Politik

Kritik der reinen Lehre

Oder: Wenn Ideologie über den Verstand siegt

Kaum ist die Bundestagswahl entschieden, schon fallen die ersten Masken, die während des Wahlkampfes mühsam das wahre Antlitz verborgen haben. Der Verteilungskampf um Posten und Pöstchen läuft, dem Wähler werden die ersten uminterpretierten und der Ideologie angepaßten Wahlversprechen präsentiert. Vermutlich werden noch manche Kröten auf dem Tisch des Hauses zum Schlucken vorgelegt. Anhand von zwei unterschiedlichen Politikern sei der flexible Umgang mit der Realität, geschweige denn mit (Wahl)"versprechen" vorgeführt.

1. Oskar Lafontaine

Der Saar-Napoleon scheint seinem Vorbild immer mehr nachzueifern. Er muß sich schon die Frage gefallen lassen, ob seine geplante Ämterhäufung im Bundeskabinett - er soll das Finanzressort übernehmen, dem entscheidende Teile des Wirtschaftsministeriums angeschlossen sind (die Übernahme der kompletten Europaabteilung des Auswärtigen Amtes konnte Joschka Fischer verhindern) - allein mit seiner soliden Fachkenntnis und somit mit Unabkömmlichkeit zu erklären oder aber ob dieses "Ämterraffen" nicht vielleicht ein Anzeichen für Selbstüberschätzung ist.
Als Vertreter der reinen Lehre - es fragt sich aber welcher Lehre - besteht Oskar Lafontaine als Parteichef der SPD auf seinem Einfluß. Die Wähler mögen zwar Gerhard Schröder gewählt haben, aber im Doppelpack haben sie auch den Parteichef Lafontaine bekommen. Seine Ansichten über Finanzen und Wirtschaft hat er des öfteren kundgetan, sehr zur Verwunderung der Verantwortlichen der Wirtschaft.
Auch seine jüngsten Äußerungen über eine Zinssenkung, die er von der Bundesbank fordert, zeugen eher von Besessenheit in der Parteilehre als von fundierter Sachkenntnis. Das Zinsniveau in der Bundesrepublik befindet sich zur Zeit auf einem historischem Tiefststand. Eine weitere Senkung würde keinen Sinn ergeben, schon heute lohnt es sich nicht, Geld anzulegen und sind Kredite ausgesprochen günstig.
Andere europäische Finanzminister lehnen eine Senkung der Zinsen ebenfalls ab, genauso wie das Gremium der G7. Doch dieses ficht den Vertreter der reinen Lehre nicht an; er fühlt sich - mal wieder - mißverstanden, Oskar gegen den Rest der Welt. Es wird interessant werden, was Oskar Lafontaine als "Superminister" noch anrichten wird.

2. Bärbel Höhn

Frau Minister führt zur Zeit Koalitionsverhandlungen in Bonn. Das hindert sie aber nicht daran, das gerade erst erstellte Gutachten des Landesoberbergamtes Dortmund abzulehnen. Dieses umfangreiche Gutachten hatte Frau Höhn in der Rekordzeit von nur zwei Stunden durchgearbeitet und für ablehnungswürdig befunden. Denn das Gutachten kommt zu dem - für Frau Minister - fatalen Ergebnis, daß der Braunkohlentagebau Garzweiler II zu genehmigen sei, da keine wasserrechtlichen Bedenken dem entgegenständen.
Frau Höhn sieht dieses natürlich nicht so. Es seien noch längst nicht alle Fragen entschieden, der Tagebau könne nicht genehmigt werden. Denn nicht sein kann, was nicht sein darf.
Das schlimme an der Sache ist nur, daß hier eine staatlich und stattlich alimentierte Ministerin, die auch noch ihren Eid auf die Verfassung geschworen hat, durch ihre Blockadepolitik Steuergelder verschwendet und Arbeitsplätze verhindert.
Da der Steuerzahler erwartungsgemäß nicht auf die Straße geht und demonstriert, bleibt zu hoffen, daß die Bergarbeiter, die seit der letzten Landtagswahl ja auch ein ganz besonderes Verhältnis zu dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rau an den Tag legten, sich hierzu bereit finden.
Vielleicht in Düsseldorf und in Bonn eine hübsche Demonstration wie im letzten Frühjahr in Bonn geschehen. Es bleibt dann abzuwarten, ob der oben bereits erwähnte Herrscher der reinen Lehre Lafontaine wieder Arm in Arm mit den Bergarbeitern gesehen wird.

K.R.