Satire

ExKlosiv

Ein ganz normaler Fernsehabend im Oktober

Fernsehstudio in Hürth-Kalscheuren. Vorbereitungen für das RTR-Boulevardmagazin "RTR exKlosiv". Moderatorin Barbara Seligmann legt letzte Hand an ihre Betonfrisur und probt noch einmal ihr stahlhartes Lächeln. Im Hintergrund läuft die reißerisch-heroische Titelmusik. Und schließlich - endlich - leuchten die roten Lampen auf. Barbara Seligmann ist in ihrem Element.

Seligmann: Guten Abend, meine Damen und Herren. Bauen wird immer teurer. Aber es geht auch billiger. Wege aus dem Tal der Tränen suchte der Gründungskongreß der Unternehmer für alternatives Bausparen in London.

Stimme aus dem Off: Überall auf der Welt explodieren die Baupreise. Aber es geht auch anders. Dieser Meinung sind die Teilnehmer am Gründungskongreß des Konsortiums für alternatives Bausparen und Müllentsorgung (KaBuM). Nicht, daß diese Herren etwas gegen hohe Rechnungen hätten, aber durchaus gegen hohe Materialkosten. Marktführer sind türkische und taiwanesische Firmen, die die überlegenen Eigenschaften traditioneller Materialien in tragenden Gebäudeteilen, wie etwa Zeitungspapier, Bauschaum, leere Getränkeflaschen und Sojaölkanister betonen. Wir fragten spontan Passanten in der Londoner City, was sie von dieser Art der Gewinnmaximierung halten.

Passant Eins: Also ich komme gerade vom Bahnhof. Mein Vermieter zieht mir so oder so das Fell über die Ohren, und ob ich von der Eisenbahn umgebracht werde oder von meinem einstürzenden Neubau, das ist mir egal.

Passant Zwei (sehr distinguiert): Well, seitdem das Niveau der Times so gesunken ist, würde ich darauf kein Haus mehr bauen.

Seligmann (emotionslos): In den Erdbebengebieten der Welt leben über eine Milliarde Menschen. Eine Milliarde, die Tag für Tag wegen der Profitgier einiger weniger um ihr Leben fürchten müssen. Natürlich ohne jene, die es schon hinter sich haben. - Nach der Werbung sehen Sie: Oskar Lafontaines Abrechnung, neue Entwicklungen zum Wehretat, und zum Schluß der Blick auf eine neue japanische Gameshow.

Werbung. Plärrende Kinder auf einem Spielplatz vor einer ostdeutschen Plattenbausiedlung. Franz Beckenbauer schlendert betont lässig mit einem knallbunten Kinder-Handy in Teddyform in den Vordergrund.

Beckenbauer: Kid parties, baby sitting, dates für das meeting am Nachmittag auf dem playground. Der Streß plagt unsere Kids. Wer blickt da noch durch. Und hier greift das neue kid phone von e-plus mit Terminkalender-Funktion. Das ganze für 29,95 im street kid-Tarif. Alles andere ist doch nur was für Warmduscher, Schwachstruller und Festnetztelefonierer. Und das schöne ist: Die Grrundgebühr ist oa scho drinn.

(Nach einigen weiteren Spots und nervenden Eigenwerbungen ist wieder das Studio zu sehen.)

Seligmann: Er war die Nummer Eins der SPD, bis er alles hinschmiß. Nun taucht er wieder auf: Oskar Lafontaine über die wahren Gründe seines Rücktritts.

Stimme aus dem Off: Hier, in diesem Gourmettempel am Rande Saarbrückens, haben wir den in den Augen der britischen Presse gefährlichsten Mann Europas endlich aufgespürt. (Schwenk auf Lafontaine, der genießerisch an einem italienischen Rotwein nippt)

Lafontaine: Meine Gründe wollen Sie wissen? Jeder Bürger, der schon einmal neun Stunden lang in einem Raum verhandelt hat, in dem es nach Schröders Cohiba-Zigarren stank, in dem Müntefering permanent an seiner zu fettigen Frisur herumspielte, Scharping dauernd herumschnarchte und ich dauernd Trittins Füße von meinem Tisch wischen mußte, weiß, wovon ich rede. Abah!

Frage: Warum sind Sie denn überhaupt in die Regierung gegangen?

Lafontaine: Ich hatte keine Lust, erst nach meiner Wahlniederlage im Saarland ins Bundeskabinett eintreten zu müssen, wie Klimmt und Eichel, die armen Hunde, die um jede Zusatzversorgung betteln müssen. An dieser Stelle möchte ich auch gleich auf mein neues Buch hinweisen, das zur nächsten Buchmesse erscheinen soll. Titel: "Der Magen knurrt in der Mitte". Von jedem verkauften Buch gehen 9,95 Kilojoule an die Welthungerhilfe.

Seligmann: Und nun kommen wir zu unseren exKlosiv-Schlagzeilen.

Offsprecher: Dili. In der osttimoresischen Hauptstadt greift die Armut um sich. Nicht nur Einheimische betteln ungeniert bei den internationalen Beobachtern, auch Bundeswehr-Soldaten wurden bereits mit aufgehaltenem Barett gesichtet.

Bundeswehr-Sanitäter: Was bleibt uns anderes übrig, wo die Bundesregierung nur den Hinflug finanziert hat? (Schnitt, Scharping in Berlin)

Scharping: Wir werden nicht überhastet eine solide Lösung finden (nickt ein).

Offsprecher: Peking. Auf dem Platz des Himmlischen Unfriedens wurden heute zur Feier des fünfzigsten Jahrestages der Staatsgründung durch Mao Betong, des Initiators der Kulturschockrevolution und Erfinder des gleichnamigen Anzugs, 5000 Fahraddiebe durch Genickschuß öffentlich hingerichtet. An die Bevölkerung erging der Appell, die Fahrräder in Zukunft abzuschließen.

Seligmann: Und nun zum Schluß, zu einer neuen japanischen Game-Show: Tokaimura. Stellen Sie sich diese Sendung vor als eine Mischung aus "Wetten, daß ..." und "Spiel ohne Grenzen". Doch die Aufgaben, die auf die Kandidaten warten, haben es in sich. Und manchmal muß man sich schon fragen, ob diese Art von Spiel auf europäische Verhältnisse übertragbar ist. Kritiker verneinen dies. Aber sehen sie selbst.

Eine riesige Halle in einer bekannten japanischen atomaren Forschungsstation. Im Hintergrund ein riesiges Rund mit Tausenden begeistert mitgehender und knipsender Zuschauer. Vorne erklärt ein Moderator, umgeben von zwei Spielteams, die Regeln.

Moderator: ... und wer am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt eine Eigentumswohnung im Zentrum von Tokio für acht Familienmitglieder auf verschwenderischen 43 Quadratmetern! (Applaus)

Das Spiel beginnt. Während beide Teams beim Plutonium-Slalom noch gleichauf liegen, gerät Team 2 bei "Hau den Brennstab" schon leicht ins Hintertreffen. Dieser Rückstand vergrößert sich beim Schnellen Wett-Brüten, so daß der Teamkapitän bei der letzten Disziplin, dem Uran-Hindernislauf, beschließt, alles auf einen Eimer zu setzen. 16 Kilo Uran setzen eine unkontrollierte Kettenreaktion in Gang. Der Saal tobt.

Moderator (strahlt): Und das gibt 100 Punkte für die interessantesten Lichteffekte und 200 für innovative Ideen. Und 300 Punkte und eine kostenlose Weltreise durch alle führenden Krebskliniken für unsere tüchtigen Feuerwehrleute! (Applaus)

Seligmann: Dieses neue Konzept einer reality catastrophe show hat RTR schon für Sie (lächelt stahlhart) in Lizenz gekauft. In wenigen Wochen wird die neue Show mit Björn Engholm als Moderator aus Gorleben für Sie gesendet. Gemäß unserem Motto: Wir strahlen für Sie.

G.D. / K.R. / MiWi