Politik

Die rasende Rohrpost: Besser als ihr Ruf

Das Untersuchungsergebnis des ICE-Unglücks von Eschede liegt vor

Das Unternehmen Zukunft, die Deutsche Bahn AG, kommt nicht aus den Schlagzeilen. Gut drei Monate nach der Katastrophe von Eschede reißen die Meldungen über vermeintliche Pannen bei den InterCityExpress-Triebzügen (ICE) nicht ab.
Indes, alle wegen vermeintlicher Auffälligkeiten aus dem Verkehr gezogenen ICE-Züge erwiesen sich im nachhinein als technisch einwandfrei.
Spätestens nach dem Absturz der Swissair-Maschine vor Halifax (Kanada), dem 229 Menschen zum Opfer fielen, relativieren sich die hundert Todesopfer von Eschede, was das bislang folgenschwerste Eisenbahnunglück jedoch auf keinen Fall verharmlosen soll. Jedes Unfallopfer ist und bleibt ein Opfer zuviel.

Sicherster Verkehr

Dennoch bleibt der schienengebundene Verkehr die sicherste Art der Fortbewegung. Auch und gerade was den Hochgeschwindigkeitsverkehr anbelangt. Denn eigentlich spricht der Ablauf des Unglücks von Eschede für das Hochgeschwindigkeitssystem ICE.
Was schließlich zu dem verheerenden Verlauf des Unglücks führte, war letztendlich eine Verkettung unglücklicher Umstände. Als Ursache für das Unglück steht ein gebrochener Radreifen eines gummigefederten Radsatzes der Bauart 064 außer Zweifel.
Bei einem Radreifen handelt es sich um ein auf die Radscheibe aufgezogenes Metallband, das die eigentliche Lauffläche darstellt. Zur Reduzierung von Resonanzerscheinungen der Wagenkästen waren die betreffenden Radreifen zudem gummigefedert. Stichwort Fahrkomfort.
Ein solcher Radreifen brach laut Bericht des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) rund sechs Kilometer vor der Unfallstelle, löste sich nach etwa 200 bis 300 Metern von der Radscheibe, wurde aufgebogen und verkeilte sich im Drehgestell. Der Zug fuhr dann trotz des fehlenden Radreifens über eine Strecke von fünfeinhalb Kilometern stabil, ohne zu entgleisen.
Im Bahnhof Eschede, etwa 200 Meter vor der Unglückstelle, verhakte sich der Radreifen in einem schienenförmigen Bauteil der Weiche 2, einem sogenannten Radlenker. Dieser wurde dadurch abgesprengt und in das Innere des ersten Mittelwagens gestoßen. Dabei brach ein Teil ab. Vermutlich durch die Wucht dieses Aufpralls wurde der schadhafte Radsatz nach rechts abgelenkt. Dadurch glitt die Radscheibe, bei der sich der Radreifen gelöst hatte, vom Schienenkopf ab. Das gegenüberliegende, linke Rad entgleiste und traf nach ca. 120 Metern auf die abliegende Zunge der Weiche 3. Durch die Wucht des Aufpralls wurde die Weiche in Rechtslage umgestellt.

Unglückliche Konstellation

Dadurch entgleisten nach dem ersten Mittelwagen auch die folgenden Wagen, wobei sich der dritte Wagen unter der Eisenbahnunterführung querstellte und mit seinem hinteren Ende die Pfeiler der Brücke wegschlug.
Und dem Gewicht einer Betonbrückenkonstruktion kann wohl kaum ein Fahrzeug trotzen. Vermutlich wäre der losgelöste Radreifen ohne solch tragische Folgen geblieben, wäre im Bereich des Bahnhofs Eschede nicht diese Konstellation der beiden Weichen und die unmittelbar danach die Bahnlinie überspannende Straßenüberführung vorhanden gewesen.
Vieles spricht dafür, daß der ICE noch über Kilometer die Spur gehalten hätte, bis irgendwann einmal der Zug, womöglich durch eine von Fahrgästen ausgelöste Notbremsung, zum Stehen gekommen wäre.
Daß über die bordeigene Systemüberwachung des ICE zwar defekte Kaffeemaschinen im Speisewagen oder blockierte Vakuumtoiletten gemeldet, derartige schwerwiegende mechanische Defekte jedoch nicht erfaßt werden können, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Abhilfe möglich

Wobei Abhilfe hier durchaus möglich ist. Nicht zuletzt dienen solche Unglücke auch dazu, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Die Umrüstung der ICE auf sogenannte Monoblocksätze mag einstweilen die aufgebrachten Gemüter beruhigen. Es sind jedoch auch Fälle kompletter Brüche dieser radreifenlosen Alternative bekannt. Überhaupt waren Probleme mit Eisenbahnrädern bislang mehr ein Problem der gewichtsmäßigen als der durch Geschwindigkeit verursachten Belastung.
Nun kann man sicherlich über den Sinn eines künftig gar 330 km/h schnellen Hochgeschwindigkeitsverkehrs trefflich streiten, der zukünftig die Abstände zwischen den einzelnen bedeutenden Städten in der Bundesrepublik auf Stundenbruchteile reduziert.

Steuerbefreites Flugbenzin

Die dafür zu errichtende Infrastruktur ist milliardenschwer, was die derzeit im Bau befindliche Schnellbahnverbindung zwischen Köln und Frankfurt beweist, die zudem noch überwiegend in Tunnellage verläuft.
Hier jedoch die Sinnfrage zu stellen bedeutet schlichtweg unsere Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft - in einer sich zunehmend globalisierenden Weltwirtschaft - in Frage zu stellen.
Mittelfristig muß mit dem ICE eine flächendeckende Alternative bestehen, die den innerdeutschen Flugverkehr mit seiner äußerst ungünstig ausfallenden Umweltbilanz und dem steuerbefreiten Flugbenzin entbehrlich macht. Schließlich gilt es, wesentliche Anteile des motorisierten Individualverkehrs von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Auch wenn bei der Nutzung des ICE der Eindruck entsteht, mehr in einer Rohrpost zu sitzen als in der guten alten Eisenbahn. Aber dies ist der Preis des technischen Fortschritts, ohne den das Rad-Schiene-System zukünftig nicht mehr auf dem Markt bestehen kann.