Politik

Macht und Moral

Clintons Schwierigkeiten

Für Nicht-Amerikaner wirkt die Sache völlig grotesk: Ein finanziell und mit Vollmachten unbegrenzt ausgestatteter Sonderstaatsanwalt ist zur Zeit dabei, das Sexualleben des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton und besonders dessen Beziehung zur früheren Praktikantin im Weißen Haus Monica Lewinsky auszuforschen. Dabei spielen inzwischen Details eine Rolle, die verantwortungsvolle Eltern dazu bewegen, ihre allzu wißbegierigen Sprößlinge von den Radio- und Fernsehnachrichten fernzuhalten.

Warum das alles?

Im Anfang war der sogenannte Whitewater-Skandal, eine höchst undurchsichtige Immobilienspekulation, bei denen die Clintons nicht korrekt gehandelt haben sollen. Hinzu kam die Klage einer ehemaligen Regierungsangestellten des Gouverneurs Clinton aus Arkansas, Paula Jones, die ihrem Ex-Boß "sexuelle Belästigung" vorwarf, ein Delikt, das in den USA in den letzten Jahren ziemlich populär geworden ist.
Das Problem ist: Wer ermittelt gegen einen Präsidenten? Der oberste Staatsanwalt des Landes ist gemäß der amerikanischen Verfassung der Justizminister. Doch der verdankt seinen Posten ausschließlich dem Präsidenten. Daher sieht das amerikanischer Recht in diesem Falle einen unabhängigen Sonderstaatsanwalt vor, der völlig unabhängig von Weisungen und ohne finanzielles und zeitliches Limit agieren kann.
Sonderstaatsanwalt gegen Präsident Clinton ist der inzwischen weltweit bekannte Kenneth Starr. Sein Aufgabenbereich sind sowohl die Whitewater-Affäre als auch der Fall Paula Jones.
Das Verhältnis Clinton-Lewinsky ist erst einmal strafrechtlich völlig irrelevant. Kenneth Starr interessiert lediglich, ob dieses Verhältnis Erhellendes für den Paula-Jones-Fall abwirft. Wenn man es sich genau überlegt, also eine Bagatelle.

Das Geständnis

Nach mehreren aufreibenden Monaten, in denen Clintons ursprüngliche Behauptung, ein solches Verhältnis habe es nie gegeben, immer fadenscheiniger wurde, wuchs der juristische Druck. Starr bekam immer mehr Mosaiksteinchen in die Hand, die Clintons Aussage als Lüge aussehen ließen. Schließlich gestand der Präsident der "Grand Jury" und danach in einer Fernsehansprache dem amerikanischen Volk die "nicht angemessene" Beziehung ein und verband dies gleichzeitig mit heftigen Angriffen auf Kenneth Starr.
Clintons hochdotierte Anwälte (angeblich werden deren Honorare den Präsidenten an den Bettelstab bringen) hatten eine Formulierung ausgeheckt, die frühere Aussagen des Präsidenten nicht unbedingt als Meineid erscheinen lassen.
Denn hier droht Clinton weiterer Ungemach: Starr könnte den Präsidenten wegen versuchter Behinderung des Justiz und Anstiftung zum Meineid versuchen zu belangen. (Schließlich hatte Monica Lewinsky früher ebenfalls die Beziehung geleugnet.) Und das wäre ein schwerer wiegender Tatbestand als "sexuelle Belästigung".

Nein, sie spinnen nicht

Für viele in Europa bestätigt das Treiben in den USA alte, liebgewordene Vorurteile: Die Amerikaner sind eine bigotte, moralisierende Gesellschaft, wo Heuchelei und Doppelzüngigkeit stärker ausgeprägt sind als im angeblich wesentlich gelasseneren Europa.
Dem widersprechen allerdings alle Meinungsumfragen. Clintons Politik wird von einer soliden Zweidrittel-Mehrheit der Amerikaner nach wie vor gutgeheißen. Sein Charakter wird allerdings wesentlich kritischer beurteilt. Aber auch Kenneth Starr, Monica Lewinsky und andere Beteiligte sind außerordentlich unpopulär. Lediglich die First Lady Hillary genießt hohen Respekt und auch - obwohl sie sich dagegen sträubt - Mitleid.
Die Amerikaner trennen also auf eine durchaus europäische Weise Politik und Charakter. Doch wie lange noch?

Die große Klammer

Immerhin ist der Präsident der mächtigste Mann der Welt. Er ist gleichzeitig Staatsoberhaupt und Regierungschef der letzten Supermacht.
Aber er kann noch viel mehr sein. Starke Präsidenten wie etwa Roosevelt, Truman, Kennedy oder Reagan waren in der Lage, ihre Landsleute zu inspirieren, den typisch amerikanischen Idealismus anzusprechen und für politische Ziele nutzbar zu machen. Der Präsident ist die letzte große Klammer dieser außerordentlich heterogenen Gesellschaft.

Unfähigkeit

Versagt ein Präsident, ist das für die USA ein viel größeres Problem als für andere Länder. Bill Clinton wird trotz aller Zustimmung zu seiner Politik vermutlich seine Fähigkeit verlieren, seine Landsleute mitzureißen. Er wird nicht mehr in der Lage sein, den mehrheitlich republikanischen Kongreß dank seines Charismas auf seine Seite zu ziehen.
Die Enttäuschung über Clinton ist weniger seiner (offenbar chronischen) Untreue zuzuschreiben, sondern dem Gefühl, daß der erste Mann der Nation eine vergleichsweise belanglose Affäre durch eigene Dummheit und Unehrlichkeit zu einer Krise der Exekutive hat anwachsen lassen. Das ist ein Zeichen von Unfähigkeit.
Natürlich spielt auch Moral eine Rolle in dieser Affäre. Aber weniger Clintons Privatmoral, sondern die ungeschriebene Stellung des Präsidenten als moralische Instanz ist den Amerikanern wichtig. Als Präsident Richard Nixon offensichtlich in den Watergate-Skandal verwickelt war, wurde er zum Rücktritt gezwungen, weil er einfach als Präsident, als Klammer, als moralische Instanz, Mensch und Vorbild untragbar geworden war.

Al Gore und die Republikaner

So weit ist Clinton noch lange nicht, obwohl der Kongreß theoretisch ein Amtsenthebungsverfahren, wenn Kenneth Starr seinen Abschlußbericht fertiggestellt hat, einleiten könnte. Doch die Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus sind zwar in der Mehrheit, doch ein Rücktritt Clintons bedeutete automatisch die Beförderung des Vizepräsidenten Al Gore. Das wäre für die Kongreßmehrheit höchst unwillkommen, hätte der neue Mann dann doch die Chance, mit einem Amtsbonus in die Wahl des Jahres 2000 zu gehen.

"Monica-Raketen"?

Problematisch ist die Affäre durch die Schwächung der amerikanischen Regierung. Der Raketenangriff gegen mutmaßliche Trainingslager und Giftgasfabriken moslemischer Terroristen war sicher kein Versuch, von der Lewinsky-Affäre abzulenken. Ein anderer Präsident hätte vielleicht ähnlich gehandelt. Doch das Motiv, Stärke zu zeigen, um die Gegner der USA weltweit wegen der Lewinsky-Affäre erst gar nicht auf dumme Gedanken kommen zu lassen, dürfte eine Rolle gespielt haben.
Eins steht fest: Die früher ernsthaft gehandelte Idee, Clinton könne im Jahr 2008 noch einmal antreten, ist erledigt.