Satire

Handwerkliche Fehler

Berlin. Im Juli des Jahres 2001 findet im neuerrichteten Kanzleramt die erste Kabinettssitzung der Regierung Schröder statt.

Schröder will zur Glocke greifen, erinnert sich aber an den dezenten Gong, der auf Druck eines in seiner Armlehne verborgenen Knopfes ausgelöst wird. Ein schepperndes Geräusch läßt das Kabinett zusammenfahren.

Lafontaine: Kannst du mal für Ruhe sorgen? Dieses widerliche Gegonge geht einem auf den Nerv!

Schröder (hektisch an seiner Armlehne herumfingernd): Geht nicht. Der Knopf klemmt.

Kameraleute verschiedener nationaler und internationaler Fernsehnetzwerke richten interessiert die Kameras auf den verbissen am Stuhl fingernden Kanzler.

Scharping: Laaaaaangsam, Gerd! (zieht Ohrenschutz der Bundeswehr über)

Halbe Stunde später. Hausmeister Wilhelm Michael Schmidtke kommt gemächlich in den Kabinettsaal. Mit einem gezielten Hieb beseitigt er den Knopf in der Armlehne. Das Gongen verstummt.

Schröder (erleichtert): Na endlich. (Scheucht die Kamerateams hinaus) So laßt uns endlich zur Tagesordnung kommen. Punkt eins- (ein lautes Krachen unterbricht ihn. Kanzleramtsminister Hombach ist samt Stuhl hintenübergefallen. Zwei abgebrochene Stuhlbeine künden von deutscher Wertarbeit. Brüllendes Gelächter des übrigen Kabinetts)

Hombach (wütend): Sch...!

Lafontaine: Wolltest du zurücktreten? Dann solltest du aber erst aufstehen!

Hombach: Auf deinen blöden Kommentar habe ich gerade noch gewartet. Wer hat denn diesen Kram bestellt?

Kulturstaatsminister Naumann: Bodo, du bist und bleibst ein Agronom ...

Hombach: Hä?

Naumann: Ein Bauer, um es ganz platt und populistisch auszudrücken. Diese Designerstühle haben pro Stück gute 3500 Euro gekostet und sind von der renommierten Firma "Sitz & Pein" in Bonn hergestellt worden.

Scharping (der herbeigeeilt ist, um dem gestürzten Hombach zu helfen): Nee! Hier steht nix von Sitz & Pein, hier steht nur Hombach drauf!

Lafontaine (sich an den Kopf fassend): Können wir jetzt endlich ... (die Platzgeräusche eines auf seiner Glatze zerplatzenden Wassertropfens lassen ihn verstummen) Das ist ja nicht zu fassen! (Blickt empört nach oben. Die einzelnen Tropfen vereinigen sich zum Rinnsal und ergießen sich auf seinen Anzug)

Hombach: Da soll doch noch mal einer sagen, Oskar, du hättest eine weiße Weste! Übrigens: Was für ein Raum liegt eigentlich über dem Kabinettssaal?

Schröder (zu Bauminister Müntefering): Franz?

Müntefering (zieht auf westfälisch-elegante Art eine dicke Blaupause aus der Aktentasche): Hmm ja ... also ... tja Gerd, ich würde sagen ... die Toilette des Gästeappartementes des Kanzleramtes.

Schily (überrascht): Hast du denn schon Gäste im Haus?

Schröder (errötet): Also ... ääääh ... da möchte ich nicht drüber sprechen. Wenn die Öffentlichkeit das mitkriegt -

Lafontaine (übertrieben tolerant): Wir haben verstanden. Du brauchst nicht in die Einzelheiten zu gehen. Jeder Mensch braucht seine Streicheleinheiten ...

Scharping (mißtrauisch): Aber nicht bei mir! (spricht langsam schneller) Aus meinem Bundeswehretat wird nichts herausgestrichen!

Lafontaine (inzwischen durchnäßt): Dein Etat bleibt bestehen. Aber kann jemand endlich mal den Hausmeister holen, verdammt noch mal!

Wirtschaftsminister Müller: Oskar, noch nie paßte dein Name so gut zu dir wie jetzt im Moment.

Hombach (Bricht in schallendes Gelächter aus und wird von einem wütenden Blick Lafontaines zum Schweigen gebracht)

Müntefering (greift zum Telefon): Gerd, was muß ich vorwählen, um die Hausverwaltung zu erreichen?

Schröder: Eine 9.

Müntefering (die 9 wählend): "Bitte warten Sie ... " und im Hintergrund plärrt Degenhardt "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern". (verärgert) Ist die Telefonanlage auch von "Sitz & Pein"?

Schröder: Nein, von "Hold the line".

Müntefering: Schön, ich gehe zu Fuß. (Erhebt sich erleichtert von dem unbequemen Sitzmöbel und will den Raum verlassen. Nach dem Öffnen der Tür hält er plötzlich die Klinke in der Hand.)

Hombach: Die Klinken sind von "Raus & Rein", nicht wahr?

Müntefering: Ja. Woher weißt du das... Ach so. (Entfernt sich. Ein lautes Knarren läßt das Kabinett erneut zusammenfahren. Die Mitte des Kabinettstisches hat sich überraschend nach rechts verschoben. Hierdurch wird der Bundesumweltminister etwas an die Wand gedrückt.)

Müller (träumerisch): Die neue Mitte ...

Der Hausmeister nähert sich in scharpingschem Tempo dem Raum.

Hausmeister Wilhelm Michael Schmidtke (gemächlich): Na wo brennt's denn. (späht zur Decke) Da tropft's.

Schröder: Das haben wir auch schon konstatiert. Bitte stellen Sie das ab.

Hausmeister Wilhelm Michael Schmidtke: Tja, das wird ein Rohrbruch sein. Rohre sind aus Metall. Also ist die IG Metall zuständig. Das ist nichts für die ÖTV. Und außerdem beginnt gleich mein Feierabend inklusive 18minütiger tarifvertraglich gesicherter Streßabbauzeit. Und tschüß. (entfernt sich)

Lafontaine (zu Schily): Sag mal, Otto, was hast du denen im letzten Tarifvertrag eigentlich alles zugestanden?

Schily: So genau habe ich mir das Enddokument auch nicht mehr durchgelesen. Es war schon spät, ich wollte ins Bett.

Gesundheitsministerin Andrea Fischer: Apropos Bett. Wer ist denn nun eigentlich in deinem Gästeappartement, Gerhard?

Schröder: Es ist nicht so, wie ihr glaubt. Wißt ihr, schon in Bonn habe ich ...

Lafontaine (mit falscher Herzlichkeit): Gerhard, wenn du mich fragst, wollen wir das gar nicht so genau wissen! (Beifallheischend in die sardonisch grinsende Runde blickend)

Schröder (blickt verantwortungsvoll auf seine Armbanduhr): Wir haben schon gut anderthalb Stunden Zeit verplempert! Wir sollten endlich mit dem Regieren heute beginnen.

Alle (im Chor): Wir sind bereit.

Schröder: Tagesordnungspunkt eins: Novellierung des Bannmeilengesetzes Berlin. Um populistischen Aufwallungen des Volkes besser entfliehen zu könn-

Mit einem bestialischen Krachen knallt ein vom Kulturstaatssekretär persönlich ausgesuchter Designer-Kronleuchter der Firma "Leucht & Schein" auf den deformierten Kabinettstisch. Sicherheitsbeamte mit gezogener Waffe wollen den Raum stürmen. Ein Chaos von Akten, Getränken, ledernen Köfferchen (nicht von den grünen Ministern), Hanfbeuteln (nicht von SPD-Ministern), Haarfärbemitteln, vier Dutzend Handys und Löschschaum quillt ihnen aus der ramponierten Kabinettstür entgegen.

Schröder (verstaubt, verschmutzt, verwirrt, verknautscht, wütend, aber ungebrochen): Das geht zu weit! Wie soll man hier auch nur eine Sache besser machen als die alte Regierung, wenn dauernd etwas passiert?

Müntefering (gelassener): Nur die Ruhe. Das sind eben handwerkliche Fehler. In den ersten 100 Tagen wirst du noch so manche Überraschung hier im Haus erleben.

Lafontaine (zur Tür starrend): Nicht nur du und nicht nur wir.

Helmut Kohl (blinzelt mühsam in den verwüsteten Kabinettssaal): Da habt ihr aber mächtig Staub aufgewirbelt! Wir haben unauffälliger regiert.

Lafontaine (entsetzt): Was will der denn hier?

Schröder: Also, das wollte ich euch eigentlich eben erzählen-

Kohl: Das ist doch die natürlichste Sache der Welt. Was Gerhard euch sagen will, ist, daß wir seit unserer Bonner Zeit uns gegenseitig ergänzen. Er gibt uns ein Dach über dem Kopf, ich gebe ihm Tips zum Regieren, und Hannelore kocht, weil Doris das nicht kann und Gerhard großen Wert darauf legt. Auf diese Wiese verlerne ich das Regieren nicht, allen ist gedient, und ich kann aufpassen, daß Gerhard keinen Blödsinn macht. In einer Welt, in der klare Grenzen immer stärker abgebaut werden, in einer Welt, die in Zukunft sich als Wissensgesellschaft definiert, können wir es uns nicht leisten, das geistige Potential des erfolgreichsten deutschen Politikers seit Bismarck ...

Hier verlassen wir die lustige Berliner WG in dem beruhigenden Bewußtsein, daß nicht alles besser, aber vieles gleich bleibt.

G.D. / K.R.