Politik

Ein Skandal

Die Niederlande erlauben "aktive Sterbehilfe"

Das Wort "Skandal" kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie "Falle, Ärgernis, Versuchung". Damit werden ziemlich genau die Folgen der Erlaubnis der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden beschrieben.
Der Beschluß fiel nicht vom Himmel. Seit sieben Jahren tolerieren die Niederlande die aktive Sterbehilfe, die Euthanasie, unter bestimmten Bedingungen. "Aktive Sterbehilfe" bedeutet, daß der Arzt seinen Patienten auf dessen Wunsch umbringt. Es ist etwas ganz anderes als die "passive" Sterbehilfe, die auch in Deutschland erlaubt ist und bedeutet, einen unheilbar kranken Menschen nicht mit moderner Medizin noch länger sinnlos leiden zu lassen, sondern ihm ein würdevolles Sterben zu ermöglichen.
Die Idee der aktiven Sterbehilfe ist ein Kulturbruch. Sie verabschiedet sich von den sittlichen Normen nicht nur unserer Zivilisation. In den zehn Geboten der Bibel ist das Töten verboten, und im 2400 Jahre alten ärztliche Eid des Hippokrates wird aktive Sterbehilfe sogar eindeutig untersagt: "(...) Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde (...)"
Die Euthanasie-Propagandisten beteuern, es gehe ja nur darum, menschliches Leid zu verkürzen - und die Gegner sehen sich prompt als unmenschliche Prinzipienreiter hingestellt.

Kranke unter Druck

Abgesehen davon, daß das Hantieren mit Extrembeispielen unredlich ist: Diese Argumentation stellt die Sachlage auf den Kopf, denn allein schon die Möglichkeit der Euthanasie unterminiert die menschlichen Bindungen. Alte, kranke Menschen könnten sich überflüssig fühlen; die Idee der Euthanasie - auch bei weniger schweren Krankheiten - nistet sich schnell in den Köpfen ein, und auf einmal scheint man die Wahl zu haben: Soll ich weiterleben und vielleicht meiner Familie und Verwandten zur Last fallen? Oder ist es nicht besser, Schluß zu machen? Dabei sehen Kranke die Wirklichkeit oft verzerrt. Der Gedanke, die Verwandten und die Ärzte spekulierten unausgesprochen auf den Wunsch, beseitigt zu werden, ist in solchen Grenzsituationen nicht fern. Besonders fatal dürfte sich auswirken, wenn der behandelnde Arzt schon getötet hat.
Die Euthanasie demoliert so das menschliche Miteinander. Sie setzt Ärzte einem enormen Druck aus. Sie entbindet Verwandte, Freunde, aber auch die Gesellschaft vom letzten Einsatz für den Kranken. Statt Mitleid und Hilfe steht die "Entsorgung" im Raum.

1000 Tötungen ohne Erlaubnis

In einer Studie für die Regierung über die tolerierte Euthanasie der neunziger Jahre kommen zwei niederländische Forscher zu dem Ergebnis, daß pro Jahr die unfaßbare Zahl von 1000 (!) Menschen oder 0,7% der Todesfälle Opfer von "lebensbeendenden Handlungen ohne ausdrücklichen Wunsch" wurden. Weniger vornehm könnte man es auch Totschlag nennen. Oder fahrlässige Tötung. Oder Mord. Es gab bereits Fälle von lediglich depressiven Patienten, die getötet wurden, anstatt ihnen zu helfen.
Der Krebsarzt Stephan Sahm schrieb dieser Tage in der FAZ, die als Beispiel häufig zitierten schwer leidenden Krebspatienten bäten erfahrungsgemäß nicht um Sterbehilfe, wenn sie nach den Regeln der Kunst und mit menschlicher Zuwendung behandelt würden.
Und eine Studie im US-Bundesstaat Oregon hat belegt, daß unerträgliche Schmerzen nicht der Grund für die Bitte nach dem Henker in Weiß sind. Ausschlaggebend sind viel eher Vereinsamung, finanzielle Probleme oder Trennung von Lebensgefährten.

Der Schweinehund kläfft weiter

Das niederländische Euthanasiegesetz wird auch in Deutschland heftig diskutiert. Noch gibt es keine politischen Mehrheiten dafür, obwohl nach Umfragen die Bevölkerung recht positiv gestimmt scheint.
Der amerikanische Historiker Gerhard L. Weinberg schreibt in seinem Werk über den zweiten Weltkrieg, die Euthanasie der Nazis, der etwa 100.000 "unnütze Esser" zum Opfer fielen, sei der fatale Beginn gewesen: Ganz normale Deutsche seien morgens zur Arbeit und abends nach Hause gefahren, und zwischendurch hätten sie routinemäßig Menschen getötet. Wir reden immer davon, aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Mehr als oberflächliche Parolen ("Nie wieder Nazismus") scheint dabei aber nicht herausgekommen zu sein. Der Nationalsozialismus war, wie der frühere SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher sagte, ein ständiger Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. Den Appell gibt es immer noch. Er ist nur nicht mehr braun gewandet, sondern gibt sich progressiv und mitleidsvoll.