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Der gewaltige Sprung

Vor dreißig Jahren: Der erste Mensch auf dem Mond

Montag, 21. Juli 1969, 3.39 Uhr Mitteleuropäischer Zeit: Der amerikanische Astronaut Neil Armstrong betritt als erster Mensch den Mond. Armstrongs Kopilot Edwin Aldrin folgt kurz darauf. Währenddessen umkreist der dritte im Bunde, Michael Collins, mit dem Apollo-Mutterschiff einsam den Mond. Auf der ganzen Welt - egal wieviel Uhr es ist - fiebern die Menschen gebannt mit.
"One small step for men, one giant leap für mankind" ("Ein kleiner Schritt für den Menschen, aber ein gewaltiger Sprung für die Menschheit") - diese Worte Armstrongs sind in den allgemeinen Zitatenschatz eingegangen, nicht ohne einen spöttischen Beiklang. Wozu das ganze eigentlich? Nutzte es irgend jemandem? War die Mondlandung nicht viel eher ein reines Prestigeunternehmen, um im sehr irdischen Wettstreit mit den Sowjets die Nase vorn zu behalten, nicht zuletzt auch eine Genugtuung nach den vielen Niederlagen im Weltraumrennen?
Meiner Ansicht nach tut man mit solchen Überlegungen den geistigen Vätern der Mondlandung Unrecht. Denn der konkrete Plan, "bis zum Ende dieses Jahrzehnts [der sechziger Jahre] einen Menschen auf den Mond zu landen und ihn unversehrt zur Erde zurückzubringen", entstammt der frühen Präsidentschaft John F. Kennedys (1961). Es war eine Zeit des Aufbruchs, des festen Glaubens, daß starker Wille Wege bahnt. Kennedys "new frontier"-Visionen, die Idee, daß sich die Amerikaner, wie schon im 18. Und 19. Jahrhundert, in unbekanntes Gelände, diesmal allerdings den Weltraum, vorwagen und es nutzbar machen würden, entsprach voll und ganz der Mentalität seiner Landsleute, aber ebenso uralten Träumen der Menschheit.
Es läßt sich aber auch nicht bestreiten, daß lange Jahre die Russen im Weltraumrennen tatsächlich die Nase vorn hatten. 1957 schossen sie den ersten künstlichen Satelliten Sputnik ins Weltall. 1961 war der Russe Juri Gagarin in seiner Kapsel "Wostok 1" der erste Mensch im Weltraum. Die Amerikaner schickten als Reaktion Alan Shepard mit "Freedom 7" und später Virgil Grissom mit "Liberty Bell 7" ins All. Allerdings dauerten diese Flüge nur je eine Viertelstunde. Erst 7 Monate später, im Februar 1962, schaffte John Glenn als erster Amerikaner echte Erdumrundungen. (Glenn, inzwischen 76 und Senator, machte vor einigen Monaten Schlagzeilen, als er mit dem Space Shuttle erneut in den Weltraum flog - erheblich länger als beim ersten Mal übrigens.)
Die Russen gingen da ganz anders vor. Ihre Raumschiffe waren größer, die Dauer der Raumaufenthalte länger. Valentina Tereschkowa wurde die erste Kosmonautin. Im Herbst 1964 schickten die Russen mit "Woschod 1" das erste Raumschiff mit drei Mann Besatzung ins All. Im Frühjahr 1965 vollführte Alexej Leonow den ersten "Weltraumspaziergang".
Doch die Sowjets verplemperten ihren anfänglichen Vorsprung. Offiziell hieß es, man sei am Mond gar nicht interessiert, sondern nur am Bau einer ständig bemannten Raumstation in der Erdumlaufbahn. Spektakuläre Flüge unbemannter russischer Mondsonden ließen das fraglich erscheinen. In Wirklichkeit wollten die Sowjets denn auch beides. Dabei verzettelten sie sich, und spätestens 1968 war ihnen klar, daß sie das Rennen zum Mond verloren hatten. Eindrucksvoll beschrieb nach der Wende 1989 im Fernsehen ein damals für einen Mondflug ausgewählter Kosmonaut, wie er 1969 den US-Mondflug mitverfolgte - mit einer Mischung aus Solidarität mit dem amerikanischen "Kollegen" und Trauer um die eigene vertane Chance.
Die Amerikaner gingen sehr zielstrebig vor. Nach den spielzeughaften Ein-Mann-Mercury-Kapseln erschienen die Zwei-Mann-Gemini-Kapseln auf dem Plan. Weltraumspaziergänge, Rendezvous- und Kopplungsmanöver, Langstreckenflüge und viele andere Tests dienten dazu, Erfahrungen zu sammeln, die dann in das Apollo-Mondprogramm einflossen. Nicht zuletzt testete die US-Weltraumbehörde NASA auf diesen Flügen auch ihre Astronauten. Erfolgreich: Fast alle Gemini-Piloten sind später auch bei Mondflügen dabeigewesen. (Armstrong beispielsweise bewährte sich beim schwierigen Flug von "Gemini 8").
Der Weg zum Mond mußte allerdings auch Rückschläge hinnehmen. Der schlimmste und tragischste geschah Anfang 1967: Die drei US-Astronauten Grissom (s.o.), White (der erste Amerikaner, der einen Weltraumspaziergang machte) und der Neuling Chaffee verbrannten am Boden bei einem Brand in einer Apollo-Kapsel. Die Überprüfung ergab erhebliche Schwächen im Materialbereich und ein ungenügendes Sicherheitskonzept für die Astronauten. Die Konstrukteure hatten der Hektik und dem Zeitdruck, dem sie unterworfen waren, offenbar zu starken Tribut gezollt.
Auch die Sowjets mußten Tragödien verkraften. Der erste Flug ihres neuen, großen Raumschiffes "Sojus" (das sie bis heute verwenden!) endete in einer Katastrophe. Nach dem völlig reibungslosen Flug verhedderten sich bei der Landung die Bremsfallschirme, und "Sojus 1" mitsamt Pilot Komarow stürzte aus 7 km Höhe wie ein Stein auf die Erde.
Der Tod der drei Astronauten konnte die Amerikaner nicht von ihrem Ziel abbringen. Im Oktober 1968 gelang "Apollo 7" mit Schirra, Cunningham und Eisele an Bord der erfolgreiche Jungfernflug des (verbesserten) neuen Raumschiffes. Noch waren es wieder nur "konventionelle" Erdumrundungen.
Doch danach ging es Schlag auf Schlag. Weihnachten 1968 flogen Bormann, Lovell und Anders mit "Apollo 8" als erste Menschen in die Umlaufbahn des Mondes. Im März 1969 blieb "Apollo 9" zwar wieder "nur" in der Erdumlaufbahn, aber dafür hatten McDivitt, Scott und Schweickart eine extrem wichtige und komplizierte Aufgabe zu lösen: den Test der spinnenartigen Mondfähre unter Weltraumbedingungen. Diese Mondfähre sollte später auf dem Mond landen, von dort (ohne ihr Unterteil) wieder abheben, die Astronauten zum Mutterschiff zurückbringen und nach getaner Pflicht in die unendlichen Weiten des Alls geschossen werden. Was auch jedesmal geschah.
"Apollo 10" mit Stafford, Young und Cernan kombinierte das Testpensum ichrer beiden Vorgänger. Sie flogen mit der Mondfähre zum Mond. Am liebsten wären sie gelandet, was theoretisch gegangen wäre. Aber die NASA war vorsichtig.
Das Team von "Apollo 10" gehört wohl zu den farbigsten und kreativsten Astronauten, von denen man so in der Literatur liest. So lösten Stafford und Co. das bis dahin schwierige Rasierproblem: Mit Hilfe eines handelsüblichen Rasierapparates und einer Tube Trockenrasiercreme führten sie alle NASA-Bemühungen, mit viel Geld schwerelosigkeitstaugliche Rasierapparete entwickeln zu lassen, ad absurdum.
Überhaupt waren die Astronauten keineswegs nur die roboterhaften Vollstrecker ausgetüftelter Programme, sondern dachten oft weiter als die NASA. Besonders spektakuläres Beispiel ist die Weltraumphotographie. Zwei photobegeisterte Astronauten kauften eines schönen Tages in einem Photogeschäft in Houston eine schwedische Mittelformat-Kamera (Hasselblad) mit deutschen Objektiven (Zeiss), bauten sie ein wenig um und nahmen sie in den Weltraum mit. Die Ergebnisse waren so überzeugend, daß die NASA ein eigenes Photoprogramm aufzog. Heute liegen auf dem Mond viele intakte und unverstaubte Hasselblads, die aus Gewichtsgründen zurückgelassen wurden (nur die Filmmagazine nahm man mit).
"Apollo 11" mußte nun im Grunde kaum mehr tun als "Apollo 10" - nur eben tatsächlich auf dem Mond landen und nicht nur so tun als ob. Bei der Landung wäre es beinahe zur Katastrophe gekommen, weil das anvisierte Landegebiet zur Überraschung aller aus einem dicken Krater bestand. Armstrong mußte mit Handsteuerung, während das Landetriebwerk unerbittlich die letzten Reste Treibstoff verbrannte, einen geeigneten Landeplatz finden, was ihm 45 Sekunden vor Brennschluß auch gelang.
Noch im selben Jahr landeten weitere Astronauten auf dem Mond. Und wäre die (mit Tom Hanks als James Lovell verfilmte) Beinahe-Katastrophe von Apollo 13 nicht gewesen ("Houston, we have a problem"), die Öffentlichkeit hätte von den Mondflügen nur noch wenig Notiz genommen. Der Neuigkeitswert sank ja auch. Apollo 12, 14, 15, 16 und 17 funktionierten weitgehend tadellos. Die Astronauten verlängerten mit einem "Mond-Jeep" ihre Reichweite.
Die erste Mondlandung war der Höhepunkt einer Weltraumbegeisterung, die danach deutlich abflaute. Der die USA lähmende Krieg in Vietnam und die nach 1972 das Land zutiefst aufwühlende Watergate-Affäre ließen die Stimmung kippen. Optimismus und Aufbruch zu "neuen Grenzen" waren nicht mehr gefragt, vielmehr unterzog sich Amerika einer die eigene moralische Integrität in Frage stellenden, fast selbstzerfleischenden Neuorientierung. Entspannung mit den Sowjets stand auf der Tagesordnung (weswegen es auch zu einem Kopplungsmanöver Apollo/Sojus kam), die hochfliegenden Träume der sechziger Jahre sind jedoch bis heute unverwirklicht. Bemannte Mondbasen, Unterkünfte für längere Aufenthalte und auf dem Mond stationierte Mondflugzeuge wurden ebensowenig in Angriff genommen wie eine Riesenraumstation für bis zu 100 Mann Besatzung.
Die NASA schlug statt dessen unter dem Druck leerer Kassen einen letztlich vernünftigeren Kurs ein. Statt "Wegwerf-Raumfahrzeuge" wie Gemini und Apollo für den einmaligen Gebrauch zu konstruieren, baute man den "Space Shuttle", der wiederverwendet werden kann und nicht nach der Landung erst mühsam aus dem Meer gefischt werden muß. (Erster Space-Shuttle-Kommandant war übrigens der Gemini- und Apollo-Veteran James Young.) Der "Space Shuttle" ist zwar auch nicht mehr der jüngste, aber das einzige wiederverwendbare und damit zukunftweisende Raumfahrzeug geblieben - auch wenn sicher noch viele die grauenhafte "Challenger"-Katastrophe vor Augen haben, als ein gerade abgehobener Space Shuttle explodierte und sieben Astronauten den Tod fanden.
Die Mondlandung von 1969 hat die Phantasie fast der gesamten Menschheit angeregt. Ihre Bedeutung reicht weit über ökonomisch meßbare Wirkungen hinaus. Auch wenn es sich meist nur grämlich-negativ ausdrückt ("auf den Mond können sie fliegen, aber vernünftige Waschmaschinen/Videorekorder/Kameras/Kühlschränke etc. können sie nicht bauen ..."): die Mondlandung ist noch heute der Inbegriff der menschlicher Leistungsfähigkeit, Kreativität und des Wagemuts.