Satire

Ein starker Abgang

Die Zukunft unseres Gesundheitswesens

Deutschland in naher Zukunft. Hans Mustermann betritt leicht verlegen das größte Klinikum der Stadt, um ein medizinisches Problem beheben zu lassen. Denn Hausärzte sowie Praxen gehören seit der rot-rot-grünen Koalition einer kostenträchtigen Vergangenheit an.

Mustermann (betritt eine palastähnliche Empfangshalle, die die einer Versicherung in den Schatten stellen würde): Äh - ich würde gerne wegen eines kleinen Problems einen Ihrer Ärzte -

Welcome-Managerin (strahlt): Sie wünschen Kontakt mit einem unserer hochqualifizierten und renommierten Body-Designer?

Mustermann (verwirrt): Naja, wenn Sie? denn so ausdrücken wollen -

Welcome-Managerin: Zuallererst müssen wir Sie einem kleinen Test unterziehen. (zückt einen elektronischen Datenblock mit etwa 200 Fragen) Sie waren sicher schon einmal Kunde bei uns?

Mustermann: Eigentlich nicht, bisher war ich Patient bei meinem alten Hausarzt um die Ecke. Aber der ist leider vor kurzem in Ruhestand gegangen.

Welcome-Managerin: Ja, diese älteren Herren, reizend, nicht wahr? Hatte er denn schon von der Erfindung des Penicillins gehört? (ignoriert Mustermanns Betroffenheit) Kommen wir zum wichtigsten, unserem Solvenz-Check.

Mustermann: Hä?

Welcome-Managerin: Privat-Patient oder Kasse?

Mustermann: Kasse.

Welcome-Managerin (Lächeln gefriert): Oh. Das tut mir leid. Diese Fälle gibt?s ja immer wieder. Ich muß Sie leider bitten, diesen Fragebogen (zückt ein buchdickes Formularheft) gewissenhaft auszufüllen.

Mustermann (begibt sich in die waiting lounge und beantwortet gewissenhaft, wenn auch etwas verwundert die gestellten Fragen, angefangen bei den Vermögens- und Einkommensverhältnissen, Arbeitsverhältnisse seiner Verwandten (bzw. Hinterbliebenen), Risikolebensversicherungen und die Anzahl seiner Goldkronen.)

Welcome-Managerin (übernimmt den Fragebogen und läßt ihn blitzschnell von einem Computer auswerten, der zu dem Schluß kommt, daß Mustermann kreditwürdig ist): Gratulation! Sie wurden gerade für würdig befunden, einer first-class-Behandlung unterzogen zu werden. Das kann nicht jeder von sich sagen.

Mustermann: Dann kann ich jetzt endlich mit einem Arzt -

Welcome-Managerin: Aber nicht doch. Nicht so schnell. Sie werden jetzt in die Obhut einer health assistent gegeben, die Sie in die residential area bringt.

Kurze Zeit später betreten Mustermann und die health assistent ein luxuriös ausgestattetes Einzelzimmer. Plüschvorhänge, riesige Spiegel, Multi-Media-Ausstattung, High-Tech-Bett der neuesten Generation und eine Vier-Sterne-Naßzelle beschreiben nur unzureichend die überwältigende Ausstattung des Zimmers.

Mustermann (ehrlich entzückt): Und da soll einer noch sagen, einem Kassenpatienten wird heutzutage nichts geboten!

Health assistent (entsetzt): Was, Kasse? Nehmen Sie?s mir nicht übel, junger Mann, aber als Kassenpatient würden Sie hier nicht mal ne Bettpfanne für lau kriegen! (betont unfreundlich) Ich bringe Sie jetzt in Ihren Bereich. (Stößt Mustermann unsanft in Richtung Kassentrakt, schon von weitem durch überdurchschnittliche Lärm- und Geruchsentwicklung wahrnehmbar.)

Mustermann (erkennt auf dem Weg zu seinem Zimmer verglaste Einzelzellen, deren Insassen verzweifelt ihre Nasen und Tentakeln am Glas plattdrücken): Was sind denn das für Leute?

Health assistent: Das sind Kassenpatienten, bei denen nach der Operation gewisse Finanzierungsprobleme auftraten. Daher haben sie sich gewissermaßen freiwillig entschlossen, an einigen bahnbrechenden Medikamententests teilzunehmen.

Mustermann (wird in ein höhlenartiges Etwas geschoben, in dem 20 Kassenpatienten vor sich hindämmern)

Oberschwester Olga (groß, breit, mit kleinem Schnurrbart und hartem kasachischen Akzent, zu health assistent): Hast Glück, gerade eine Pritsche freigestorben. Kannst Dein Zeug da in die Ecke schmeißen. (zu Mustermann) Essen zwei Mal täglich, Auflauf von den Resten, was die anderen übriglassen. Sie müssen sich aber beeilen; die schwächsten schaffen es nicht immer bis zum Trog. Drei Mal in der Woche schaut hier ein Rudel überarbeiteter und unterbezahlter Assistenzärzte vorbei -

Mustermann: Keine body designer?

Olga: Jungchen, du bist hier auf Kasse! Kannst froh sein, wenn einer der Ärzte deine Anwesenheit überhaupt bemerkt. (senkt die Stimme) Manchmal, Jungchen, ist das aber auch gesund, den Ärzten nicht aufzufallen. Solltest du aber doch operiert werden, vor allem freitags nach der Ärzte-Sause im Schwestern-Zimmer, markier die zu operierende Stelle lieber selbst! Hat da schon böse Verwechslungen gegeben. Und meld? dich hier bloß nicht für irgendwas freiwillig!

Klirrende Geräusche. Der Schließer öffnet die Tür und schiebt einen dampfenden, stinkenden Trog ins Zimmer. Mustermann kann gerade noch zur Seite springen, um von der ausgehungerten Meute nicht zu Tode getrampelt zu werden.

Mustermann (hysterisch): Ein Telefon! Bitte ein Telefon!

Eine Kreditzusage und mehrere Bürgschaften von Verwandten und guten Freuden später. Mustermann wird von der inzwischen etwas entnervten health assistent in ein nüchtern ausgestattetes economy-class-Zimmer geführt.

Health assistent: Sie haben Anspruch auf fließendes Wasser, Internetanschluß, n-tv und McDonald?s-Lieferservice. Und Besuch.

Drei Tage später. Mustermann freut sich über Ruhe und Frieden und wundert sich etwas, daß niemand sein Leiden lindern will. Endlich erbarmt sich seiner ein etwas überarbeiteter body designer.

Body designer: Na, wie geht?s uns denn heute. Wie ist der Stuhlgang? Sind Sie mit dem Essen zufrieden?

Mustermann: Na ja, eigentlich ist alles in Ordnung, wenn ich nicht diese verdammten Schmerzen -

Body designer: Ah, Schmerzen! Eine üble Sache. Ich könnte Ihnen da einiges erzählen (doziert lang und breit über die Vor- und Nachteile von Schmerzzentrumstransplantationen und den Einsatz von Gehirnsonden). Aber für Patienten der economy class (überfliegt flüchtig Mustermanns über dem Bett händenden Vermögensstatus) beschränken wir uns ... nun, auf den Austausch diverser innerer Organe. Oft gewünscht wird bei starken Schmerzen auch ein starker Abgang. Wir würden Sie dann in unsere bewährte Euthanasieabteilung überweisen. Es gab noch nie eine Beschwerde. Falls Sie Ihre irdischen Dinge vorher regeln wollen, verweisen wir Sie auf unseren Hausnotar.

Mustermann (erschreckt): Nein! Ich wollte ja eigentlich -

Body designer: Ah, ich sehe schon, Sie sind eher der Transplantationstyp. Wir haben alles: Unsere Palette reicht vom preiswerten Gebrauchtherz, rundumerneuert, nur ein Mal stehengeblieben, bis zum High-Tech-Sportherzen, der neuesten biogenetischen Entwicklung aus den USA. Wann sollen wir den Termin ansetzen? Jetzt sofort? (ruft) Health assistent! Bitte bereiten Sie den OP vor und schleifen Sie das Beil! (zu Mustermann) Kleiner Scherz am Rande!

Mustermann (dessen Zeh wie verrückt juckt): Stop! Ich will doch nur, daß Sie mir meinen eingewachsenen Zehennagel operieren, sonst nichts!

Body designer (beleidigt): Sie behelligen uns mit einer solchen Lappalie? Das hätten Sie zu Hause mit einem Schweizer Taschenmesser machen können. (Kasernenhofton) Schwester Olga! Skalpell! Das große!

Fünf Sekunden Operation, drei Monate Rekonvaleszenz und einen Offenbarungseid später betritt Mustermann, verarmt, aber ungebrochen, die heimatliche Wohnung. Auf den Möbeln kleben die Kuckucke. Doch all dies tritt zurück hinter den begeisterten Empfang durch seine Familie.
Nachdem sich der erste Trubel gelegt hat und die Familienidylle zurückgekehrt ist, nimmt das Unheil seinen Lauf.


Kleine Tochter: Papa, ich hab? Zahnweh!

G.D./M.P./MiWi