Politik

Unworte und Unterschriften

Politik in Deutschland: Bierernst, miefig und moralinsauer

Als Ende Januar eine selbsternannte Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten sich anschickte, das "Unwort des Jahres" zu küren, bestätigten sich die bösen Ahnungen wieder einmal. Denn die Auswahl der Worte erfolgt nicht nach sprachlichen, sondern nach moralischen Kriterien - oder was man dafür hält.
Kein Wunder also, daß der sarkastische Ausspruch des Ärztekammerpräsidenten Karsten Vilmar, man müsse über das "sozialverträgliche Frühableben" nachdenken, wenn die medizinische Versorgung älterer Menschen nicht gewährleistet und finanziert werde, diesmal klar das Rennen machte.
Schwarzer Humor ist in Deutschland offenbar völlig sozialunverträglich. Diese schmerzliche Erfahrung mußte schon Helmut Kohl machen, als er mit seinem ironischen Ausspruch vom "kollektiven Freizeitpark", zu dem die Bundesrepublik zu degenerieren drohe, in den Unwort-Charts vor einigen Jahren einen dritten Platz machte.
Der frühere CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, ein brillanter Redner, hatte die Gefahr von Ironie (die er liebte), früh erkannt. Immer, wenn er ironisch wurde, sagte er es vorher. So entging er Mißverständnissen. Allerdings verpuffte auch die Wirkung der Ironie.
Der Schriftsteller Martin Walser hatte in seiner höchst umstrittenen Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels die Instrumentalisierung der deutschen Verbrechen im Dritten Reich gewarnt und in diesem Zusammenhang von "Moralkeulen" gesprochen.
Zack! Wie um seine (im übrigen ziemlich schwache) Rede auch noch dick und fett zu unterstreichen, verdammte die Jury diesen Begriff ebenfalls. Die von Walser beklagte Keule traf ihn selbst und bestätigte ihn wohl auch noch gleichzeitig. Dieses Eigentor scheint den Sprachschützern nicht einmal aufgegangen zu sein.
Seltsamerweise werden Worte wie etwa "Schwangerschaftsunterbrechung" niemals berücksichtigt. Auch das Jahr für Jahr von vielen vorgeschlagene Unwort "Unwort" ist chancenlos.
Moralkeulenhiebe ganz anderer Art kassiert zur Zeit die CDU, die mit ihrer Unterschriftenaktion zur doppelten Staatsbürgerschaft (siehe nebenstehendes Formular) für sich ein Recht in Anspruch nimmt, das selbstverständlich sein sollte. Statt sich nun argumentativ mit der Union auseinanderzusetzen, wird moralische Betroffenheit abgesondert: Die Aktion grenze aus, sie schüre Ausländerfeindlichkeit, sie setze das gute Verhältnis CDU-Ausländer (so im Leverkusener Ausländerbeirat) aufs Spiel. Die Auseinandersetzung mit den Argumenten, die hinter der CDU-Aktion stehen, wird jedoch gescheut.
Ärgerlich ist, daß die Moralkeulenschwinger häufig Erfolg in ihrem Bemühen haben, den politischen Gegner zum Schweigen zu bringen. "Political correctness" ist weitgehend ein Problem derjenigen, die sich an sie gebunden fühlen. Hier müssen sich auch CDU-Politiker an die eigene Nase fassen. Es gibt kaum noch Persönlichkeiten, die die von den Moralaposteln vorgegebenen Sprachregelungen souverän ignorieren oder mit ihnen spielen.
Solange Veranstaltungen wie die Kür des "Unwort des Jahres" in Deutschland noch Resonanz finden, wird Politik und öffentliche Diskussion wohl weiterhin so bierernst und moralinsauer stattfinden wie bisher. Schade.