Satire

Teure Mollis

Was man von den 68ern lernen könnte, wenn sie sich nicht dauernd unterbrechen würden

Fernsehstudio der ARD in Berlin, Sonntag abend. Moderatorin Fabia Sabiansen versucht wie üblich vergeblich, die Gäste ihrer gleichnamigen Talkshow unter Kontrolle zu halten. Kein Wunder beim vorgegebenen Thema "68er - was können wir lernen?" und der illustren Talkrunde, bestehend aus SPD-Generalsekretär und Stimmungskanone Franz Müntefering, dem volksnahen Ex-Terroristenverteidiger Christian Ströbele, dem angesehenen Psychoanalytiker Prof. Dr. Waldemar Mitsorg, dem Soziologen Prof. Dr. Rudolf Schmalschwert und dem Berliner Kioskbesitzer und Ex-Bereitschaftspolizisten Kurt Müller. Jürgen W. Möllemann konnte nicht pünktlich erscheinen, weil er aufgrund widriger Windverhältnisse die Landezone geringfügig verfehlte und mitten in einer autonomen Unterstützergruppe basisdemokratischer Volksrevolutionäre landete.

Sabiansen (hochroter Kopf): ... aber Herr Müller, wir wollen doch nicht kleinlich drüber streiten, wer nun damals wen mit Mollis beworfen hat ...

Kurt Müller: Ach nee? Selbst schon mal son Ding an den Kopp gekriegt? Kann einem den Tag schon ziemlich versauen!

Sabiansen (verzweifelt): Herr Müntefering, Sie ware-

Ströbele: Das lasse ich so nicht unkommentiert stehen. Der inhärente Faschismus dieser Gesellschaft stank doch zum Himmel. Und Faschismus bedeutet immer Gewalt. Wer Gewalt entfernen will, kann doch kein Gewalttäter sein-

Prof. Schmalschwert: Aus wissenschaftlicher Sicht muß diese Aussage ein wenig differenziert werden. Die offensichtliche Diskrepanz des Normativen im Kontrast zum subjektiven Überbau veranlaßt mich eher zu der These, daß damals-

Prof. Mitsorg: - die Mutter von Herrn Ströbele zum Säugen vorwiegend die linke Brust verwendete.

Ströbele (empört): Das ist eine zutiefst widerliche frauenfeindliche Unterstellung!

Müntefering: Brüste interessieren mich nicht. (Skeptisches Stirnrunzeln im handverlesenen Publikum.) Wichtig ist doch, daß diese Bundesregierung mit Gerd Schröder an der Spitze aus den Fehlern der damaligen Zeit, ja aus allen Zeiten gelernt hat. Joschka Fischer mag früher Steine geworfen haben. Andere haben Katzen gequält oder -

Sabiansen: Aber ist es nicht so, Herr Münte- (Tür fliegt auf. Jürgen W. Möllemann, in einem blau-gelben Superman-Trikot mit der Aufschrift "18%" auf der Brust, betritt unter lauten Buhrufen des handverlesenen Publikums das Studio.)

Möllemann: Sicher sind sie froh, daß ich hier bin, so daß die Diskussion endlich anfangen kann!

Ströbele: Wer hat den denn eingeladen?

Sabiansen: Ich. Ich habe mir dabei gedacht, daß -

Prof. Mitsorg: Hochinteressant. Sagen Sie: Sind Sie Einzelkind?

Sabiansen (verwirrt): Ja, schon, aber -

Prof. Mitsorg (überhebliches, wohlwissendes Nicken): Dacht' ich mir's doch. Wußten Sie, daszlig; 65% aller Talkmaster, die Herrn Möllemann eingeladen haben, Einzelkinder mit dominanten Vätern sind?

Prof. Schmalschwert (verärgert): Herr Kollege, ich bitte Sie. Unhaltbar, sage ich, unhaltbar!

Kurt Müller: Simmer hier beim Fußball oder wa?

Prof. Schmalschwert: Solche unqualifizierten Behauptungen lassen den Verdacht keimen, daß Sie offenbar Ihr Fachgebiet während der 68er Zeit studiert haben. Gegen den Rektor demonstriert, ja? Eier geworfen, ja? Und jetzt hier den Experten raushängen lassen!

Sabiansen: Meine Her-

Beide: Fresse!

Prof. Mitsorg (keuchend zu Schmalschwert): Faschistischen Schweinen wie Ihnen haben wir damals ihren Faschismus ausgetrieben! Leute wie Sie -

Möllemann: Ich habe die 68er genau erlebt. Ich bin dabeigewesen. Ich habe erlebt, wie eine Minderheit von Studenten - nach meiner Schätzung etwa 18% - die ganze Republik umgekrempelt hat. Das ist das, was wir als Liberale wollen: Als intellektuelle Elite -

Müntefering: Geistiger Dünnschiß. Ich selbst habe die 68er ganz bewußt im Sauerland erlebt. Die Malocher im Pott hatten mit den langhaarigen Spinnern nichts am Hut.

Ströbele: Klar, weil man aus Koks keine Mollis bauen kann.

Möllemann: Mollis sind out. Die Menschen in unserem Land verlangen vielmehr nach Möllis. Mindestens 18%-

Kurt Müller (poltert los): Also ich bin hier wohl auf der falschen Veranstaltung, wa? Wenn ich diesen Mist schon höre! Jemals dieser Randaletruppe gegenübergestanden? Wir mußten damals den Kopf hinhalten. War gefährlich genug. Und ob Se eine rechte oder eine linke Faust in die Fresse kriegen, wa, Ihr Professoren, das ist dem Unterkiefer so ziemlich egal.

Prof. Mitsorg (betroffen, aber interessiert): Exemplarisch! Fast in Reinform! Die kleinbürgerliche, nur von einer schwachen Tünche überdeckte Gewaltimmanenz tritt hier ebenso schockierend wie erhellend zutage.

Prof. Schmalschwert: Für Sie, Herr (gedehnt) Kollege, waren das aber viele Fremdwörter in einem Satz. Auf gut deutsch: Sie nehmen Herrn Müller nicht ernst.

Sabiansen: Herr Müller, fühlen Sie sich nicht ernstgenommen?

Kurt Müller: Umgekehrt. Ich bin ja nich der hellste, wa, aber die beiden Komiker kriegen doch gar nichts mehr mit.

Möllemann: Herr Müller hat mit dem untrüglichen Instinkt des unabhängigen Unternehmers erkannt, daß -

Ströbele: Unabhängiger Unternehmer! Daß ich nicht lache! Wa, Herr Müller, Sie sind in Kleinformat doch genauso ein Ausbeuter wie die Großen. Sie machen Ihren Profit auf Kosten unschuldiger Schulkinder und zu Lasten der Gesundheit der Tabakkäufer!

Kurt Müller: Das muß ich mir von einem Linkschaoten nicht sagen lassen (vergißt "wa"). Auf solche Typen wie Sie haben wir damals ganz besonders geachtet!

Anonymer Störer aus dem Publikum: Sie Büttel der herrschenden Klasse! Sie Steigbügelhalter und Speichellecker des internationalen Monopolkapitalismus!

Prof. Schmalschwert (kühl): Monopolkapitalismusses. Genitiv. Aber die 68er wollten den ja auch abschaffen.

Sabiansen: Aber wir wollen uns doch nicht über den Genitiv unterhalten, sondern eher über die Gründungsrevolution der Bundesrepublik.

Möllemann: Wenn ich das schon höre! Zugegeben, ökologisch sind Steine ja, verglichen mit Benzinbomben, und bleifreies Benzin gab es damals erst recht nicht.

Müntefering: Und aus diesem Grund hat die von uns gestellte Bundesregierung den Spritpreis so stark erhöht, daß die normale Studentengeneration sich ein Molotow-Cocktail finanziell nicht mehr leisten kann.

Ströbele: Was letztendlich eine indirekte Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Demonstrationsfreiheit darstellt.

Kurt Müller: Klar, für Sie als Rechtsverdreher ist das bitter. Bestimmt verdient man bei einem Molliwerfer mehr als bei einem normalen Landfriedensbrecher! Das sind doch alles Kriminelle!

Prof. Mitsorg: Diese Schilderung der sowohl prä- als auch postrevolutionären Phasen meiner Vorredner verdeutlicht das fulminante emotionale Defizit (wütendes Keuchen von Müller), was schließlich in die parallele Bewußtseinsebene der erdölabhängigen Gesellschaft überleitet und somit zu der Frage führt -

Prof. Schmalschwert: Aber sonst fühlen Sie sich wohl? Nein! Die 68er Bewegung entstand aus einem soziologisch geradezu exemplarischen Selbstverwirklichungsbedürfnis, und dabei meine ich nicht nur jene Studenten, sondern auch Menschen wie jenen Herrn Müller hier, der als Bereitschaftspolizist seine von der Gesellschaft oktroyierten Pflichten wahrnimmt, nein, vielmehr auslebt und dabei zumindest theoretisch zum Tabubrecher wird.

Müntefering: Die 68er waren auch nicht besser oder schlechter als die 69er oder die 67er. Wenn man bedenkt, daß Deutschland zwischen 1970 und 1974 unter der Verantwortung der Sozialdemokraten im Fußball praktisch unschlagbar war, unterstreicht dies um so mehr die Wichtigkeit einer fundierten und ausgewogenen - äh -

Kurt Müller: Ich hab' damals von den linken Milchbubis ungern einen in die Fresse gekriegt, und ich will jetzt von den rechten Milchbubis nichts in die Fresse kriegen. Lieber teile ich aus.

Ströbele: Der Faschismus in seiner Epoche von 1933 bis 1968 wurde erst durch das Aufbegehren der studentischen Massen und dank ihrer einsatzfreudigen Anwälte niedergekämpft. Die Wahl der Mittel spielt keine Rolle. Sie wurde vom imperialistisch-kapitalistischen Überbau vorgegeben. Im übrigen finde ich noch raus, wer Helmut Kohls Spender waren.

Sabiansen: Bleibt noch Ihr Schlußwort, Herr Möllemann.

Möllemann: Als 68er der ersten Stunde sowie als verantwortungsvoller Politiker kann ich nur erneut darauf hinweisen, wie wichtig -

Alle: - 18% -

Möllemann: - sind.

G.D./K.R./MiWi