Satire

Mustermanns Reise

Heinz-Michel Mustermann, Postbeamter im mittleren Dienst, und seine Frau Herta beschlossen eines schön-verhängnisvollen Tages, eine Fernreise zu unternehmen. Das Ziel des vorsichtigen Paares beschränkte sich von vorneherein nur auf Länder, in denen nicht mit Willkür und Justizterror zu rechnen war.

"Weißt du, Herta, Stockhiebe in Singapur wegen Kaugummikauen oder Steinigungen in Saudi-Arabien sind nicht mein Ding. Wir bleiben in der zivilisierten Welt!" Und Herta schwieg und nickte.
So marschierte man ins Reisebüro und buchte eine Rundreise in das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten, die USA.

Doch schon die Einreise gestaltete sich schwieriger als erwartet. Das von der Fluggesellschaft ausgeteilte Einreiseformular war dermaßen klein gedruckt, daß die kurzsichtigen, aber leider eitlen Mustermanns den Versuch unternahmen, es ohne Lesebrille auszufüllen.
Welch ein Fehler: Durchaus gängige Fragen wie "Handeln Sie mit Kinderpornos", "Haben Sie Sex mit Kindern" oder "Geben Sie Ihre mitgeführte Rauschgiftmenge an" wurden von unseren Helden ein wenig mißverstanden. Dies bescherte ihnen eine etwas abrupte Einreise, tiefe Verachtung aller Beteiligten und einen kurzen, aber intensiven Aufenthalt in verschiedenen Verhörzimmern des Flughafens.

Schließlich konnten beide durch ihre vollkommene Biederkeit die Beamten überzeugen, daß die mitgeführte rotgeblümte Unterwäsche ein Geschenk zum 34. Hochzeitstag war. Und nichts anderes.
"Weißt du, Herta", erklärte Heinz-Michel nach dieser aufreibenden Tortur, "wir sollten nicht im hektischen New York bleiben, sondern gleich in den Mittleren Westen aufbrechen, wo wir endlich richtig ausspannen können." Und Herta schwieg und nickte.

So beschlossen beide, zunächst nach St. Louis/Missouri zu fahren, um Schwager Friedewart zu besuchen. Friedewart hatte eine typisch amerikanische Karriere hinter sich: Vom Tellerwäscher zum Millionär und zurück. Das "zurück" hatten Heinz-Michel und Herta leider nicht mitbekommen, so daß sie sich im Hotel "Paradise Inn" einquartieren mußten.
Als erstes bekamen sie dort zu ihrer nicht geringen Überraschung einen lexikongroßen Verhaltenskodex in die Hand gedrückt. Dort war unter anderem zu lesen, daß das Zusammenrücken der getrennten und fixierten Betten bei Strafe verboten sei und keine Esel in Badewannen schlafen dürften. "Wie für dich gemacht", kicherte Herta.

Leider überlasen sie einige wichtige Passagen. Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Sicher war es ein unglücklicher Zufall, daß die Bewohner des Nachbarzimmers beim Liebesspiel, wie in diesem Bundesstaat üblich, ihre Schußwaffen eifrig benutzten und dabei aus Versehen das Hotel in Brand steckten. Aber hätte Herta den Verhaltenskodex genauer studiert, die anschließende Rettung hätte sich einfacher gestaltet.
Denn in Missouri ist zwar Schießen beim Sex erlaubt (ganz im Gegensatz zum prüderen Wisconsin), jedoch nicht die Rettung unvollständig bekleideter Frauen aus brennenden Häusern, es sei denn, sie (die Frauen) sind schwerer als 81,5 Kilo. Und bei Herta handelte es sich um einen Grenzfall.

Um rechtlich auf der sicheren Seite zu bleiben, schickte die Feuerwehr Herta zweimal ins brennende Zimmer zurück, bis sie endlich, halb rauchvergiftet und von den Flammen schon angeleckt, mit einem damenhaften, aber trotzdem für das geübte Ohr der Feuerwehrleute vernehmlichen "Shit" im Sprungtuch landete. Der Fluch wäre zu vernachlässigen gewesen, wenn nicht gerade eine bis an die Zähne bewaffnete Kindergang sich das Spektakel interessiert angesehen hätte. Und Fluchen vor Kindern ist leider verboten in Missouri (500$ Strafe, wahlweise 3 Tage Knast).

Im Krankenwagen sprach Heinz-Michel seiner Frau Mut zu und streichelte liebevoll ihre rußgeschwärzten Wangen. Drei Tage später wurde die Anklage wegen versuchtem Sexualverkehr im Notarztwagen während eines Rettungseinsatzes (Denunziantin war eine Schwester aus 25 Meter Entfernung) endlich fallengelassen.

Während Heinz-Michel wieder mal mit dem Rechtssystem kämpfte wie Don Quichote mit den Windmühlenflügeln und sich die Rechsanwaltsrechnungen der beiden stark erhöhten, erging es Herta im Krankenhaus nicht viel besser. Mangels Nachweis einer Krankenversicherung (die Papiere waren im "Paradise Inn" ein Raub der Flammen geworden) wurde sie erst einmal liegengelassen. Auf ihre in ihren Wachphasen vorgebrachten schüchternen Proteste empfahl ein gutherziger Verwaltungsangestellter, eine Schadenersatzklage mit dem landesüblichen Minimum von 12 Millionen Dollar anzustrengen.

Wie durch ein Wunder schafften es die Mustermanns schließlich, den US-Bundesstaat Missouri hinter sich zu lassen. Zur Rekonvaleszenz beschlossen sie, angeschlagen, aber ungebrochen, eine Woche Hawaii einzulegen. "Weißt du, Herta", sprach der Weltbürger und Mallorca-Veteran Heinz-Michel, "Hawaii ist nicht der puritanische Mittlere Westen." Und Herta schwieg und versuchte trotz Verbänden zu nicken.

Mallorca-üblich schlenderte Heinz-Michel, nur mit Badehose bekleidet, vom Strand ins nächste Einkaufszentrum - böser Fehler! Denn in Hawaii wird bestraft, wer nur mit der Badehose bekleidet sich in der Öffentlichkeit zeigt - 1500$ Strafe.

Leider war dies das endgültige Todesurteil für die Urlaubskasse der Mustermanns. Was jetzt folgt, paßt so gar nicht zum Charakter des peniblen, gesetzestreuen Beamten und seiner angetrauten, angegrauten Herta. Noch heute fällt die Straftat beider völlig aus dem Rahmen der sonst üblichen Delikte. Der große Postraub von Hawaii ging in die Geschichte ein, wurde Thema vieler Balladen und Rocksongs und innerhalb von zwei Jahren siebenmal verfilmt, unter anderem von Wim Wenders in seiner eindrucksvollen Hommage an Amerika: "Posthorn über Hawaii". Das Täterehepaar wurde nie gefaßt und zum Vorbild einer ganzen Generation rüstiger Räuber über 60. Entkommen konnten beide einmal wegen Heinz-Michels intuitiver Kenntnis von Postämtern und andererseits der Abwesenheit der Polizei wegen, die gerade eine badehosentragende TUI-Reisegruppe aus Deutschland inhaftierte.

Im nachhinein stellte es sich heraus, daß der Postraub überflüssig war; denn Friedewart hatte es inzwischen wieder einmal zum Millionär gebracht. Er und Matilda, seine Ehefrau, hatten irrtümlicherweise ihre völlig verschmutzte Angorakatze "Pussi" in die Waschmaschine gesteckt ("Angora ist Angora. Basta!", hatte Matilda gesagt). Während Pussi den Hauptwaschgang noch halbwegs intakt überstand, überlebte sie den Schleudergang leider nicht mehr. Und da die Gebrauchsanleitung der Waschmaschine bedauerliche Lücken aufwies, was Angorakatzen anging, wurde nach den US-Produkthaftungsgrundsätzen ein neuer Multimillionär geboren, während ein Waschmaschinenhersteller pleite ging und Hunderte ihren Job verloren.
"Warum sind sie auch nicht Beamte geworden?", fragte der abgebrühte Heinz-Michel mitleidlos. Und Herta schwieg und nickte.


Epilog

Kopfschüttelnd, um viele Dollars und Erfahrungen reicher, kehrten die Mustermanns nach Deutschland zurück. Dort wurden sie Opfer eines baseballschwingenden Räubers ausländischer Abstammung, der sogar ausnahmsweise gefaßt wurde. Nach einem zweieinhalbjährigen Prozeß, den in erster Linie vier hochdotierte Psychiater gegeneinander ausfochten, wurde festgestellt, daß dem Täter als Kind der Teddybär von seinen Eltern weggenommen worden war, was einen psychischen Defekt zur Folge hatte. Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft wurde der jugendliche Täter mit einer neunwöchigen Erlebnis- und Selbsterfahrungsreise nach Hawaii (!) therapiert. "Weißt du, Herta", sagte Heinz-Michel, "das geschieht ihm recht." Und Herta schwieg und nickte.
Und die Moral von der Geschicht'? Satire? Nein! Geltendes Recht in den USA und Deutschland.

G.D. / K.R. / MiWi