Satire

Ein Nachtasyl


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Deutschland ist atomkraftwerkfrei

Berlin (dpa). Seit heute ist deutscher Atomstrom Geschichte. Per Dekret hat Bundesumweltminister und Vizekanzler Jürgen Trittin sämtliche Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet ...


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Zwei Jahre später.

Pechschwarze Nacht irgendwo in Süddeutschland. Der Regen trommelt erbarmungslos auf das Dach des Busses, in dem die Bundesregierung einen Betriebsausflug durchführt. Verkehrsminister Franz Müntefering kurbelt hektisch am Lenkrad und steuert auf einer matschigen und abschüssigen Serpentinenstraße in ein gottverlassenes Tal. In immer kürzeren Abständen wirft er verzweifelte Blicke auf die neben ihm liegende Straßenkarte. Im Talgrund liegt ein unwirkliches bläuliches Leuchten. Plötzlich ragen zwei riesige behaarte Pfeiler neben der Straße auf. Nachdem Müntefering unter dem dritten Paar durchgefahren ist und das vierte im Scheinwerferlicht schwankend auftaucht, ist er ernstlich beunruhigt.

Müntefering: Wie viele Brücken kommen denn jetzt noch?

Trittin (nimmt ihm die Karte ab, meldet gelangweilt): Hmm ... Hier gibt's keine Brücken.

Forschungsministerin Bulmahn (kichert nervös): Also wenn ich's nicht besser wüßte, würde ich sagen: Das ist eine Spinne! (glotzt nach oben, bis sich die Beine im Dunkeln verlieren)

Müntefering (westfälisch ruhig): Dies ist wohl der rechte Augenblick, in Panik zu verfallen. (Er tritt das Gaspedal durch, der Motor heult auf, der Bus macht einen Satz nach vorn. Auch das letzte bier- oder weinselige Regierungsmitglied ist nun wach.)

Fischer: Laßt mal einen Profi ran. (Der ehemalige Taxifahrer und derzeitige Außenminister ergreift das Steuer.)

Fünf Minuten später. In einem krachenden Inferno aus Blech, Glas und Baum endet der Betriebsausflug abrupt.

Fischer: ... und es ist wirklich gerade etwas über die Straße gelaufen! Zwei Meter groß, sechs Beine und ...

Innenminister Schily: Man soll halt nicht fahren und saufen. Wieviel Äppelwoi hattest du denn intus?

Fischer: Ich bin stocknüchtern und außerdem durch einen Diplomatenpaß vom Führerscheinentzug geschützt.

Trittin (auf allen vieren, seine Brille suchend): Realo! Realo! Realo! Lächerlich! Phantasto wäre besser!

Gesundheitsministerin Andrea Fischer (nachdem sie "versehentlich" Trittins Brille zerlatscht hat): Oooh, tut mir leid! Zu Hause suche ich dir ein neues Kassenmodell heraus!

Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul: Hat jemand einen Schirm dabei?

Scharping (militärisch prägnant): Sanitäter! Irgend jemand blutet hier wie ein abgestochenes Schwein! Alles rot! (Fummelt mit einer kleinen Taschenlampe herum, deren Lichtkegel zufällig auf eine grauhaarige, derangierte Frau fällt, die in einer dunkelroten Lache sitzt.) Das ist ja gar kein Blut! Und warum bist du auf einmal grauhaarig?

Trittin (befriedigt): Macht! Es geht doch nichts über Macht! Niemand außer mir hätte die Kühnheit besessen, die chemischen Konservierer der Haarfärbemittel zu verbieten. Jetzt sind sie wasserlöslich. So freut sich die Umwelt, die Industrie ... und ... das Kabinett: Wir alle! (Brüllendes Gelächter der Männer im Kabinett)

Kurze Zeit später. Lafontaine beschließt den Bus wegen Dachschadens zu verlassen. Alle raffen ihre durchnäßten Habseligkeiten zusammen, Verteidigungsminister Scharping schultert darüber hinaus sein persönliches Sturmgewehr G3. Sie setzen sich Richtung Talgrund in Bewegung, auf das blaue Leuchten zu. Schon nach wenigen Sekunden hat die Finsternis den verlassenen Bus verschluckt. Ein unirdisches Heulen ist irgendwo im stockfinsteren Wald zu hören. Schröder beginnt zu pfeifen. Das metallische Klacken eines von ungeübter Hand durchgeladenen G3 zerreißt kurz die Stille der Nacht. Im Hintergrund hoppelt ein drei Meter großes plüschohriges Etwas im Schein der Taschenlampe über den Weg. Scharping sucht verzweiflt den Abzug, ohne ihn zu finden. Dunkelheit umhüllt die Regierung.

Zwei Stunden später. Matschbespritzt, durchnäßt bis auf die Haut, demoralisiert und mehr rutschend als gehend hat man den Abstieg ins Tal geschafft.

Wirtschaftsminister Müller (verzweifelt): Hätten wir doch die Bodyguards mitgenommen. Die haben wenigstens eine Ausbildung im Gelände. Hier sind wir verraten und verkauft. Wo sind wir hier überhaupt?

Schily: Ich komme zwar aus Bayern, aber diesen Landstrich kenne ich nicht. Wenn es hier noch Dinosaurier gäbe, würde mich das nicht wundern.

Trittin (mäßig gelangweilt): Dann würden sie sofort unter Artenschutz gestellt.

Andrea Fischer (deren seidene Weste sich zu einem undefinierbaren, kalten Klumpen auf der Haut verwandelt hat): Du mit deinem sch... Umweltschutz!!! Immer kannst du nur an Erhalt und Schützen denken! Was ich dir schon immer mal sagen wollte: Du bist ein großkotziger, widerwärtiger, arroganter -

Ein hysterisches Kichern ertönt aus dem Wald hinter ihnen. Alle erstarren vor Schreck. Schwerer Flügelschlag streicht durch die Nacht. Alle drängen sich um Schröder, der verlegen zurückweicht.

Mehrere Stimmen: Nun zeig doch mal deine Richtlinienkompetenz!

Schröder (entnervt): Und wie, bitte? Soll ich der Nacht sagen, sie möge weichen und den Tag heraufbefehlen?

Müller (hysterisch): Genau das! Auf jeden Fall tu endlich was!

Schröder (entscheidet ohne Meinungsumfrage und populistische Elemente): Wir gehen rechts lang.

Kurze Zeit später. Die Gruppe erreicht einen verwitterten Betonzaun. Seltsame Kreaturen kriechen im Zwielicht am Boden entlang. Ein Käuzchen schreit. Gegen den Nachthimmel heben sich kaum sichtbar die Silhouetten von vergessenen, blinden Überwachungskameras ab. Vor dem Zaun liegen verschiedene seltsame Utensilien längst vergangener Kämpfe.

Trittin (erfreut): Guck mal, ein alter Polizeihelm!

Fischer (hebt gerührt eine alte Flasche auf und fingert an einer inzwischen brüchigen Lunte herum) Damit wurde in der guten alten Zeit dem Kohl-Staat eingeheizt. Eine echte Reliquie!

Lafontaine: Nun laßt uns endlich weitergehen. Wir sind schon genug begossen worden.

Schröder: Genau. Größer wirst du auch nicht mehr.

Fischer (hat das Palaver satt und ist weitergegangen, rüttelt an einem rostigen Tor, das sich mit einem lauten Knarren nach innen öffnet):Los, kommt!

Die Gruppe durchschreitet das Tor, das sich wie von Geisterhand hinter ihnen schließt. Sie kämpfen sich durch kniehohes Moos, rechts und links ragen Farnwälder in den Himmel, die nur durch Gänseblümchen überragt werden. Schemenhaft taucht aus dem Nebel ein mysteriös anmutendes Gebäude auf.

Familienministerin Bergmann: Das sieht ja aus wie ein verwunschenes Spukschloß aus einem Märchen!

Trittin (gelangweilt): Wir glauben nicht an Märchen, an Gott oder an einen ausgeglichenen Haushalt. Weiter jetzt. Da drin wird's bestimmt ein Telefon geben.

Der verwitternde und zerbröckelnde Haupteingang öffnet sich. In diffusem Licht erscheint eine bleiche, hagere, menschliche Gestalt.

Butler: Meine Damen und Herren, darf ich Sie höflichst darauf aufmerksam machen, daß sie sich hier auf Privatgelände befinden. Meine Herrschaft wünscht keinen Besuch.

Trittin (gelangweilt): Ich glaube auch nicht an Privatbesitz und erst recht nicht an Höflichkeit. Wir wollen telefonieren.

Butler (mit hohler Stimme): Wir haben hier kein Telefon.

Bergmann: Dann lassen Sie uns doch wenigstens bei Ihnen in der Halle warten, bis der Regen aufgehört hat.

Butler: Wie Sie wollen. Aber nichts anfassen und die Halle nicht verlassen. Sie sind hiermit gewarnt. (Tritt zur Seite und verschwindet spurlos.)

Eine riesige, kuppelüberwölbte Halle tut sich vor der Gruppe auf. Spinnenweben wabern von der Decke. Beherrscht wird die Halle von einem mächtigen Stahlblock, aus dem mehrere metallische Stäbe herausragen. Am Rande der Halle stehen mehrere orangefarbene, mit Rippen bestückte, sargähnliche Gebilde, die eine angenehme Wärme verbreiten. Im Hintergrund erhebt sich hinter einer blinden, kugelsicheren Scheibe eine gigantische Schaltzentrale aus den siebziger Jahren.

Lafontaine (steuert auf die Schaltzentrale zu): Da gibt's bestimmt Sitzmöglichkeiten. (Stößt die Tür auf. Gleichzeitig jault eine Sirene los. Eine riesige zweiköpfige Fledermaus stößt verschreckt aus der Höhe der Halle nach unten und attackiert das Kabinett.)

Wieczorek-Zeul (panisch): Hilfe! Oskar, Rudolf, Gerhard, tut doch was!

Scharping (langsam vor sich hinbrabbelnd): Magazin einführen ... Verschluß nach hinten ziehen ... schnappen lassen ... Sicherungshebel auf "F" stellen ... zielen ... ausatmen ... und dann feuern. (Feuerstöße jagen aus dem G3. Scharping, vom Rückstoß des Gewehrs überrascht, ballert in alle möglichen Richtungen. Der Rest des Kabinetts wirft sich in gesteigerter Angst zu Boden. Die Fledermaus verschwindet mit höhnischem Gelächter in der Kuppel. Die Querschläger umpfeifen den sich im feindlichen Feuer wähnenden Verteidigungsminister. Der letzte Querschläger trifft eines der Schaltpulte. Plötzliche Grabesruhe. Ein kalter Lufthauch läßt die Gruppe erschaudern.)

Trittin (kaum gelangweilt): Wenn das die Wähler wüßten! Vom fahrradfahrenden Langeweiler zum inkompetenten Rambo-Verschnitt!

Bulmahn: Still: Schaut mal! (Zeigt mit panischem Entsetzen auf die sargähnlichen Gebilde an der Hallenwand) Sie öffnen sich! (Alle außer Trittin beginnen zu kreischen)

Aus den massiven, nach Trittins Meinung nicht ganz dichten Behältern entsteigen von bläulichem Licht umgebene, blutleere, knochige Kreaturen, die nur noch entfernt an Menschen erinnern.

Graf Gamma (mit leicht bayerischen Akzent): Wer stört meine strahlenden Träume?

Lady X-Ray (beleckt ihre ungewöhnlich langen Fangzähne): Ich wittere unverstrahltes Fleisch! Menschenfleisch! Ein Festmahl! Sogar der Satansbraten Trittin ist darunter, dem wir unser elendes Dasein zu verdanken haben!

Andrea Fischer: Mein Gott, das sind Vampire! (beginnt zu beten)

Bergmann: Und was sollen wir machen?

Joschka Fischer: Einbürgern.

Schily: Ausweisen.

Scharping: Abknallen.

Trittin: Faschist!

Graf Gamma (die Gruppe vor sich hertreibend, flötend): Wartet doch! Es tut gar nicht weh! Und hinterher werdet auch ihr blau leuchten! Genau wie Lady X-Ray und ich!

Das Kabinett verbarrikadiert sich atemlos in einem kleinen Raum.

Lafontaine: Als Physiker bin ich von der Realität außerordentlich enttäuscht. Empirisch ist das alles hier völlig unmöglich. Es widerspricht den Naturgesetzen und dem Leipziger Parteitagsbeschluß von 1993.

Schröder (stemmt sich verzweifelt mit den anderen gegen die Tür): Dann geh doch raus und überzeug' ihn davon!

Wieczorek-Zeul: In meinem Handbuch über untergegangene Kulturen und Kulturgebräuche der dritten Welt werden Goldkugeln gegen Vampire erwähnt.

Müller: Wo sollen wir denn jetzt und hier Gold herbekommen?

Schröder/Lafontaine (kramen hastig sieben Eheringe hervor): Hier! Beeil dich!

Schnell schichtet Pionier Scharping aus ein paar atomaren Brennstäben ein nukleares Feuer und schmilzt die Goldringe zu drei Kugeln ein.

Bergmann: Rudolf, schaffst du das auch? Du darfst nur einmal danebenschießen!

Scharping: Sicherlich. (Lädt das G3 mit der ehelichen Vergangenheit der beiden Kanzler.) Geht aus der Schußlinie! (Drei Schüsse hallen durch das Gebäude.)

Ein Jahr später.


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Wahlkampfauftakt in Deutschland
Berlin (dpa). Mit einer Großkundgebung zwei Stunden vor Sonnenaufgang eröffnete die Regierungskoalition den diesjährigen Bundestagswahlkampf. Aller Voraussicht nach wird das strikte Knoblauchverbot eines der wichtigsten Themen des Wahlkampfes bleiben. Denn Oppositionsführer Edmund Stoiber bezeichnete die Regierung auf einer Tagesveranstaltung, nach dem demonstrativen Verzehr einer Portion Tsatsiki, als "lichtscheues Gesindel".

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