Politik

Schröders Strategie

Stollmann als Lockvogel für die Mitte

Gerhard Schröder ist ein kluger Mann. Daß mit ur-sozialdemokratischen Themen wie Umverteilung und Klassenkampf in Deutschland kein Blumentopf geschweige denn eine Bundestagswahl zu gewinnen ist, hat er längst begriffen.
Er erhofft sich bei der Bundestagswahl die entscheidenden Stimmen von außerhalb des linken Lagers, aus der Mitte. Wenn es um sein Weiterkommen geht, interessiert ihn Ideologie herzlich wenig. Dies konnte man schon seit längerem an seinem Wandel vom linken Juso-Führer zum Politiker, der sich gern nach alter Unternehmermanier mit Zigarre ablichten läßt, ablesen.
Ganz kalkuliert zu diesem Zwecke des politischen Fortkommens erfolgte auch die Ernennung des Unternehmers Jost Stollmann als Wirtschaftsminister in sein Schattenkabinett. Warum, wenn das Wahlvolk der Politiker längst überdrüssig ist, nicht auch einmal einen Nicht-Politiker für ein Ministeramt aufstellen?

Programm egal...

Seine Distanz zu den Politikern stellte Stollmann demgemäß prompt mit der Äußerung unter Beweis, er kenne noch nicht
einmal das Programm der SPD, für die sein Kabinettschef in spe antritt. Auch sonst sorgte der junge Unternehmer mit seinen Äußerungen für einigen Wirbel in Schröders Partei. Hier seien nur seine Äußerungen zum Subventionsabbau erwähnt.
Unterstützungen wie z.B. für die heimische Steinkohle sind aber für viele Genossen in der SPD eine heilige Kuh, die man nicht anfassen darf.
Der Kanzlerkandidat selbst dagegen tat so, als ob er die Aufregung um Stollmanns Äußerungen gar nicht verstünde. Kritische Parteigenossinen, wie z.B. Frau Engelen-Kefer, wurden für ihre Kritik an Schröders Wirtschaftsexperten sogar öffentlich abgewatscht.
Natürlich ist Schröder nicht verwundert über den Tumult in den eigenen Reihen.

...alles egal?

Die Äußerungen seines Schatten-Wirtschaftsministers sind fester Bestandteil seiner Strategie: Auch wenn mancher SPD-Sympathisant schockiert ist über Stollmann, er wird am 27. September trotzdem Schröder wählen, da er ja Kohl loswerden will. Und in der politischen Mitte will der niedersächsische Ministerpräsident mit der unbefangenen Art des Unternehmers Pluspunkte gewinnen: "Warum nicht mal was anderes?"
Doch für den Wähler, der am Wahltag wegen Stollmann das Kreuz bei der SPD machen sollte, könnte der Schuß nach hinten losgehen. Denn selbst für den Fall, daß Schröder den Unternehmer gegen die Linken in seiner Fraktion und gegen die Grünen tatsächlich als Wirtschaftsminister durchsetzen sollte, könnte dieser längst nicht machen was er will. Bei Gesetzesvorhaben hat der Bundestag das letzte Wort, und dort wären (für den Fall eines Sieges von Rot/Grün am 27. September) die Abgeordneten in der Mehrheit, die im Gegensatz zu Jost Stollmann ein Parteibuch besitzen. Selbst bei Erlassen und Verordnungen eines Wirtschaftsministers Stollmann, für die er keine Parlamentszustimmung bräuchte, dürfte der Schröder-Schützling es nicht zu arg treiben. Sonst würde er riskieren, daß sein Chef auf einmal die eigene Fraktion (und Oskar Lafontaine, in welcher Funktion auch immer) gegen sich hätte.
Fazit: Stollmann hin, Schröder her, die SPD ist eine linke Partei. Wer glaubt, mit Schröder und Rot/Grün würde sich im Grunde an der Politik nichts bis auf die neuen Köpfe ändern, der irrt gewaltig.

M.W.