Editorial

Neuanfang

Die Zeit nach Kohl hat mit dem Wahlabend begonnen. Doch aller "Neu"anfang ist schwer. Lange unterdrückte Spannungen treten zutage - wie soll es weitergehen? Íst ein radikaler Neubeginn die einzige Möglichkeit oder sollte der Wechsel des Führungspersonals der CDU behutsam durchgeführt werden?

Trotz des angekündigten Rücktritts von Helmut Kohl als Parteivorsitzender der CDU spielt er weiter auf der Tastatur seines Beziehungsgeflechtes. Genauso einsam und ohne Beratung der Parteigremien, wie er Wolfgang Schäuble als seinen Nachfolger im Kanzleramt auf dem letzten Bundesparteitag ausrief, ganz genauso, getrieben aus eigenem Entschlusse, kürte Kohl seinen Wunschkandidaten Wolfgang Schäuble zu seinem Nachfolger als CDU-Parteivorsitzender.

"D" wie "demokratisch"

Doch erster Unmut regt sich. Die Zeit der Alleingänge scheint vorbei, die Partei und einige Führungskräfte besinnen sich anscheinend auf das im Parteinamen geführte Wort "demokratisch".
Viel zu oft ist in letzter Zeit über die Zukunft der CDU in Kungelrunden oder im Alleingang des Parteivorsitzenden entschieden worden. Herausragende Persönlichkeiten wurden lange Zeit abgestraft und fielen in Ungnade, falls sie dem Parteivorsitzenden gefährlich werden konnten. Kritik am großen Vorsitzenden bezahlte man mit dem Verlust der Parteiämter, siehe z.B. die Fälle Späth, Geißler, Biedenkopf.
Erst in letzter Zeit wurde die Nachfolge ins Spiel gebracht, sinnigerweise vom Parteivorsitzenden selbst. Der Parteitag erfuhr hiervon nichts, erst nach Beendigung der Tagung teilte Helmut Kohl der Presse mit, wen er auserkoren hatte. Der Gedanke der feudalen Erbfolge liegt nicht ganz fern: der König ist tot, es lebe der König.

Nicht unumstritten

Doch die Rolle Wolfgang Schäubles während des Bundestagswahlkampfes ist nicht unumstritten. Sicher ein kluger Kopf und gelegentlicher Querdenker, stürmte er aber auch zu unpassender Zeit mit kontraproduktiven Vorschlägen vor. Auch seine Interviews - der tragische Höhepunkt und Beginn der Selbstabnabelung fand im "Playboy" statt - haben die wahlkämpfenden Mitglieder eher verwirrt als ermutigt. Nach der langen Zeit des Musterschülers erfolgte die Rebellien gegen diesen Ruf zur Unzeit.
Nun soll also Wolfgang Schäuble die Partei aus dem Tal der Tränen herausführen. Allerdings hat der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf zu Recht kritisiert, daß Parteivorsitz und Fraktionsführung in Personalunion verbunden werden sollen. Hier wird wieder alles auf eine Person konzentriert, die Vielfalt der Union kann und wird so nicht deutlich werden. Es bleibt zu hoffen, daß die Herren Rühe, Biedenkopf und die "jungen Wilden" dieses mit dem Parteitag, der ja wählen und nicht nur abnicken soll, dieses zu verhindern wissen.
Und Helmut Kohl? Nun, er wird der Politik erhalten bleiben, als einfaches Mitglied im Bundestag und wahrscheinlich als Ehrenvorsitzender der CDU. Sicherlich, sein Lebenswerk verdient Dank und Anerkennung, sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm sicher.
Aber er soll sich bitte nun aus der Neuordnung der Partei heraushalten und nicht als eine Art "Übervorsitzender" den Neuanfang erschweren oder behindern. Denn dann kann sich die Union auf ähnlich unbequeme 12-16 Jahre in der Opposition einrichten wie vor ihr die SPD.

K.R.