Politik

Wichtiger denn je

Die gute alte Tageszeitung wird nicht aussterben

Das traurige Ende des ältesten Massenmediums, der Tageszeitung, ist immer wieder verkündet worden. Der Siegeszug des Radios und vor allem des Fernsehens schien das gedruckte Wort in die zweite Reihe zu verbannen, ja ihm den Todesstoß zu verpassen.
Doch für eine Leiche sehen die Zeitungen in Deutschland immer noch ziemlich frisch aus. Ihre tägliche Auflage von 31,5 Millionen stagniert zwar, aber auf einem sehr hohen Niveau. 50 Millionen Zeitungsleser gibt es in Deutschland. Das kann sich, verglichen mit der durchschnittlichen Zuschauerzahl der Nachrichtensendungen "heute" und "Tagesschau" (10-12 Millionen) wirklich sehen lassen.
Nicht nur das: Der deutsche Zeitungsmarkt gilt als der vielfältigste in Europa, mit Hunderten von Regionalzeitungen mit ihren sehr gefragten Lokalteilen.


Große Vielfalt

Aber auch die überregionalen Blätter bieten für jeden Geschmack etwas: Die extrem auflagenstarke (4,4 Millionen) klassische Boulevard-Zeitung "Bild", die seriösen, einflußreichen Qualitätszeitungen "FAZ", "Süddeutsche Zeitung", "Frankfurter Rundschau"; und "Welt", die Nischenprodukte für aussterbende politische Gesinnungen "taz" (grün-alternativ) und "Neues Deutschland" (poststalinistisch) oder Wirtschaftsblätter wie das "Handelsblatt".
Alle Umfragen belegen, daß die Bundesbürger auf ihre Zeitung auf keinen Fall verzichten wollen. Sie unterstellen ihr einen sehr hohen Glaubwürdigkeitswert (wobei übertriebener Respekt vor dem gedruckten Wort mitspielen mag).
Der Hauptvorteil der Zeitung liegt aber darin - und das macht sie vor allem dem Fernsehen überlegen -, daß der Leser sich frei entscheiden kann, was er liest. Er muß nicht einen seriellen Strom von Informationen oder Reizen passiv über sich ergehen lassen, bis etwas kommt, das ihn interessiert, sondern kann aktiv auswählen. Qualitätsblätter wie die "FAZ" und die "Süddeutsche" bieten ihren Lesern derartig viel Information, daß die Frage "Hast du heute die FAZ gelesen?" nur als schlechter Scherz gewertet werden kann.
Zeitungsleser sind also notgedrungen geistig wesentlich aktiver als Fernsehkonsumenten.
Aber - droht nicht eine weitere Gefahr, die die Zeitung alt aussehen läßt? Ist nicht das Internet mit seinen gigantischen Informationsmöglichkeiten eine Art elektronische Zeitung auf dem Bildschirm, die nicht nur viel mehr bietet, sondern auch noch viel aktueller ist? Und dazu noch interaktiv?
Ja und nein. Ja, weil die Zeitungen sich ihre Haupteinnahmequelle, das Anzeigengeschäft, mit einem weiteren Konkurrenten teilen müssen. Ja, weil manche Informationen praktischer, schneller und ausführlicher über das Internet abgerufen werden können (etwa Börsenkurse).


Internet keine Gefahr

Aber das Nein überwiegt. Gäbe es heute, im Internet-Zeitalter (und nehmen wir mal an, die immer noch grauenhaft lahmen Verbindungen wären pfeilschnell und praktisch kostenlos), keine Zeitungen, sie würden erfunden werden. Warum? Weil sie so unendlich praktisch und wertvoll sind. Man braucht einfach ein Medium, das Informationen sammelt, auswertet, gewichtet, einordnet und kommentiert.
Das ginge zwar auch im Internet. Aber bis auf das legendäre "Wall Street Journal" hat es keine Zeitung geschafft, einen erfolgreichen Online-Ableger auf die Beine zu stellen, für den die Leser zu zahlen bereit sind. Die Zeitungen werden also weiter aus Papier bestehen.
Die deutschen Zeitungsverlage haben die Internet-Gefahr erkannt und geben meist Online-Ausgaben heraus, deren Qualität durchwachsen ist.


Massiver Kostendruck

Die Gefahren für die Zeitungen in Deutschland liegen weniger darin, daß sie durch das Internet verdrängt werden könnten. Vielmehr fürchten sie das Wegbrechen von Teilen des Anzeigengeschäfts. Besonders bei Kleinanzeigen, Immobilien, Autos, Stellen und Reisen dürfte die Gefahr akut sein. Immerhin nur 37% der Einnahmen der deutsche Zeitungen erfolgen durch direkte Zahlungen der Leser am Kiosk oder im Abonnement.
Inzwischen ist man zum Gegenangriff übergegangen. Die Zeitungsverleger wollen ein Gemeinschaftsunternehmen im Bereich der Online-Rubrikanzeigen gründen, um den verlagsfremden Konkurrenten wie etwa eBay entgegenzutreten.
Aber auch der Kampf um die Werbebudgets gegen den klassischen Konkurrenten Fernsehen wird härter. Nimmt man alle Werbeeinnahmen zusammen, sind die Tageszeitungen mit etwa 27% klarer Marktführer; das Fernsehen folgt mit 19%. Vor 10 Jahren betrug das Verhältnis aber noch 34% zu 9%! Und nimmt man die Regional- und Rubrikenwerbung heraus, was zu einer besseren Vergleichbarkeit führt, hat das Fernsehen die Zeitungen weit überflügelt: 6,6 zu 3,5 Milliarden DM Werbeumsatz im ersten Halbjahr 1999 (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft).


Zeitungssterben

Um bei schrumpfenden Werbeerträgen die Erlöse halbwegs konstant zu halten, muß man die Preise erhöhen. Das ist in einem Markt mit Konkurrenten schwierig. Folglich müssen diese verschwinden. Die Großen übernehmen also die Kleinen und können aufgrund höherer Auflage und fehlender Wettbewerber auch höhere Anzeigenpreise verlangen.
Solche lokalen Zeitungsmonopole bei Regionalzeitungen (zu Lasten der Qualität der Berichterstattung) sind längst die Regel. In Köln übernahm kürzlich DuMont ("Kölner Stadtanzeiger") den alten Erzrivalen "Kölnische Rundschau". Deren Redaktion blieb dieselbe, aber der Anzeigenteil der ehemaligen Konkurrenten ist identisch. Gemeinsam, so hoffen die Manager wohl, wird man erheblich mehr Geld verdienen als beide Zeitungen früher allein.


Verflachung

Die größte Gefahr für die gute alte Tageszeitung aber ist die immer stärkere Verflachung. Um im redaktionellen Teil Geld zu sparen, verzichten - so ist der erdrückende Augenschein - immer mehr Blätter auf ein eigenständiges Profil. Sie füllen ihren Hauptteil mit den aus den Fernsehnachrichten vom vergangenen Abend sattsam bekannten Agenturmeldungen.
Ihrer Aufgabe, Informationen auszuwerten, zu gewichten und zu kommentieren, kommen die meisten deutschen Regionnalzzeitungen nur noch sehr bedingt nach. Die Zeitungen werden verwechselbar, so daß sie nicht mehr ernst genommen werden. Eine gewisse Eigenständigkeit leisten sich nur noch die großen, überregionalen Zeitungen.
Pressefreiheit, so ein sarkastisches Bonmot des früher berühmten Journalisten Paul Sethe, sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu sagen. Schön wär's. Heute glauben selbst die 200 Reichen sich dies nicht mehr leisten zu können, wenn sie reich bleiben wollen.
All dies wird für Zeitungen gefährlicher sein als ein neues Medium, mit dem bisher noch niemand Fische verpackt, den Fußboden abgedeckt oder ein Buch eingeschlagen hat.

Ausführliche Informationen zum deutschen Pressewesen: Bundesverband deutscher Zeitungsverleger.