Politik

Kaschmir-Kanzler

Eine Bilanz nach einem Jahr

"Nicht alles anders machen, aber vieles besser!" - Mit diesem Rezept führte der damalige Bundeskanzlerkandidat Gerhard Schröder die SPD zum Wahlsieg bei der letzten Bundestagswahl im September 1998. Mit frischem Wind würde er die Bundesrepublik ins nächste Jahrtausend führen, und so wählten die Wähler, wohl ermüdet von 16 Jahren Helmut Kohl, den Strahlemann Schröder zum Bundeskanzler. Insbesondere die vielbeschworene ominöse "Neue Mitte" verhalf dem sozialdemokratischen Doppelpack Lafontaine/Schröder an die Spitze.

Doch was kann diese Regierung nach einem Jahr vorweisen? Die Bilanz ist ernüchternd. Nach ihrem Sieg nahm die neue rot-grüne Koalition die meisten Reformbeschlüsse der alten Regierung zurück. Darunter die Gesundheitsreform, die gekürzte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die demographische Anpassung der Rente. Die soziale Gerechtigkeit schien gesiegt zu haben.
Schnell wurden weitere Projekte in Angriff genommen, wie z.B. der Ausstieg aus der Atomenergie und der Umbau der Weltwirtschaft nach den Vorstellungen des Weltfinanzfachmannes Oskar Lafontaine. Bei letzterem biß er allerdings beim Rest der Industriestaaten auf Granit und widmete sich daher lieber einem Nebenschauplatz - der ökologischen Steuerreform.


Belastungen der sozial Schwachen

Diese Reform wurde unter anderem. damit begründet, Familien und sozial Schwächeren mehr Geld ins Portemonnaie zu bringen. Ein durchaus nobles Ziel. Der Verteilung von unten nach oben sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Doch die Umsetzung ist alles andere als gerecht. Da wurden rasch die Energiepreise stark erhöht, das Benzin weiter verteuert und die Mehrwertsteuer angehoben. Als Ausgleich wurden die Lohnnebenkosten gesenkt und das Kindergeld erhöht. Alles schön und gut. Außer für diejenigen, die kein Einkommen beziehen - Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Studenten und Rentner. Diese "kleine" Personengruppe hat nichts von höherem Kindergeld oder gesenkten Lohnnebenkosten und wird noch stärker zur Ader gelassen. Wahrhaft sozial. Schade nur, daß die "Politik der sozialen Kälte" mit der Regierung Kohl abgewählt wurde.


Industrie wurde geschont

Um der Industrie Mehrbelastungen zu ersparen, wurden insbesondere energieintensive Branchen ganz oder teilweise von der Ökosteuer befreit, so daß das Wort "ökologisch" vollkommen ad absurdum geführt wurde. Nur der Bürger zahlt, aber nicht die Industrie. Man sieht - die Reform ist ökologisch ein Schuß in den Ofen und unsozial dazu. Wahrlich die Handschrift Lafontaines - die sein Nachfolger Hans Eichel nun ausbaden darf. Ein nicht unerheblicher Teil des 30-Milliarden-Loches stammt von Lafontaine.
Ausbaden dürfen nun auch verschiedene Ministerien die Rücknahme der oben genannten Reformen. Frei nach dem Motto "Erst zurücknehmen und dann nachdenken" fällt vielen Genossen und Grünen nun auf, daß das alte Kabinett diese Beschlüsse wohl doch nicht nur aus lauter Boshaftigkeit dem kleinen Mann gegenüber gefaßt hat. So wird die Zuzahlung bei Medikamenten wohl bald wieder steigen.
An den Renten wird auch wieder eifrig herumgestrichen. Was nun besser ist - die Senkung der Rente à la Norbert Blüm mit der Koppelung an die Nettoerhöhungen der Löhne oder die Erhöhung der Rente "nach Kassenlage" à la Riester entzieht sich meiner Kenntnis. Letzteres scheint aber auch bei den Sozialexperten der SPD nicht ohne Bauchschmerzen abzugehen.


Bündnis für Arbeit

Kommen wir zum Lieblingsprojekt von Bundeskanzler Schröder - dem Bündnis für Arbeit. Schon sein Vorgänger Helmut Kohl mußte einsehen, daß ein solcher Debattierclub nur bedingt in der Lage ist, Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen. Vielmehr treffen hier ungeschminkt die Positionen der Lobbyistenverbände aufeinander. Weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften sind wirklich an einer Schwächung ihres Einflusses interessiert und wollen der eigenen Klientel nicht schaden.


Stumpfe Waffe

So verwandelt sich Schröders gepriesenes Allheilmittel gegen die Dauerarbeitslosigkeit in eine stumpfe Waffe. Es wird Zeit, daß dieser Kanzler selbst Hand anlegt, statt die Lösung dieses Problems einem Runden Tisch zu überlassen.
Der Ausstieg aus der Atomenergie und der ökologische Umbau der deutschen Industrie verwandelt sich für den kleinen Koalitionspartner wie erwartet zum absoluten Desaster. Trauriger Höhepunkt war wohl, als Bundesumweltminister Trittin die Altautoverordnung ablehnen mußte, weil sein Chef, ein bekannter Autolobbyist, dieser Reform nicht zustimmen wollte.
Der Ausstieg aus der Kernenergie verwandelt sich dafür wohl eher zu einer Einigung, keine neuen Reaktoren mehr zu bauen.
Mehr Worte hat diese Umweltpolitik nicht verdient.
Kommen wir zu einem kleinen Lichtblick. Wohl nicht nur die gesamte Weltwirtschaft dürfte aufgeatmet haben, als Oskar Lafontaine die Brocken als Bundesfinanzminister hinwarf und sich schmollend in den wohl(?)verdienten Ruhestand zurückzog. Daß man einem Arbeitnehmer die letzten Tage vom Lohn abgezogen hätte, wenn er einfach bis zu seiner offiziellen Entlassung nicht mehr zur Arbeit erschienen wäre, bleibt im Raume stehen. Jedenfalls genießt Frührentner Lafontaine sein Dasein als Familienvater - bei vollen Pensionsbezügen, versteht sich.


Lichtblick

Nun war das Finanzministerium frei für Hans Eichel, der mit seinem Sparpaket schnell republikweit bekannt wurde. Es hat zum Ziel, die gigantischen Haushaltslöcher zu begrenzen, so daß der Bund irgendwann einmal wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkehren kann, den es seit Ende der 50er Jahre nicht mehr gegeben hat.
Wie diese Umsetzung läuft, bleibt abzuwarten. Es ist jetzt schon ziemlich sicher, daß der Sparbeschluß nicht gegen den Willen der CDU verabschiedet werden kann. Eine gute Gelegenheit für konstruktive Oppositionsarbeit, um dem Wähler bei der nächsten Bundestagswahl eine Perspektive zu geben.


Fazit

Eigentlich ist bisher alles im Sande verlaufen, was sich die neue Koalition auf die Fahnen geschrieben hat. Jetzt, nach einem Jahr, kann auch nicht mehr die klassische Ausrede einer jeden neuen Regierung herhalten, die Vorgänger hätten einen Saustall hinterlassen.
Vielleicht sollte Herr Schröder endlich zu regieren anfangen, statt seine Minister und die gesellschaftlichen Kräfte nur zu "moderieren".
Bitte kein Kaschmir-Kanzler mehr!

MiWi