Editorial

Der Einschnitt

Phantasie- und kopflos: Das Ausbesserungswerk Opladen wird ohne Grund geschlossen

Der 26. Juni 2001 markiert in der Geschichte der vormaligen Kreisstadt Opladen einen tiefen Einschnitt. An diesem Tag verkündete der Vorstand der Deutschen Bahn AG die Schließung von acht Werken der sogenannten schweren Instandhaltung im Bundesgebiet sowie zusätzlich des Werkes Neustrelitz, für das derzeit bereits Verkaufsverhandlungen geführt werden.
Neben dem Werk Opladen, das bis 2003 geschlossen werden soll, sind die Standorte München-Neuaubing (2001), Delitzsch (2002), Nürnberg (2003), Stendal (2001), Chemnitz (2003) sowie Leipzig-Engelsdorf (2001) und Zwickau (2003) betroffen. Insgesamt werden bis zum Jahre 2003 rund 5900 Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG ihre Arbeitsplätze in den Werken verlieren.
Empörung, Wut und Enttäuschung machten sich breit, wie selbst die Mitarbeiterzeitung der Deutschen Bahn AG zu berichten wußte und in ihrer Juli-Ausgabe einen harten Sanierungskurs einräumte - ohne freilich müde zu werden zu versichern, daß die schwere Instandsetzung Kernkompetenz der Bahn bleiben würde.

Ende der Eisenbahnstadt

Wie dem auch sei, mit der Aufgabe des Werkes wird Opladen nicht mehr das sein, was es bislang noch ist: Eisenbahnerstadt. Als Eisenbahnknotenpunkt hat Opladen seine Bedeutung schon längst verloren, wozu Streckenstillegungen und die Auflassung des Güterbahnhofes ihren entscheidenden Anteil hatten und sich lange vorher schon andere Einrichtungen der ehemaligen Deutschen Bundesbahn sang- und klanglos im Laufe der Jahre aus Opladen verabschiedeten.
Für die Stadt Leverkusen, in der Opladen im Zuge der kommunalen Gebietsreform aufging, ist die Schließung des Werkes allenfalls vergleichbar mit dem seinerzeitigen Ende des Walzwerkes Theodor Wuppermann in Manfort. Auch damals standen Bevölkerung, Politik und Gewerkschaften wie ein Mann hinter der betroffenen Belegschaft. Abzuwenden war das Schicksal letztendlich doch nicht. Gemeinsam haben der Fall Wuppermann und das Werk Opladen jedoch, daß ihre Schließung nicht auf der Unwirtschaftlichkeit der Unternehmen beruhte.
Erklärtes Ziel von Hartmut Mehdorn, bereits der dritte Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, ist es, aus der Bahn ein börsennotiertes und damit profitables Unternehmen zu machen. Stärker jedoch noch als seine Vorgänger Dürr und Ludewig versucht er sein Ziel dadurch zu erreichen, unrentable Angebote und Leistungen der Bahn lieber gleich ganz vom Markt zu nehmen, anstatt die Angebote so zu verändern, daß die Nachfrage danach unter Umständen zunimmt und sich gar über kurz oder lang rechnen würde.

Mehdorns Kurzsichtigkeit

Ein langer Atem, ist natürlich nötig, bevor sich etwas am Markt behaupten kann. Aber darauf kommt es Hartmut Mehdorn auch überhaupt nicht an, er benötigt den kurzfristigen Erfolg, und Kosteneinsparungen durch Rückzug schlagen auf der Kostenseite natürlich unmittelbar zu Buche.
Das Ergebnis einer solchen Unternehmenspolitik ist das, was man gemeinhin unter Schrumpfbahn bezeichnet. Damit wird gleichzeitig ein anderes erklärtes Ziel der Bahnreform verfehlt: Mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen.
In die von Hartmut Mehdorn hinterlassenen Lücken stoßen mitunter neu gegründete und regionale Eisenbahngesellschaften, die von der Deutschen Bahn aufgegebene Strecken übernehmen und sich durch entsprechende Angebote am Markt behaupten. Zunehmend obsiegen solche relativ kleinen Unternehmen bei Streckenausschreibungen gegen die ansonsten so mächtige Deutsche Bahn AG. Als Folge der Bahnreform muß die Bahn AG jedoch hinnehmen, daß Mitbewerber Zugang zum allgemeinen Schienennetz haben. In den Bereichen, die die Bahn AG jedoch für sich noch nicht aufgegeben hat, versucht sie nach Kräften, die Konkurrenz durch eine gezielte Politik der Nadelstiche zu behindern.

Verschrotten statt verkaufen

Beispielsweise, indem sie nicht mehr benötigtes Fahrzeugmaterial, insbesondere Lokomotiven, lieber verschrottet, als es auf dem stark nachgefragten Markt anzubieten. Dies führt dazu, daß man zuweilen im Güter- und Bauzugdienst privater Bahngesellschaften Diesellokomotiven aus sowjetischer Produktion beobachten kann, die diese wiederum in Polen oder Tschechien gebraucht erworben haben. In einem Fall wurden gar werksneue Lokomotiven aus Rumänien bezogen.
Nun mischt die Deutsche Bahn AG mittlerweile in etlichen Geschäftsfeldern mit, die mit ihrer originären Aufgabe, der fahrplanmäßigen Abwicklung von Zugverkehr, aber auch überhaupt nichts mehr zu tun haben. Ein Beispiel dafür gibt es selbst in Opladen, wo man sich neuerdings ihrer als Veranstaltungsservice im alten Güterschuppen bedienen kann.
Auf die neue Liberalität und Pluralität im Schienenverkehr jedoch insofern zu reagieren, indem man nicht nur gegen die neuerstandene Konkurrenz eine Ver- und Behinderungstaktik an den Tag legt, sondern vielleicht versucht, mit dieser ins Geschäft zu kommen, kommt der Bahn AG nicht in den Sinn - und wenn man eben nur sein immerhin vom Steuerzahler finanziertes Rollmaterial veräußern würde anstatt es zu zerlegen. Dies brächte zumindest noch ein paar Mark in die Kasse.
Aber da wird lieber ganz bewußt die Vernichtung von Volksvermögen betrieben. Ebensowenig wie man versucht, durch die neuen Bahngesellschaften eigene Arbeitsplätze wenigstens insoweit zu sichern, indem man auch fremdes Fahrzeugmaterial wartet und repariert.

Der osteuropäischen Konkurrenz das Feld überlassen

So aber greift die Konkurrenz auf Werkstättenkapazitäten in Staaten des ehemaligen Ostblocks zurück, von wo sie ja auch einen Großteil ihres Lokomotivparks her bezieht. Eine Ursache zieht hier eben gleich die nächste nach sich. Ebenso könnte die Bahn Lokpools bilden, die gegen Entgelt an Mitbewerber vermietet werden könnten. Das dazu notwendige Fahrzeugpotential wäre durchaus vorhanden. Aber auch hier Fehlanzeige, dieser Aufgabe hat sich zwischenzeitlich die Schienenfahrzeugindustrie angenommen. Hartmut Mehdorns Unternehmenspolitik kann letztendlich die Konkurrenz allenfalls in zeitlichen Verzug bringen, verhindern kann er mit seiner Taktik nichts. Dementsprechende Leistungen werden dann eben, wie man sieht, weder von der Deutschen Bahn AG noch überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland erbracht, sondern gleich im Ausland eingekauft.

Lukrative Nutzung ja - aber nicht eisenbahnspezifisch

Grundsätzlich ist Hartmut Mehdorn zuzustimmen, wenn er sich gegen die von Bundesverkehrsminister Bodewig präferierte Trennung der Bahn AG von der Verantwortung für den Fahrweg wehrt. Seine Motive sind dabei jedoch nur vordergründig eisenbahnspezifischer Natur. Denn aufgrund der von ihm betriebenen Politik müßte ihm die Verantwortung für die Infrastruktur der Schienenwege lieber heute als morgen entzogen werden.
So wird die Deutsche Bahn AG selbstredend an einer lukrativen Verwertung der Immobilie des Werkes Opladen interessiert sein, aber dabei mindestens genauso vehement zu verhindern wissen, daß ein nachfolgender Nutzer dieses Gelände in einer der heutigen Form ähnlichen Weise fortführen kann. Vorher wird man hier gegebenenfalls verbrannte Erde hinterlassen, indem man sämtliche spezielle Technik und Einrichtungen und Einrichtungen beseitigen wird, notfalls eben indem man dieses Vermögen vernichten wird.
Hier gilt es, der Deutschen Bahn AG, allem voran ihrem Vorstand, verstärkt auf die Finger zu schauen und gegebenenfalls auf selbige zu klopfen.