Politik

Geringfügigkeiten

620-Mark-Jobs: Reformen ja, aber wie?

In der abgewählten CDU/CSU-geführten Bundesregierung war es vor allen Dingen der kleinere Koalitionspartner F.D.P., der sich im Sinne von Wirtschaft und Industrie als Gralshüter der beitragsfreien Arbeitsverhältnisse aufspielte, während Teile der Union und hier vor allen Dingen der Arbeitnehmerflügel unter Führung der Sozialausschüsse, auf diesem Feld durchaus Handlungsbedarf sahen.
Die Rede ist von den sogenannten geringfügig Beschäftigten, die auf 620-DM-Basis (in den neuen Bundesländern 520 DM) bis zu fünfzehn Stunden wöchentlich einer gewöhnlich einfachen, angelernten Tätigkeit nachgehen.

Keine Sozialversicherungsbeiträge

Für diese Arbeitsverhältnisse braucht der jeweilige Arbeitgeber bislang lediglich zwanzig Prozent pauschale Lohnsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag an den Fiskus abzufahren. Beiträge zur Sozialversicherung entfallen, daher erwachsen dem geringfügig Beschäftigten auch keinerlei Ansprüche hinsichtlich Renten- und Krankenversicherung.
Bereits vor der Bundestagswahl war es das erklärte Ziel der heutigen rot-grünen Koalition, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse künftig der Beitragspflicht zu unterwerfen und diese damit schließlich und letztendlich erheblich zu verteuern.
Jetzt, wo die Tinte unter der rot-grünen Koalitionsvereinbarung gerade einmal trocken ist, will man sich der Sache sogleich annehmen. Wie dies jedoch vonstatten gehen soll, läßt die Koalitionsvereinbarung, wie so vieles andere eben auch, offen.
Dabei herrscht noch nicht einmal Klarheit darüber, wieviele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse es in der Bundesrepublik Überhaupt gibt. Während das Statistische Bundesamt von einer Untergrenze von 2,2 Millionen geringfügig Beschäftigter ausgeht, hat das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums vor einem Jahr die Zahl von 5,6 Millionen ermittelt.

Die Stütze ganzer Branchen

Wie dem auch sei, in den vergangenen Jahren hat die Zahl der beitragsfreien Stellen sprunghaft zugenommen, wobei Frauen in dieser Gruppe bei weitem die Mehrzahl der Beschäftigten ausmachen.
In der Tat stützen sich mittlerweile ganze Branchen, vornehmlich des Dienstleistungsgewerbes, auf geringfügig beschäftigte Arbeitskräfte.
Gerade dies jedoch läuft dem eigentlichen Sinn und Zweck solcher Arbeitsverhältnisse entgegen. Ursprünglich war daran gedacht, damit die Abdeckung kurzfristiger Spitzen in der Industrie zu gewährleisten, Urlaubsvertretung abzuwickeln oder dem Bedarf bestimmter Wirtschaftszweige wie Gastronomie oder Zeitungszustellung entgegenzukommen.
Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sollten demnach eine Ergänzung von regulären Arbeitsverhältnissen sein und eben kein Ersatz dafür.
Der Ausnahmefall wurde mehr und mehr zum Regelfall. Ein geradezu klassisches Beispiel hierfür gibt das Gebäudereinigungsgewerbe ab, wo zudem fast ausschließlich Frauen als geringfügig beschäftigte Arbeitskräfte eingesetzt werden. Bei dem auf diesem Sektor tätigen Firmen, zumeist in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, handelt es sich um Ein-Mann-Unternehmen, die neben dem Inhaber allenfalls noch ein oder zwei Vollzeitkräfte beschäftigen.
Deren Aufgabe besteht dann darin, in einzelnen Objekten, für die entsprechende zeitlich befristete Reinigungsverträge bestehen, die auf 620-DM-Basis beschäftigten Arbeitnehmer einzuweisen, zu überwachen und gegebenenfalls gleich zu heuern und zu feuern. Ergänzt wird die Vertragsreinigung ab und an durch einzelne Grund- und Bautenreinigung, für die dann jeweils kurzfristig weitere Aushilfskräfte zusammengezogen oder besonders rekrutiert werden.

Beachtliche Gewinnspannen

Die Inhaber solcher Gebäudereinigungsfirmen betätigen sich im wesentlichen also als Vermittler und Koordinatoren. Wenngleich die Konkurrenz auf diesem Gebiet auch ziemlich hart ist, sind die Gewinnspannen im Einzelfall für den Unternehmer recht beachtlich.
Dabei könnte je nach Auftragslage eine solche Gebäudereinigungsfirma auch überwiegend mit beitragspflichtigen Vollzeitkräften gefahren werden, denen geringfügig beschäftigte Kräfte gegebenenfalls zur Aushilfe und Ergänzung zur Verfügung stünden. Dies jedoch würde für den Unternehmer zu einem deutlich spürbaren Gewinneinbruch führen.
Ein anderes weites Feld für geringfügig Beschäftigte ist das Taxigewerbe. Hier kommt allerdings der Umstand hinzu, daß die Einnahmen, die ein Taxi erbringt, kaum noch die Kosten von Vollzeitfahrern deckt. Der Regelfall Vollzeitkraft ist hier schon längst zum berühmten Ausnahmefall geworden. Ähnlich wie bei der Gastronomie, wo speziell das Saisongeschäft weitestgehend mit Aushilfskräften bewältigt wird.
Daneben gibt es natürlich auch Tätigkeiten, die schlechthin nur auf 620-DM-Basis abgedeckt werden können, wie eben die Zeitungszustellung, die sich auf maximal auf zwei bis drei Stunden am frühen Morgen beschränkt.
Was freilich den Vorsitzenden der zuständigen Fachgewerkschaft IG Medien nicht daran hindert, die vollkommene Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung zu fordern, womit dann ein wesentlicher Vertriebsweg für Printmedien Arbeitsplatzplatzverluste nicht nur bei den Zustellern nach sich ziehen würde.
Das Problem ist also sehr vielschichtig und wird kaum durch einen einzigen Federstrich zu lösen sein. Aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer kommt noch hinzu, daß viele auch auf eine Beitragspflichtigkeit ihrer geringfügigen Beschäftigung keinen Wert legen, da ihre Aushilfstätigkeit lediglich ein Zubrot darstellt. Ein Zubrot, auf das viele freilich mitunter auch dringend angewiesen sind und welches durch die geplante Beitragsunterwerfung unter Umständen für sie gar gänzlich in Frage gestellt werden kann.

Begehrlichkeiten

Die Einbeziehung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in die Beitragspflicht weckt in der neuen rot-grünen Koalition allerdings zunächst einmal die Begehrlichkeit, mit den daraus erzielten kurzfristigen Einnahmen die Rücknahme der von der vorherigen Bundesregierung beschlossenen Rentenreform zu finanzieren.
Die hehren Motive, Vollzeitarbeitsplätze schaffen zu wollen, sind demzufolge erst zweitrangig. Dies würde sich jedoch mittel- bis langfristig als Bumerang erweisen, denn für die entrichteten Rentenbeiträge würden später nicht nur Anwartschaften auf Rentenbezüge erwachsen, sondern es erwachsen von heute auf morgen Ansprüche auf Rehabilitationsleistungen. Unter dem Strich würde man dadurch lediglich ein kurzfristiges Strohfeuer in Form von Beitragseinnahmen erzielen, die später vermutlich durch größere Ausgaben zu Mehrbelastungen der Rentenkassen führten.

Strohfeuer?

Die zugunsten der Krankenkassen zu entrichtenden Beiträge würden der Solidargemeinschaft der Versicherten allerdings teuer zu stehen kommen.
Denn für minimale Beiträge erwüchse ein voller Krankenversicherungsschutz. Dabei sind ohnehin annähernd hundert Prozent aller geringfügig Beschäftigten anderweitig krankenversichert, so daß sich diese Frage ohnehin praktisch nicht stellt.
Frühere Gesetzentwürfe der SPD sahen vor, die Höhe der beitragsfreien Bezüge unter hundert Mark zu belassen, während der Deutsche Gewerkschaftsbund derzeit eine Höhe von bis zu zweihundert Mark in die Diskussion eingebracht hat.
Primäres Ziel einer Reform der beitragsfreien Arbeitsverhältnisse muß ganz klar die Eindämmung des Mißbrauchs dieses Instruments bleiben, die Erzielung von Beitragseinnahmen darf nicht im Mittelpunkt stehen.
Ein völliger Verzicht auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse kann denn auch zur Gefährdung von sozialversicherungspflichtigen Stellen führen. In den Bereichen, wo kein Saisongeschäft und kein definierter spezifischer Bedarf besteht, sollten derartige Tätigkeiten auf 620-DM-Basis an einer Quote festgemacht werden, die sich an der Zahl der jeweils beitragspflichtigen Arbeitsverhältnisse des jeweiligen Betriebes beziehungsweise Unternehmens orientiert.

Ulrich Müller