Editorial

Regierungs-GAU

...denn sie wissen nicht, was sie wollen.

Nur selten folgt auf die Euphorie nach einem Regierungswechsel so schnell die Ernüchterung, wie es derzeit in Deutschland der Fall ist. Schon wenige Wochen nach der Machtübergabe sind die Hoffnungen, die viele Wähler in Schröder, Lafontaine, Fischer & Co. gesetzt hatten, zerstoben. Selbst von wichtigen Politikern aus den eigenen Reihen muß sich die rot-grüne Bundesregierung wie jüngst bei der Diskussion um die Zukunft der 620-DM-Jobs Schelte gefallen lassen.

Keinen Plan

Tatsächlich ist das Theater um die Billigjobs das beste Anschauungsobjekt für das große Problem der neuen Koalition: Planlosigkeit! Vor der Wahl hieß es, man wolle diese Art der Teilzeitbeschäftigung soweit wie möglich eindämmen. Für die Arbeitgeber seien 620-DM-Kräfte billige Arbeitskräfte, da sie für diese nur eine Pauschalsteuer und keine Sozialabgaben zahlen müßten. Während sich die Bonzen bereicherten, verdiene sich der kleine Mann bei seiner "Fronarbeit" noch nicht einmal Rentenansprüche!
Irgendwann dämmerte es Rot-Grün aber, daß diese Schlußfolgerung weit von der Realität entfernt lag. Die Billigjobs erfreuen sich gerade beim klassischen Klientel der Linken, dem kleinen Mann, hoher Beliebtheit. Sie stellen die Möglichkeit dar, auf legale Weise sich etwas ohne Lohneinbußen durch Sozialabgaben dazuverdienen zu können. Die neue Devise lautete daher: "Kommando kehrt! Die 620-DM-Jobs müssen bleiben." Um sie sozialverträglicher zu machen, mußte aber trotzdem am Status quo etwas geändert werden. So sollen die Arbeitgeber nun Beiträge zur Sozialversicherung abführen. Zum Ausgleich soll dagegen nun keine Pauschalsteuer mehr vom Arbeitgeber bezahlt werden.
Bei diesem neuen Vorschlag hätten nicht nur die Bundesländer das Nachsehen. Die Einnahmen aus der Pauschalsteuer für die Billigjobs sind in den Bundesländern ein fester Haushaltsposten gewesen, der nun wegfallen würden. Dafür mußte sich Schröder die Kritik seiner sozialdemokratischen Länderchefs gefallen lassen. Während für die Arbeitgeber die neue Regelung ein Nullsummenspiel wäre, hätten aber auch die Arbeitnehmer nichts davon. Entgegen den von der Wahl erweckten Hoffnungen erwirkten sie sich durch ihre neuerdings sozialversicherungspflichtige Arbeit keine Ansprüche. Wer nach einer solchen Tätigkeit eine Rente beziehen möchte, müßte vielmehr kräftig aus der eigenen Tasche zuzahlen.

Totgeburt "Öko-Steuer"

Auch ein anderes Projekt, was die Regierung schnell in Angriff genommen hat, erweist sich als Totgeburt: die "Öko-Steuerreform". Im Wahlkampf noch als die Erlösungstat für die Umwelt angepriesen, erweist sich die ganze Sache nun als zahnloser Greis: ein bißchen Mineralölsteuererhöhung und ein bißchen Energiesteuer, wovon die großen Verbraucher aber wiederum ausgenommen sind.
Die Idee, sparsamen Umgang mit Energie über einen höheren Energiepreis zu fördern, ist durchaus diskutabel. Das Konzept kann aber nur dann wirklich eine für die Umwelt spürbare Wirkung zeigen, wenn gerade den Großverbrauchern (und damit auch Großverschmutzern) das Sparen beigebracht würde. Welch ökologisch fragwürdige Blüten das rot-grüne Stückwerk mit seinen falschen Ausnahmen bringt, zeigen die Überlegungen der Deutschen Bahn AG. Während diese nämlich von der Energiesteuer voll betroffen wäre, bleibe die Luftfahrt mit weiterhin steuerfreiem Flugbenzin bei den Belastungen außen vor. So kann man ein Umsteigen von Reisenden auf die emissionsärmere Bahn sicher nicht fördern!
Abgesehen von ihren ökologisch fragwürdigen Auswirkungen wird sich die "Öko-Steuer" auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt kontraproduktiv zeigen. Denn im Gegensatz zur Großindustrie werden die kleinen und mittleren Unternehmen durch die Energiesteuer belastet. Gerade bei diesen Unternehmen sehen Experten aber das größte Potential zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
Außerdem: Auf die wirklich große und umfassende Steuerreform, die das Finanzsystem durch Streichung von Subventionen und Schließen von Steuerschlupflöchern einfacher und gerechter machen würde, müssen die Steuerzahler wohl noch lange warten.

Üben?

Die Liste der Fehlgriffe, die Schröder, Lafontaine, Fischer & Co. an ihren ersten Arbeitstagen geleistet haben ließe sich noch fortsetzen, zum Beispiel mit den Äußerungen des neuen Außenministers zur NATO-Strategie. Über eins sind sich die Experten selbst bis in die Reihen der neuen Koalition hinein auf jeden Fall einig: Die ist ein klassischer Fehlstart!
Das Vorgehen der neuen Regierung mutet wie das eines Kleinkindes beim Erlernen der ersten Schritte an: mal ein Schritt hierhin, mal ein Schritt dahin, und dann -plumps - wieder auf dem Hinterteil gelandet. Schon reklamieren den neuen Machthabern wohlgesonnene Kreise, daß man diesen eine 100-Tage-Schonfrist zugestehen müsse. Frei nach dem Motto "Jeder kann sich mal irren" sind wohl auch die Äußerungen von Kanzler Schröder aufzufassen, in denen er "handwerkliche Fehler" eingesteht. Man fragt sich, ob sich der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen der Tatsache bewußt ist, daß seine neue Tätigkeit als Bundeskanzler kein Sandkastenspiel ist, bei dem man überall mal ein bißchen rumprobieren kann.
Was für eine Aussicht! Deutschland, Europa und die Welt stehen vor tiefgreifenden Veränderungen: Einführung des Euro, NATO- und EU-Ost-Erweiterung, die Globalisierung. Und der Kanzler und seine Minister müssen erst mal das Regieren lernen, sozusagen mit reFörmchen im Sandkasten üben.

M.W.