Editorial

Abgestraft

Die SPD wird für Schröder gerupft

Bei der SPD jagt ein Fiasko das andere. Besonders verheerend: die Niederlage in den Kommunen Nordrhein-Westfalens. Rote Hochburgen wurden am Fließband geschleift. Essen, Köln, Dortmund, Gelsenkirchen - und Leverkusen. Viele gestandene SPD-Kommunalpolitiker wurden abgewählt, nicht wegen ihrer Unfähigkeit, sondern der des Kanzlers.
In diesen Tagen erleben wir in Deutschland ein Lehrstück in politischer Führung - oder besser: in fehlender politischer Führung. Sparen, die Gesellschaft umbauen, die sozialen Sicherungssysteme reformieren - nicht alles, was Rot-Grün zur Zeit will, ist falsch. Vieles geht in die richtige Richtung, wie etwa die politische Priorität für die Haushaltssanierung oder die von Arbeitsminister Riester propagierte zusätzliche Privatversicherung fürs Alter.
Doch der Eindruck, die Regierung würde für den Mut ihrer Reformvorschläge bestraft - weil die Wähler den alten, wohligen Sozialstaat dem rauheren Schröder-Klima vorzögen -, ist falsch.
Vermutlich wären auch viele Ex-SPD-Wähler dem neuen Kurs zähneknirschend gefolgt, wäre er überzeugend vorgebracht worden. Aber zu viele erinnern sich noch sehr gut, daß derselbe Bundeskanzler zu Beginn seiner Amtszeit auf die Staatsverschuldung pfiff (heute: "Sanierung ist ohne Alternative"). Er überließ Superminister Oskar Lafontaine ausdrücklich diesen Politikbereich. Und der dachte gar nicht an Sparen, sondern an keynesianistische Konjunkturbelebung über den Staatshaushalt.
Einer solchen Regierung trauen die Wähler nicht. Sie halten sie für fähig, schon morgen die Gewichte wieder ganz anders (natürlich wieder "ohne Alternative") zu verteilen. Sie halten Schröder & Co. für Opportunisten. Und sie haben recht.
Sehr viele Wähler erinnern sich noch hervorragend, wie Schröder im Bundestagswahlkampf vor einer vor Begeisterung kochenden Anhängerschar voller Emphase ausrief, die Rentenpläne der Kohl-Regierung (vor allem der "demographische Faktor") seien "unanständig".
In der Tat strich Rot-Grün den demographischen Faktor nach der Wahl, um kurz darauf in Riesters Rentenkonzept die Rentensteigerung für zwei Jahre von der Nettolohn-Basis auf die (viel niedrigere) Inflationsrate umzustellen. Im Ergebnis eine stärkere Rentenkürzung als die geplante von Blüm, mit dem zusätzlichen Nachteil, daß die in Blüms Konzept enthaltene langfristige Entlastung wegfiel.
Jetzt sucht die SPD verzweifelt nach etwas, das so aussieht wie der "demographische Faktor", genauso schmeckt, wirkt und riecht, aber anders verkauft werden kann.
Die Rentenfrage macht besonders deutlich, was zum derzeitigen Absturz der Regierung geführt hat. Es ist weniger die Sparpolitik. Es ist der Eindruck, die Regierung und vor allem der Kanzler seien reine Machtmenschen ohne politisches Konzept. Wähler mögen es nicht, verschaukelt zu werden. Sie (oder jedenfalls die meisten von ihnen) können mit grausamen Wahrheiten leben, wenn ihnen reiner Wein eingeschenkt wird.
Wenn der Kanzler zu allem Überfluß auch noch jedes Stilgefühl vermissen läßt, indem er etwa in Edel-Klamotten für dürftige Hochglanz-Magazine posiert, während sein Finanzminister gerade die neuesten Streichungen ausheckt - eine solche Regierung hat manches verstanden, aber sicher nicht die Seelenlage der Wähler.