Leverkusen

Die Rückrufaktion

Was ist los bei Bayer?

Rückrufaktionen bei Autos, kontaminierte Babynahrung, chemische Stoffe in belgischen Eiern, all das sind wir mittlerweile schont gewohnt. So konnten uns die Nachrichten über verstorbene Viagra-Patienten gar nicht schocken, zumal man sagt, sie hätten noch jede Menge Spaß vor ihrem Ableben gehabt und seien mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben.
Doch was jetzt im Hause Bayer vor sich geht, dürfte wohl nur der Minderheit unter uns ein schelmisches Grinsen aufs Gesicht zaubern. Denn auch Bayer hat seit jüngster Zeit Schwierigkeiten mit einem seiner Medikamente. Die Rede ist hier von dem cholesterinsenkenden Präparat Lipobay oder, wie es in den USA genannt wird, Baycol.

Nebenwirkungen

Im Zusammenhang mit diesem Medikament ist eine Häufung von Todesfällen zu beobachten, die das Normalmaß überschreitet. Insbesondere in den USA ist von einigen Dutzend Toten die Rede, die mit Lipobay behandelt wurden. Ein Umstand, der sich für Bayer sehr negativ auswirken könnte. Schließlich ist bekannt, dass die Schadensersatz- und Schmerzensgeld-beschlüsse amerikanischer Gerichte sehr viel höher ausfallen als die ihrer europäischen und insbesondere ihrer deutschen Pendants.
Die ersten Sammelklagen amerikanischer Angehöriger sind bereits eingereicht, und sollte Bayer Fahrlässigkeit nachgewiesen werden, so muss man sich dort auf ein Loch in den Kassen einrichten, das wohl einige Milliarden Dollar groß sein wird.

Ungewisse Zukunft

Eine solche finanzielle Belastung, die durch die Ansprüche deutscher Kläger noch vergrößert werden könnte, bringt auch einen großen Konzern wie Bayer ins Straucheln. Schon die bloße Möglichkeit, dass Bayer ein Gerichtsverfahren verlieren könnte zwingt den Aktienkurs bereits seit Tagen in die Knie. Dieser Effekt wird auch noch dadurch bestärkt, dass die Rücknahme von Lipobay Bayer auch viel Geld kostete.
All diese Umstände sind prekär genug, doch muss Bayer auf Grund der desolaten Wirtschaftslage in der Bundesrepublik und weltweit auch mit Absatzschwierigkeiten rechnen, die den Konzern noch weiter schwächen.
Eine Liste negativer Umstände, die dem Bayer-Vorstand derzeit wohl den Schweiß auf die Stirn treiben dürfte. Und da die amtierende Bundesregierungen auch keinerlei Anstrengungen unternimmt, der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen, bleibt auch hier nur beten und die Hoffnung auf einen Sieg der Union bei den Bundestagswahlen 2002.

Stichwort Leverkusen

Ganz besonders in Leverkusen ruft die Krise bei Bayer düstere Erwartungen hervor. Schließlich ist unsere Stadt in gewisser Weise abhängig vom Wohlergehen der Bayer AG. Denn Bayer zahlt zumindest in guten Jahren hohe Summen Gewerbesteuer an die Stadt, ohne die ein ausgeglichener Haushalt kaum möglich wäre.
Ganz zu schweigen von den vielen Vereinen und Gruppierungen unter dem breiten Bayer-Dach, die nicht direkt etwas mit Chemie zu tun haben, ohne die Leverkusen aber undenkbar wäre - die Bundesligafußballer sind da nur die Repräsentanten eines reichhaltigen sportlichen und gesellschaftlichen Lebens rund um den Konzern.
Das schlimmste Szenario für Leverkusen, dürfte jedoch der Abbau von Arbeitsplätzen sein, um eine Kostenersparnis herbeizuführen. Bereits bekannt ist, daß Bayer plant, 800 Stellen in Deutschland abzubauen. Allerdings soll es keine Kündigungen geben.

Damoklesschwert

Wie ein Schatten schweben über Bayer auch die Anschuldigungen, man habe zu lange damit gewartet, die Öffentlichkeit über die Probleme mit Lipobay zu informieren. Zwar argumentiert Bayer, man habe zunächst die Aktionäre benachrichtigen müssen, da dies gesetzlich so festgelegt sei. Hier wendet jedoch das Bundesgesundheitsministerium ein, Bayer habe eine 15tägige Frist nicht eingehalten, binnen der die Öffentlichkeit hätte informiert werden müssen. Jetzt droht Bayer auch eine Strafe in Höhe von 50.000 DM.

Breite Produktpalette

Kaum steckt Bayer in Schwierigkeiten, gehen schon die Gerüchte über feindliche Übernahmen um, die typisch für die Börse sind. Zwar ist es möglich, dass, betrachtet man den sinkenden Aktienkurs, Bayer ein Übernahmeopfer wird, doch könnte Bayer ein Punkt retten, der oft kritisiert wird: das weite Produktangebot. Die fehlende Spezifizierung auf einen Bereich macht Bayer unattraktiv für die bekannten Übernahmekandidaten aus dem Pharmabereich. Allerdings ist dies auch keine Versicherung gegen Übernahmen, denn auch Vodafone kaufte den Mischkonzern Mannesmann, nur um nach der Übernahme alle anderen Sparten außer der Telekommunikation wieder abzustoßen.
Bleibt zu hoffen, dass Bayer ein solches Schicksal erspart bleibt.

M.P.