Deutschland und seine Armee sind eine "normale" Nation unter vielen geworden. Friedenssicherung, notfalls auch außerhalb des NATO-Gebiets, gehört heute zur Tagesordnung. Immer mehr Aufgaben werden der Bundeswehr angetragen. Nach Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien beschloss der Bundestag im Rahmen einer von Bundeskanzler Schröder gestellten Vertrauensfrage den Afghanistan-Einsatz mit den Stimmen der Koalition. Die ist bereits der vierte parallele Auslandseinsatz.
Dies bringt die Bundeswehr in starke Bedrängnis, da der Verteidigungshaushalt seit der Wiedervereinigung real immer weiter geschrumpft ist. Schon jetzt reicht das Geld hinten ohne vorne nicht. Die Gesamtstärke der Streitkräfte sinkt immer weiter.
Doch statt mehr Geld zu bekommen, soll die Bundeswehr immer neue Aufgaben übernehmen. In Teilen der Union wurde gar gefordert, im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen. Sinn und Zweck sei es, die Polizeikräfte vom Objektschutz zahlreicher öffentlicher Gebäude zu entlasten und so mehr Polizei für die Verbrechensbekämpfung freizustellen. Darüber hinaus sollen die Streitkräfte die Polizei beim Umgang mit gefährlichen, waffenfähigen Substanzen unterstützen, die von Terroristen bei Anschlägen eingesetzt werden.

Bundeswehr 2. Polizei?

Diese Forderung sollte man äußerst kritisch sehen. Es ist zwar richtig, dass insbesondere die Berliner Polizei durch Objektschutz massiv überlastet ist, aber Bundeswehrsoldaten können kaum als vollwertiger Ersatz angesehen werden.
Weite Teile der Streitkräfte sind kaum in der Lage, ihre eigenen Kasernen und Liegenschaften zu bewachen. Schon jetzt müssen kleine Garnisonen auf zivile Wachdienste zurückgreifen, da wegen der kurzen Dienstzeit der Wehrpflichtigen und gekürzter Grundausbildung nur wenige den Status des Wach- und Sicherungssoldaten erreichen.
Aufgrund ihrer Struktur, die im Grunde immer noch darauf ausgelegt ist, "den Russen" aus dem Osten massiv mit schweren Panzertruppen zu bekämpfen, muss die Bundeswehr den Großteil ihrer Zeitsoldaten und freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen für die o.a. Auslandseinsätze abstellen. Schon jetzt beklagt die Truppe, dass Ablösungen nur mühsam aufrechterhalten werden können. Weite Teile der Bewaffnung und Kommunikationseinrichtungen gelten als Museumsstücke.
Die Forderungen, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen, ist also höchst problematisch. Wer will schon statt eines Polizisten, der immerhin zwischen 2 1/2 und 3 Jahren ausgebildet wird, einen völlig unerfahrenen und in Polizeitaktik nicht ausgebildeten, aber schwerbewaffneten Wehrpflichtigen vor einem Bundesamt stehen haben? Wohl niemand.
Vielmehr sollen hier Haushaltskürzungen im Bereich des Polizeidienstes kaschiert werden. Was die Personalkosten angeht, ist ein Soldat im Mannschaftsrang gegenüber einem Polizisten konkurrenzlos billig. Leider entspricht seine Ausbildung aber nicht den ihm zugedachten, neuen Aufgaben.

Wer die Musik bestellt.....

Um es klarzustellen - die Bundeswehr ist keine fleckgetarnte, zweite Polizeitruppe. Die Hysterie des 11. September darf nicht dazu führen, dass die Trennlinie zwischen Polizei und Militär ohne Not verwischt wird. Schon jetzt bietet das Grundgesetz genug Spielraum für einen Einsatz von Streitkräften zur Unterstützung der Polizei - z.B. im Katastrophenfall oder im Rahmen der Amtshilfe (Tornadoeinsatz zur Luftaufklärung vermisster Kinder, Oderbruch etc.). Im Umgang mit Kampfstoffen (atomar, biologisch und chemisch) kann und soll das Militär natürlich die Polizei unterstützen.
Wer aber mehr Polizei will, der muss sie auch bezahlen. Die gleichen Politiker, die die Polizei jahrelang kaputt gespart haben und es nach dem 11. September immer noch tun, beklagen sich heute darüber. Genau wie unser Bundeskanzler, der vor seinem Abgang als Ministerpräsident in Niedersachsen dort Hunderte Stellen bei der Landespolizei abbaute.
Das gleiche gilt für die Bundeswehr. Wer aus ihr eine weltweit einsetzbare Universaltruppe zur Krisenbewältigung machen will, der muss auch für eine ausreichende Finanzierung sorgen, was aktuell durch die schwache Wirtschaft und die wegbrechenden Einnahmen für den Staat kaum zu schaffen sein wird. Man muss also realistisch sein. Die Bundeswehr kann, bis auf wenige Ausnahmen bei ihren Spezialeinheiten und "Mustertruppen", nicht in großem Umfang auß:erhalb der NATO eingesetzt werden.

Miwi