Politik

Ärger statt Einheit

Streit in der katholischen Kirche über die Schwangerenberatung

Genau das wollte Johannes Paul II. eigentlich verhindern: Seit dem erneuten Aufflammen der Diskussion über die Vergabe von Bescheinigungen bei der Schwangerenkonfliktberatung ist die Einheit unter den deutschen Bischöfen dahin. Noch im Juni hatte ihre Vollversammlung bei nur einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen einen Zusatz auf den Bescheinigungen beschlossen, durch die schwangere Frauen die Inanspruchnahme einer Konfliktberatung nachweisen können. Damit wird eine straffreie Abtreibung möglich.

Nachfrage

Doch eben dieser Zusatz war für eine Gruppe von Bischöfen um den Kölner Kardinal Joachim Meisner schon bald der Stein des Anstoßes. Denn der Passus "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden" wurde im vollen Bewußtsein beschlossen, daß er vor den staatlichen Stellen wirkungslos ist, Frauen also trotzdem mit diesem Schein einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Was die Angelegenheit noch pikanter macht: Genau dieser Zusatz war den Bischöfen in einem päpstlichen Schreiben vor der Juni-Vollversammlung vorgeschlagen worden, um eine Weisung des Heiligen Vaters zum Ausstieg aus der bisherigen Beratungspraxis zu verhindern.
So stellte Meisner, den die Widersprüchlichkeit der Beschlüsse bedrückte, eine Anfrage nach Rom, ob es so gewollt gewesen sei, daß die Beratungsscheine trotz des Zusatzes weiter zur Abtreibung genutzt werden könnten. Tatsächlich hatte Meisner da eine wunde Stelle getroffen, denn die Antwort von Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano und dem Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Joseph Ratzinger im Auftrag des Papstes stellte fest, daß eine faktische Ignorierung des Zusatzes durch die staatlichen Stellen nicht im Sinne des Papstes sei. So entbrannte auf der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda und in deren Umfeld ein heftiger Streit, bei dem sich die Bischöfe sogar persönlich hart angingen.


Argumente

Eigentlich herrscht über das Ziel der katholischen Kirche in Sachen Schwangerschaftsabbruch Einigkeit: Die Zahl der Abtreibungen soll so niedrig wie möglich ausfallen. Die Gegner der bisherigen Beratungspraxis sehen aber die Rolle der Kirche als Anwalt für das Leben der ungeborenen Kinder dadurch geschwächt, daß diese durch die Ausstellung der Bescheinigungen sich quasi zum Mittäter macht. Denn erst mit dem Nachweis einer Beratung durch den entsprechenden Schein wird eine Abtreibung straffrei möglich.
Dagegen sehen die Befürworter des Beratungsscheins gerade in diesem Schein eine Chance für die katholische Kirche, Frauen, die sich noch nicht entschieden haben, zum Behalten des Kindes zu bewegen. Würden die katholischen Beratungsstellen keine Scheine mehr ausstellen, müßten diese unschlüssigen Frauen zu anderen Stellen, zum Beispiel von "Pro Familia", gehen. Daß dort die Tendenz der Beratung in eine andere Richtung geht, ist ein offenes Geheimnis.
Die Frage, welche der beiden Sichtweisen vom moralischen Standpunkt her eher zu vertreten ist, ist nicht so einfach zu beantworten. Ein Ausstieg aus der bisherigen Schein-Praxis, der nach dem Antwortschreiben aus Rom über kurz oder lang folgen muß, wird der Kirche sicher eine "weiße Weste" bescheren in dem Sinne, daß keine "Mittäterschaft" mehr vorliegt. Andererseits müssen sich Bischöfe und Papst dann fragen lassen, ob sie wirklich alles für den Schutz der ungeborenen Kinder getan haben.


Welcher Weg ist besser?

Schwierig ist die Problematik auch dadurch, daß keine verläßlichen Zahlen über die Wirksamkeit der verschiedenen Lösungen vorliegen. Der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba, in dessen Bistum schon seit Jahren zwar Schwangere beraten, aber keine Bescheinigungen darüber ausgestellt werden, behauptet, daß sein System vorzüglich funktioniere. Doch es gibt eben keine Statistiken, die besagen könnten, ob bei Ausstellung eines Scheines im Bistum Fulda nicht doch noch mehr Frauen die kirchliche Beratung in Anspruch nehmen und so eventuell zum Austragen des Kindes bewegt würden. Andererseits fehlen ebenso Vergleichswerte, ob Frauen die einen Beratungsschein von einer katholischen Beratungsstelle erhalten haben, diesen seltener zur Abtreibung benutzen als solche Schwangere, die etwa bei "Pro Familia" waren.


Notwendige Klarstellung

Bei allem Pro und Contra, in einem Punkt hat Kardinal Meisner sicher recht mit seinen Bedenken: Gerade in der Institution Kirche ist der Widerspruch nicht zu ertragen, daß man auf den Schein schreibt, er könne nicht zur straffreien Abtreibung benutzt werden, in dem vollen Wissen, daß gerade dies möglich ist. Ganz plakativ könnte man auch sagen: "Du sollst nicht lügen."
Und der vermeintliche Ausweg mit dem ergänzenden Hinweis auf dem Beratungsschein war ohnehin wenig überzeugend. Schon vor der Juni-Versammlung der Bischöfe hatte man ja auch mit dem Ausstieg aus der Beratung gerechnet und war um so verwunderter, als der Vorsitzende Bischof Lehmann aus Mainz die "Zusatz-Lösung" präsentierte. Die Klarstellung aus Rom war daher notwendig und sinnvoll.
Dennoch: Die Materie ist so verzwickt, daß zweifelhaft ist, ob es überhaupt eine moralisch vollständig akzeptable Lösung für die Kirche geben kann. Irgendwie macht man sich immer die Finger schmutzig, irgendwie ist alles nur eine Scheinlösung.


Meint die Politik es ernst?

Dabei ist das Problem gar nicht hausgemacht. Der eigentliche Übeltäter ist der Gesetzgeber, die Politik. Dort ist die "Lösung" entstanden, Abtreibung sei zwar verboten, aber unter gewissen Bedingungen straffrei. Ein Konstrukt, was nur Juristen richtig verstehen können. Für die Normalbürgerin/den Normalbürger ist entscheidend, was am Ende herauskommt. Und dies ist, daß Abtreibungen strafrechtlich praktisch nicht verfolgt werden. Es ist utopisch zu glauben, so könne das Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger für die ungeborenen Kinder geschärft werden!
Auch an zwei anderen Aspekten zeigt sich, wie sehr sich der Gesetzgeber aus der Verantwortung stiehlt. Erstens: In der Diskussion um den Verbleib der katholischen Kirche im staatlichen Beratungssystem war kurzzeitig einmal eine andere Lösung im Gespräch: Anstatt der Ausstellung von Scheinen durch die Beratungsstellen hätten die Schwangeren selbst vor der Abtreibung eine eidesstattliche Erklärung abgeben können, daß sie eine entsprechende Beratung in Anspruch genommen hätten. Eine entsprechende Modifikation der gültigen Gesetze wäre doch ein netter Beweis seitens der Politik gewesen, daß die katholische Beratung tatsächlich so geschätzt wird, wie dies allerorts behauptet wird.
Zweitens: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aus dem die derzeit gültige Regelung von Schwangerschaftskonflikten resultiert, sieht vor, daß nach einer gewissen Zeitspanne die Wirksamkeit der neuen Gesetze im Sinne des Lebensschutzes überprüft werden muß. Dies ist bis jetzt noch nicht ernsthaft angegangen worden. Im Gegenteil, die zaghaften Versuche der damaligen Familienministerin Nölte in diese Richtung wurden niedergemacht bzw. totgeschwiegen.


Glaubwürdigkeit demonstrieren

Noch einmal zurück zur katholischen Kirche: Damit das vom Papst geforderte Zeugnis für das Leben wirklich ernst genommen wird, muß sich die Kirche auch auf die eigene Glaubwürdigkeit besinnen. Entscheidend dafür ist sicher auch die Frage, wie die Bischöfe untereinander und die Bischöfe mit den Laien bei der Diskussion umgehen. Wenn Erzbischof Dyba die Initiative der katholischen Laienorganisationen zur Fortführung der Schwangerschaftskonfliktberatung mit Schein "Donum Vitae" (Geschenk des Lebens) als "Geschenk des Todes" bezeichnet, ist dies sicherlich nicht förderlich.
Förderlich sind vielmehr Aktivitäten, die den in Not geratenen Frauen konkrete praktische Hilfe anbieten, wie beispielsweise in Leverkusen der Verein "Wort und Tat". Dort werden Wohnmöglichkeiten für werdende bzw. gewordene Mütter angeboten, und auch für eine Betreuung der Kinder ist gesorgt.

M.W.