Politik

Zeit der Fusionen

Neue Giganten entstehen

"Aventis": Das ist nicht das neue Mittelklassemodell eines besonders phantasielosen japanischen oder koreanischen Autoherstellers, sondern ein neuer alter Pharma-Großkonzern. Die deutsche Hoechst und die französische Rhône-Poulenc fusionieren. Vor dem vollständigen Zusammenschluß der beiden Partner werden allerdings noch die unpassenden Firmenteile beider Partner verkauft. Hoechst wird dazu seine verbliebenen größten Chemieaktivitäten in das neue Unternehmen Celanese AG einbringen, das wiederum im Verhältnis 10:1 an die Hoechst-Aktionäre übertragen wird. Denn "Aventis" soll sich ausschließlich auf die sogenannten "Life Sciences", also Pharma, Tiergesundheit und Agrochemie, konzentrieren.

Vorbild Novartis

Vorbild für Hoechst, das klingt im neuen Firmennamen an, war die Fusion der beiden Schweizer Chemieriesen Ciba-Geigy und Sandoz zur Novartis. Auch hier wurden die Pharmabereiche verschmolzen, während die Chemieteile in jeweils unterschiedliche Unternehmen ausgegliedert wurden. Diese beiden Unternehmen, die Ciba Spezialitätenchemie und die Clariant (in die übrigens auch Hoechst einen Teil seines Chemiegeschäfts eingebracht hat), wollen inzwischen ebenfalls fusionieren.
Die Hoechst-Fusion, die den Name eines der traditionsreichsten deutschen Industrieunternehmen auslöschen wird, kann nach einer beispiellosen Welle der Übernahmen und Fusionen in den letzten Jahren nicht mehr sonderlich überraschen. Allein in den letzten Tagen gab es spektakuläre Schlagzeilen: Die ohnehin riesige Exxon, neben Royal Dutch/Shell größter Ölkonzern der Erde, übernimmt den Konkurrenten Mobil Oil. Die Deutsche Bank kauft für schlappe 17 Milliarden Peanuts die amerikanische Investmentbank Bankers Trust. Daimler und Chrysler fusionieren zu einem der größten Industriekonzerne der Welt.

Fusionsfieber

Spektakulär auch die Fusion der deutschen VIAG mit der schweizerischen Alusuisse Lonza. Auch die Übernahme der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank durch die Bayerische Vereinsbank ist noch gut in Erinnerung, und Thyssen und Krupp sind inzwischen glücklich (?) vermählt, nachdem die ursprünglich vorgesehene feindliche Übernahme von Thyssen durch Krupp gescheitert war.
Vielleicht sollte man grob die Begriffe klären, mit denen man operiert. Eine Fusion liegt dann vor, wenn zwei Unternehmen, vereinfacht gesagt, ihr Firmenvermögen in ein neues Unternehmen zusammenlegen. So geschehen bei Daimler-Chrysler (die alte Daimler-Benz AG gibt es aus rechtlichen Gründen sogar noch, obwohl sie nicht viel mehr ist als ein Firmenmantel ohne Inhalt). Bei einer Übernahme wird ein Unternehmen durch ein anderes gekauft. Fusionen haben den Vorteil, die Unternehmen finanziell weniger stark zu belasten, sind aber schwieriger zu bewerkstelligen, denn ein ganzer Haufen auch prestigeträchtiger Fragen muß geklärt werden:
  • Wer führt das neue Unternehmen?
  • Wo ist der Firmensitz?
  • Welchen Anteil halten die jeweiligen Altaktionäre am neuen Unternehmen?
    Übernahmen sind da unkomplizierter: Wer zahlt, bestimmt.
    Die Motive der jüngsten Fusions- und Übernahmewelle sind vielschichtig. Natürlich will man auf jeden Fall mittel- und langfristig Gewinne steigern und die Zukunft des Unternehmens sichern. Doch manche dieser Fusionen sind aus Schwäche, manche aus Übermut geboren.
    Hoechst und Rhône-Poulenc scheinen aus Schwäche fusionieren zu wollen. Hoechst krankt unter einer zur Zeit angeblich nicht sehr vielversprechenden Pharmaforschung. Ohne das eine oder andere Medikament, das wenigstens eine Milliarde DM pro Jahr einspielt, kann auch ein großer Pharmakonzern in Schwierigkeiten kommen.
    Hoechst war zwar vor Jahren mit dem Kauf der amerikanischen Pharmafirma Marion Merell Dow in eine neue Größendimension vorgestoßen, doch der 10-Milliarden-Kauf entpuppte sich als Fehlschlag. Die neue Tochtergesellschaft war zwar sehr vertriebsstark, hatte aber ebenfalls keine Knüller-Präparate im Angebot.
    Auch Rhône-Poulenc soll keine sehr gut bestückte "Produkt-Pipeline" haben. Wenigstens, so die Hoffnung bei Hoechst, wird man mit Hilfe der Franzosen die bestehenden Produkte effizienter vermarkten können, um auf diese Weise Zeit zu kaufen - Zeit, um neue Präparate zu entwickeln. Ob das funktioniert, wird sich zeigen. Riskant ist es allemal.

    Daimler-Chrysler

    Im Gegensatz dazu ist die Fusion Daimler-Chrysler aus Übermut geboren. Beide Konzerne haben nur zwei Gemeinsamkeiten: Ihre Produkte haben vier Räder und werfen hohe Gewinne ab. Alles andere ist verschieden.
    Die Börsianer sind von dem Riesenkonzern begeistert und rechnen euphorisch Einsparungspotentiale in Milliardenhöhe (Dollar, versteht sich) hoch. Die Unterschiede der Konzerne sieht man als besondere Stärke, da beide Unternehmen sich ergänzten.
    Doch die Schwierigkeiten fangen bei der Firmenphilosophie an und enden nicht bei den unterschiedlichen Mentalitäten. Ein Mercedes hat immer den Anspruch, ein ingenieurtechnisches Gesamtkunstwerk zu sein; ein Chrysler oder Dodge ist eine Blechkiste, die einen von Punkt A zu Punkt B bringen soll. Im schlimmsten Fall werden die Chryslers teurer und die Mercedes' schlechter.

    Diversifizierung ist out

    Immerhin zeigt der Daimler-Chrysler-Deal, daß sich die Stoßrichtung von Firmenzusammenschlüssen geändert hat. Noch in den 80er Jahren wollte Daimler mit der Übernahme der maroden AEG und des Rüstungskonzerns MBB ein "integrierter Technologiekonzern" werden. Die Idee war, den Konzern durch Diversifikation im High-Tech-Bereich krisenfest zu machen. Wenn Autos nicht liefen, sollten Spülmaschinen und Jagdflugzeuge die Rendite bringen.
    Alles Schnee von gestern. Die Fusionen haben nicht das Ziel der Diversifikation, also der Erschließung neuer Geschäftsfelder, sondern die "Kerngeschäftsfelder" sollen konkurrenzfähiger werden. Hoechst ist der krasseste Fall. Die Diversifikationen der 70er und 80er Jahre werden heute rückgängig gemacht, wie die Trennung von Celanese zeigt. Nicht Größenwahn diktiert das Treiben des Vorstandes, sondern der feste Entschluß, Hoechst zu einem reinen "Life-Sciences"-Konzern zu machen. Dabei wird weit mehr Umsatz abgestoßen als neuer hinzugekauft.

    Bayer

    Noch Anfang der achtziger Jahre erklärten Manager der Leverkusener Bayer AG stolz, ihr Unternehmen sei "das bestdiversifizierte der Welt". Heute wäre diese Aussage undenkbar. Bayer definiert den eigenen Kernbereich zwar erheblich weiter als Hoechst, aber auch hier werden Randbereiche abgestoßen, wie man auch in Leverkusen immer wieder schmerzhaft erfährt (der Agfa-Börsengang rückt näher).
    Bayer konzentriert sich auf die profitableren Chemiebereiche und natürlich auch auf die "Life Sciences", wo man in der glücklichen Lage ist, über mehr Knüller-Präparate (Adalat, Ciprobay, Aspirin/Alka-Seltzer etc.) zu verfügen als Hoechst. Auch soll die "Produkte-Pipline" besser gefüllt sein als beim Frankfurter Konkurrenten. Daher ist die Fusionsphantasie bei Bayer nicht so ausgeprägt.
    Trotzdem sollte man sich auch in Leverkusen nicht wundern, wenn man eines Tages aufwacht und für einen Konzern mit einem Namen arbeitet, der eher zu einem neuen Mittelklassemodell eines besonders phantasielosen japanischen oder koreanischen Autoherstellers paßt als zu einem traditionsreichen Chemieunternehmen.