Satire

Die Früchte des Grauens

Oder: Das Ende eines Stammtisches

Stammtisch in der rheinischen Provinz. Das Frührentnerehepaar Friedhelm und Gisela Müller-Steinfeld, Handwerkermeister Heinrich Stahltal, Informatiker Michael Roosen und der Lehrer Georg Scholz sprechen in ihrer Lieblingskneipe "Waldschlösschen" dem Bier zu.

Scholz: (zündet sich eine Zigarette an): Stellt euch mal vor, wen ich in Mallorca auf dem Flughafen getroffen habe. (gibt sich selbst die Antwort) Rudolf Scharping.
Stahltal: Womit ist der denn geflogen? Mit Wolke sieben?
Frau Müller-Steinfeld: Und war die Gräfin auch dabei?
Stahltal: Und hat sie ihren Flug bezahlt?
Roosen: Sie wäscht ihre Hände in Unschuld, wie alle ihre Vorfahren auch.
Müller-Steinfeld: Du verwechselst das mit Pilatus ...
Frau Müller-Steinfeld: ... und außerdem ist das nicht ihr Mädchenname. Aber warum müßt ihr Männer wieder mal über den verliebten Mann herziehen! Ihr seid unromantisch!
Stahltal: Nein, wir sind Steuerzahler und müssen den ganzen Driß bezahlen. (Wendet sich an Scholz) Und du bezahlst ja demnächst dem Scharping seine neuen Panzer.
Roosen: Von wegen: In Wirklichkeit rauche ich für Schily, die Amerikaner und den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus.
Müller-Steinfeld: (zündet sich demonstrativ eine Zigarre an) Dann werde ich mir diese kleine Lebensfreude wohl am Jahresende abgewöhnen müssen, weil der Staat mir dieses mißgönnt.
Stahltal: Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner raucht. Dann muß Herr Eichel seine Haushaltslöcher anders flicken.
Frau Müller-Steinfeld: Also ich finde das erschreckend und abstoßend, wie der Schily plötzlich unsere Grundrechte mit Füßen tritt. Wenn das allerdings zur Folge hätte, Friedhelm, daß du nicht mehr dauernd unsere Gardinen vollqualmst und ich sie alle vier Wochen waschen muß, dann hätte es wenigstens noch was Gutes.
Müller-Steinfeld (empört): Gisela!
Roosen (sardonisch): Tja, Gisela, ich meine ja, daß wir zur Zeit keine Parteien mehr kennen. Rauchen - oder in deinem Fall: Waschen - ist erste Bürgerpflicht (wird von Hustenkrampf unterbrochen).
Scholz (verärgert): Dieses ganze Gerede ist doch völlig unsinnig. Zigarren sind von der Tabaksteuer befreit. Oder warum, meint ihr, raucht unser Kanzler Zigarren?
Stahltal: In den heutigen Zeiten grenzt das an das Verhalten eines vaterlandslosen Gesellen.
Müller-Steinfeld: Aber bei der Versicherungssteuer bin ich dabei.
Stahltal (zum Wirt gewandt): Noch mal für alle dasselbe!
Müller-Steinfeld: Und für mich bitte einen Apfelpfannkuchen.
Wirt: Kommt gleich.
Frau Müller-Steinfeld: Also ich verstehe gar nicht, was die ganze Welt plötzlich gegen Afghanen hat. Unsere Nachbarn, die Protzners, haben auch einen.
Alle: Heee?
Stahltal: Also mir käme keiner ins Haus! Meiner Tochter würde ich was husten!
Frau Müller-Steinfeld: Wieso? Er haart zwar ein bißchen, aber er ist durchaus stubenrein zu bekommen. Gut, die Nachbarn gucken schon mal erschreckt, wenn sie zu Besuch kommen ... und letztens hat er sogar jemanden angesprungen ...
Stahltal (rot angelaufen): Das würde ich mir verbeten!
Frau Müller-Steinfeld: Och, ich bin auch schon mit ihm auf der Straße gewesen. Zwar ist er etwas wild, hat aber hinter seinen zotteligen Haaren ein Herz aus Gold.
Herr Müller-Steinfeld: Angesichts der Weltlage würde ich trotzdem dafür plädieren, daß nicht nur die Raucher und Versicherungsnehmer, sondern auch die Afghanen bluten müssen -
Scholz: - und erst mal die Tretminen! Unmöglich!
Roosen (schreckt auf): Das mit dem Bluten finde ich geschmacklos angesichts dieser Bilder im Fernsehen!
Scholz: Und außerdem kommt die Hundesteuer ja ausschließlich den Kommunen zugute.
Stahltal (nachdem er seine Fassung wiedergefunden hat): Sag das doch gleich, daß du die Hunde meinst! Ich dachte schon, einer von diesen Terroristen hätte sich eingeschlichen!
Scholz: Einer? Die sind schon zu Tausenden hier.
Stahltal: Wenn ich allein schon den Namen Atta höre -
Frau Müller-Steinfeld: Hab ich auch im Schrank. Ein weißes Pulver ...
Roosen: Gisela: Damit macht man keine Witze. Das sind Bakterien!
Frau Müller-Steinfeld: Falsch! Es steht ausdrücklich auf der Packung: "Antibakteriell".
Roosen (leise): Friedhelm, wie hältst du das aus?
Südländisch aussehender Kellner: Wer haben bestellt Apfelpfannkuchen?
Müller-Steinfeld: Hier. - Danke. (scherzhaft) Da ist ja weißes Pulver drauf.
Stahltal (mustert scharf den neuen Kellner): Hmmm. Pulver. Ein neuer Kellner, der durchaus aus Afghanistan oder Arabien kommen könnte.
Scholz: Ich habe kürzlich gelesen, daß diese unauffälligen "Schl&quml;fer" darauf aus sind, Panik unter der Bevölkerung auszulösen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht.
Müller-Steinfeld (mit vollem Mund): Aber doch nicht Apfelpfannku-
Frau Müller-Steinfeld: (entschieden): Friedhelm, du ißt das nicht. Spuck das wieder aus.
Müller-Steinfeld (schluckt demonstrativ): Da ist schon kein Atta drauf!
Frau Müller-Steinfeld: Laß mal riechen. (Greift nach dem Teller ihres Mannes)
Roosen (hysterisch): Um Gottes Willen! Willst du Lungenmilzbrand bekommen? (Wirft sich ihr in den Arm, der Teller entgleitet ihrer Hand und zerschellt samt Pfannkuchen auf dem Tisch, wobei sich eine kleine Wolke aus vermeintlichem Puderzucker über den Tisch breitet.)
Südländisch aussehender Kellner: (erscheint mit einer Schale Erdnüsse in der Hand) Kleine Aufmerksamkeit von Haus für Stammtisch, hat Wirt ges- was sein das hier für Sauerei? Pfannkuchen nix gut?
Stahltal (in der Krise kühl bis an die Haarspitzen): Ein Telefon. Die Polizei muß her. (Begibt sich zum altmodischen Kneipen-Bakelitapparat)
Kellner: Wieso? Nix Polizei!
Roosen: Er hat recht. Mit Terroristen werden unsere biederen Wachtmeister nicht fertig. Am besten gleich ein Sondereinsatzkommando. Und die Bundeswehr zum weiträumigen Absperren.
Scholz: Und den Katastrophenschutz!
Frau Müller-Steinfeld: Und unseren Hausarzt für den armen Friedhelm. Und für uns natürlich auch. Wenn ich bedenke, daß ich Atta jahrelang eingeatmet habe! Alarmiert von dem Lärm stampft der Wirt herbei.
Wirt: Was soll das? (erbost) Habt ihr denn alle den Verstand verloren? (zu Roosen) Laß Ahmed los!
Alle (durcheinander, mit Servietten vor dem Mund): Raus hier - spontane Festnahme - ein Schläfer unter deinem Dach - paß nur auf wegen Beihilfe - bald statt Waldschlößchen Schloß und Riegel -
Ahmed (beginnt inzwischen den Pfannkuchen wegzuräumen)
Stahltal: Das ist Vernichtung von Beweismaterial! (Baut sich drohend vor Ahmed auf)
Wirt: Ihr habt sie ja nicht mehr alle! Ahmed ist ein lieber Junge, außerdem ist er mein Neffe aus Kreuzberg. Und jetzt raus hier. Euer Stammtisch hier ist beendet. Für immer! (Schubst Stahltal von Ahmed weg, ein undurchschaubares Handgemenge entwickelt sich)
(Einige Minuten später. Eine Horde Mitarbeiter des Katastrophenschutzes, flankiert von Polizisten und Scharfschützen des SEK, MEK und BdK, stürmen das Waldschlößchen.

Polizist (in Vollschutzkleidung): Alles auf den Boden! Wo ist der Kerl?
Funkgerät (knatternd): Haben Sie da drinnen alles im Griff?
Polizist: Ja. Einen Apfelpfannkuchen.

G.D./M.P./K.R.