Satire

Heiße Tonnen aus La Hague

Die Zukunft der Castor-Transporte

Deutschland. Millionen von neugierigen Zuschauern verfolgen gespannt die neueste Reality-Produktion von RTL: Castor - der Transport.
Die Show beginnt. Martialisch klingende Erkennungsmelodie plärrt aus den Fernsehlautsprechern. Ein stilisiertes gelbes X und ein Polizeistern prallen auf dem Bildschirm aufeinander, verschmelzen zu einer computeranimierten Atomexplosion und geben, während die Musik ihren hysterischen Höhepunkt erreicht, das aalglatte Gesicht von RTL-Starmoderator Percy Hoven frei. Am unteren Bildschirmrand ist ein Geigerzähler zu sehen.


Hooven (in einem Waggon aus Panzerglas, in dem ein mobiles RTL-Studio untergebracht ist): Willkommen bei der dieswöchigen Ausgabe von "Castor - der Transport". Als heutige Gaststars präsentieren wir
  • auf Kilometer 53: das mobile Sabotagekommando von Robin Wood gegen die 7. Hundertschaft aus Sachsen!
  • direkt am Salzstock: die kampferprobte dritte Hundertschaft aus Bayern gegen Käptn Chaos und seine Jungs!
  • an der Verladerampe: der Bundesvorstand der Grünen im Kampf gegen sich selbst! Bis jetzt steht es unentschieden!
In diesem Zusammenhang darf ich ihnen unser Schiedsrichterteam vorstellen: Henry Maske, Beamtenboxer und Boulettenbräter; Jürgen W. Möllemann, Luftnummer und selbsternannter Kanzlerkandidat; Björn Erdmännchen Engholm, früherer Politiker aus dem hohen Norden, der Mann, der vom Paulus zum Saulus mutierte; und natürlich Franz der Kaiser Beckenbauer, der Mann, der überall und natürlich auch zum Castor seinen bayerischen Senf hinzutut!
Wir schalten jetzt live zu unserem Berichterstatter zur geheimen Zentrale der Castor-Gegner, die sich zwei Kilometer südlich der Bundesstraße direkt am Waldrand befindet.

Reporter 1: Ja hallo Percy, die Stimmung hier ist einfach super! Wir haben jede Menge Spaß (verirrte Leuchtspurmunition taucht sein Milchbubigesicht in fahles Licht). Ich stehe hier neben einem der Rädelsführer und frage ihn einfach mal: Wie ist so die Stimmung vor dem großen Match?

X: Wa ey, verdammt kalt hier, ey, sin grad aus Kreuzberg hier angekommen, ey, sin voll in den Stau gekommen, wegen der ganzen Bullenwannen, ey, un dann kommste hier an und triffst die ganze Bullenblase wieder, mit denen du dir letzte Woche, ey, im Häuserkampf ´n geilen Klatsch geleistet hat, wa.

Reporter 1: Und wie beurteilst Du eure Siegesaussichten?

X: Tja, ey, nich ganz so gut wie beim letzten Mal, Mann, wo Bloody und Stony knastmäßig abgemeldet sind und unser Nachwuchs noch nich eingeworfen is, ey. Aber es is doch im übrigen völlig egal, wer hier gewinnt, Hauptsache, hier rappelt´s im Karton! Aber jetzt muß ich los. Der Zug kommt.

Percy Hoven: Das nenne ich olympischen Geist: Dabeisein ist alles. Hören wir auch mal die Bewohner von Container-City.

Reporter 2: Ich bin hier bei den Hauptunterk6uuml;nften der Bereitschaftspolizei aus dem ganzen Bundesgebiet. Hier haben wir seit dem letzten Transport einiges geändert. Um unnötige Deeskalationen zu vermeiden, wurde den Beamten Unterkünfte zugewiesen, die, wären die für Asylanten gedacht, amnesty international auf den Plan rufen würde. Der Steuerzahler kann sicher sein: Hier verbringt kein Polizist keine Nacht mehr als nötig. Neben mir steht Polizeioberkommissar Meier. Herr Meier, wie sieht´s aus vor dem großen Auftritt?

Meier: Wir sind sauer. Schimmlige Unterkünfte, 35 Mann pro Klo und Dusche, 10 Mann teilen sich einen Spind, und das Essen? Erna´s Schlachtplatte!

Reporter 2 (gekünsteltes Lachen): Na ja, Sie sind ja auch zum Arbeiten, nicht zum Ausruhen hier. Bevor wir weitermachen, eine kurze Unterbrechung.

Der Castor-Zug, der sich den feindlichen Heerhaufen genähert hatte, wird gestoppt. Einige Vorgeplänkel werden unterbrochen. Nach Spots für Mars ("bringt verbrauchte Energie zurück") und die Deutsche Bahn ("Unternehmen Zukunft") beteuert Veronika Ferres zwei Minuten lang, daß ihr EON aus gespalteten Atomen sei. Nach den fünfminütigen Hinweis auf die üblichen RTL-Familienfilme am Wochenende ("China-Syndrom", "Das Kettensägen-Massaker von Manhattan") und dem Hinweis, daß es die Höhepunkte der Sendung als Kaufkassette gibt, wird ins mobile Studio zurückgeschaltet.

Percy Hoven: Bevor die Keilerei angepfiffen wird, wollen wir auch die Atmosphäre rundherum einfangen. Dazu schalten wir live zu Uli Potofsky am Streckenrand.

Uliu Potofsky: Hallo Percy, liebe Zuschauer, hier gibt es einfach alles. Vor allem möchte ich auf unsere zahlreichen Castor-Fanartikel hinweisen. Castor - das T-Shirt "Ich war dabei", "Mein erster Castor - für die kleinen Autonomen von morgen" als Lego-Bausatz, unserer exklusiver Reiseführer aller autonomen Zeltstädte entlang der Strecke, und natürlich unser absoluter Hit, das Fanbuch aller autonomen Rädelsführer samt Fingerabdrücken und den übrigen erkennungsdienstlich gewonnenen Daten. (im Hintergrund werden eiligst einige Vietnamesen mit billigen Fälschungen aus dem Bild gescheucht) Oh, ich höre gerade, daß der Zug am Verladebahnhof angekommen ist. Zurück zu unseren Experten und Percy.

Percy: Hier geht es gerade ziemlich heftig zu. Henry, Sie sind Experte: Wie ist Ihr Kommentar?

Henry Maske: Das sind Szenen, die den Fan begeistern. Sehen Sie diese wunderschöne Arbeit mit dem Baseballschläger; ein prachtvoller Hieb, und - sehr geschickt ausgewichen, ja, Ich sag´s ja immer. Die Beinarbeit macht´s, die Beinarbeit!

Franz Beckenbauer: Ja gut, man sieht, ja, der Kollege, das sieht man sofort, der Polizist, der ist aus Bayern, das sieht man direkt, der ist Bayern-Fan, der ist ... (schwätzt einige Minuten weiter und erwähnt nebenbei ein halbes Dutzend Mal den FC Bayern und das Free & Easy Chaoten-Set von E plus).

Jürgen Möllemann: Was mir fehlt, sind Fallschirmspringer bei der Polizei ...
Inzwischen erreicht der Castor-Transporter unter lautem Gejohle den Verladebahnhof von Lüchow-Dannenberg, wo eine große Open-Air-Bühne von RTL aufgebaut ist. Unter dem Playback-Gesang von Roberto Blanco ("Ein bißchen Spaß muß sein sein") und Nana Mouskouri ("Heiße Tonnen aus La Hagueß) segeln den Interpreten diverse Merchandising-Artikel des o.e. Fanartikelstandes um die Ohren. (Man muß nicht erwähnen, daß die vietnamesischen Fälschungen ihr Ziel nicht treffen).
Einige Werbeunterbrechungen später.


Reporter 4: Hier zeichnet sich gerade wieder eine neue Entwicklung ab: 20 vermummte Anarchisten, die gerade einen Trupp Polizisten zusammengetreten haben, blockieren die Gleise. Die Polizei weiß nicht recht weiter, da der Gegner einen neuen raffinierten Schachzug ausgetüftelt hat: Jeder der Vermummten trägt ein Pappschild mit der Aufschrift "Nicht schlagen, ich werde Außenminister"!

Percy: Das können wir nicht gelten lassen, wir brauchen ja nur einen, und außerdem reichen zwei Gewalttäter pro Regierung. (lauscht in seinen Kopfhörer) Wir hören gerade, daß sich die Grünen wohl aus unserem Spiel verabschiedet haben. Auf der Hinfahrt zur Sendung ist unserem Sponsor Deutsche Bahn AG, dem Unternehmen Zukunft, ein peinlicher Fehler unterlaufen: Der Schrankenwärter von Lüchowdannental hat die Schranken des Bahnübergangs etwas zu spät geschlossen. Dadurch bekam der Fraktionsbus der Grünen leider etwas Zug ab.

G.D./K.R./M.P./MiWi