Politik

So geht's nicht weiter

Nach Kosovo: Europa braucht eine Sicherheitsarchitektur

Der Versuch der NATO-Staaten, mit kriegerischer Gewalt Vertreibung und Völkermord im Kosovo zu beenden, hat eine Frage akut werden lassen, die nach dem Ende des "kalten Krieges" immer dringlicher wurde: Es geht um nichts anderes als die zukünftige politische Struktur des Kontinents. Damit ist gleichzeitig die Frage verknüpft, ob Europa eine eigene Identität entwickeln und somit politisch handlungsfähig werden kann.

Ohne USA läuft nix

Machen wir uns nichts vor: Ohne die USA hätten die EU-Staatsmänner dem Morden im Kosovo, das Scharping und Fischer so eindrucksvoll beklagen, hilflos zugesehen. Man hätte den Sicherheitsrat einberufen, ein weiteres Wirtschaftsembargo verhängt (und dabei Griechenland mit zusätzlichen Olivenquoten oder so "bestochen"), die Flüchtlinge zähneknirschend aufgenommen - aber an der "ethnischen Säuberung", nur wenige hundert Kilometer von Deutschland entfernt, hätte das nichts geändert.
Die USA, und kein europäisches Land, sind der entscheidende Ordnungsfaktor in Europa. Weniger weil sie es so gerne wollen, sondern weil es keinen anderen gibt. Die Politik der Bundesrepublik Deutschland war es immer, die USA in Europa zu halten. Diese Politik ist vernünftig und wird es auf Jahre auch bleiben. Sich für immer und ewig auf amerikanische Hilfe zu verlassen ist aber fahrlässig. Deswegen muß jetzt darüber nachgedacht werden, wie die Europäer ihre Angelegenheiten stärker selber regeln.
Auch die USA selber werden ein solches Vorhaben begrüßen. Denn sie wissen ganz genau, daß sie zwar die einzige Supermacht sein mögen, aber alles andere als allmächtig sind.
Die natürliche Organisation zur politischen Einigung Europas ist die EU. Doch kann die EU die Rolle der politischen Ordnungs-, gar Supermacht spielen? Zur Zeit sieht es wirklich nicht danach aus. Mal abgesehen davon, daß auch sich neutral gebende Staaten wie Österreich (das der NATO jüngst den Überflug verweigerte) mit im Boot sitzen - am Kosovo-Konflikt wird deutlich, wie schwierig eine Einigung wäre.
Die im Maastrichter Vertrag verankerte "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der EU ist bis heute nur in Ansätzen verwirklicht. Sie funktioniert institutionell, aber die Außenpolitik wird auch weiterhin von den nationalen Regierungen bestimmt. Auch die Idee des "Monsieur X", eine Art europäischer Außenminister, ist noch nicht verwirklicht..
In diesem Zusammenhang muß die Westeuropäische Union (WEU) erwähnt werden, die als Beistandspakt gedacht ist. Ihr gehören die der NATO zugehörigen EU-Staaten an. Die WEU soll gleichzeitig als europäischer Pfeiler der NATO ausgebaut und zum militärischen Instrument der EU werden. Doch solche Pläne stecken noch in den Kinderschuhen. Bislang ist die WEU nichts weiter als ein Konsultationsforum.

OSZE

Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gehören alle europäischen Staaten an, sogar der Vatikan und Monaco (Jugoslawien ist suspendiert). Diese Organisation ist hervorgegangen aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die mit der berühmten Schlußakte von Helsinki 1975 installiert wurde.
Die Aufgaben der OSZE vor allem in der Konfliktverhütung, im Schutz nationaler Minderheiten, der Beobachtung von Wahlen und der Ausarbeitung eines europäischen Sicherheitskonzepts (womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären). Der Vorteil der OSZE liegt in der Einbindung aller europäischen Staaten und ihrer Neutralität. Sie ist eine Art UNO auf europäischer Ebene, wobei Europa kein enger geographischer Begriff ist, denn auch die USA, Kanada und die asiatischen Nachfolgestaaten der UdSSR sind Mitglieder.
Es fehlt in Europa also nicht an Institutionen. Keine kann jedoch in die Rolle der Ordnungsmacht schlüpfen. Aber was heißt Ordnungsmacht? Eine Ordnungsmacht müßte in der Lage sein, auch mit militärischen Mitteln in Konflikte wie auf dem Balkan einzugreifen und kriegerische Flächenbrände und Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.

Rußland

Vielversprechendster Versuch ist, die WEU in die EU stärker einzubinden. Doch scheiterte dies zuletzt am Widerstand Großbritanniens, das seine Außenpolitik traditionell stärker auf die USA ausgerichtet hat, und der neutralen Staaten in der EU.
Sollte es in Zukunft dennoch eine schlagkräftige europäische Sicherheitspolitik geben, wären andere Probleme allerdings nicht gelöst. Wie etwa ist Rußland einzubinden? Zwar ist das Land keine Supermacht mehr, aber es kann immer noch enormen Schaden anrichten, wenn es will. Hinzu kommen düstere politische Aussichten für die Nach-Jelzin-Ära. Im schlimmsten Fall könnte der weißrussische Präsident Lukaschenka, ein übler Despot und Scharfmacher, nach einer Wiedervereinigung seines Landes mit Rußland, auf die er hinarbeitet, auf einer Welle nationaler Sentimentalitäten in den Kreml einziehen.
Der Weg zu einer tragfähigen europäischen Sicherheitsstruktur ist noch weit. Trotzdem muß jetzt verstärkt versucht werden, eine handlungsfähige europäische Ordnungskraft zu schaffen, ohne die vielen anderen verzwickten Verhältnisse in Europa außer acht zu lassen. Sonst wird sich der Kosovo wiederholen.