Editorial

Angeschlagen

Die Grünen am Scheideweg

Mit Spannung wurde in den letzten Tagen der grüne Sonderparteitag in Bielefeld erwartet. Hier sollte buchstäblich eine Entscheidung zwischen Krieg und Frieden getroffen werden. Als unversöhnliche Gegner standen sich die Radikalpazifisten unter Ströbele und die gemäßigteren Grünen unter Fischer und dem Rest des Bundesvorstandes gegenüber.
An diesem Tage sollte nicht nur die Position der Grünen zum Kosovo-Konflikt bestimmt, sondern auch über das Schicksal der Rot-Grünen Koalition in Bonn/Berlin entschieden werden. Die Kriegsgegner forderten die bedingungslose Einstellung aller NATO-Angriffe auf Restjugoslawien, während der Kompromißvorschlag des Vorstandes eine angestrebte, zeitlich begrenzte Feuerpause zum Ziel hatte. Heftige Auseinandersetzungen waren also zu erwarten.


Erbärmliche Vorstellung

Schon der Beginn des Parteitages war eine erbärmliche Vorstellung. Mehrere Hundertschaften der Polizei mußten dafür sorgen, daß die Delegierten überhaupt in den Sitzungssaal gelangten. Nicht nur Eier und Farbbeutel flogen über die Köpfe der Delegierten hinweg, vereinzelt kam es sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen.
Auch während der Reden im Saal ging es mitunter hoch her. Bundesaußenminister Fischer wurde von einem Farbbeutel am Kopf getroffen und mußte sich mit leichten Innenohrverletzungen ins Krankenhaus begeben.
In der Sache lieferte man sich eine harte Auseinandersetzungen. Nur mit Mühe gelang es dem Vorstand, die Position der Regierung vor den teilweise schreienden und trillernden Delegierten zu rechtfertigen. Ströbele und seine Anhänger indessen interessierten die Beweggründe der Regierung weniger. Alles, was zählte, waren die Angriffe. Hier offenbarte sich ein "Pazifismus", der wahllos die Opfer von Aggressoren im Stich läßt, damit sogenannte Kriegsgegner ihre Hände in Unschuld waschen können.
Auch Milosevic dürfte in Belgrad gespannt mitverfolgt haben, ob Kriegsgegner Deutschland durch diese Entscheidung ins Taumeln geraten würde.
Das Abstimmungsverhalten war offen. Die Entscheidung würde knapp ausfallen, das war schon vorher klar. Hätte sich die Mehrheit der Delegierten der Position Ströbles angeschlossen, dann wäre den grünen Regierungsmitgliedern der Boden unter den Füßen weggezogen worden.


Mehrheit für den Vorstand

Doch dazu kam es nicht. Mit deutlicher Mehrheit wurde der Regierungskurs im wesentlichen unterstützt. Die Pazifisten erlitten eine Niederlage.
Dieses Ereignis wird die tiefe Krise der Grünen noch weiter verschärfen statt lösen. In ersten Pressekonferenzen kündigten die Kriegsgegner Aktionsbündnisse "außerhalb der Grünen" an. Sollte die Spaltung der Grünen nun nicht abzuwenden sein? Sollte die "friedliebende" PDS mit ihrem aalglatten Bundestagsfraktionsvorsitzenden Gysi am Ende diese Wählerstimmen einsacken? Dies wird sich in den nächsten Wochen Zeigen.
Für die Grüne brechen nun schwere Zeiten an. Nachdem man sich schon einen Großteil der ökologisch orientierten Anhängerschaft mit der Ökosteuer-Farce und dem Verzicht beim Ausstieg aus der Atomenergie vergrault hat, kommen der Öko-Partei langsam auch die Pazifisten abhanden. Die Quittung dafür dürfte in der nächsten Landtagswahl nicht lange auf sich warten lassen.

MiWi