Editorial

Grüne Tanzbären

Öko-Träumer sind aus der Mode

Alternativ wollten sie sein, als sie 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag einzogen. Die Grünen wollten alles anders machen als die sogenannten etablierten Parteien. Ob es das Rotationsverfahren bei der Zusammensetzung der Bundestagsfraktion, der Verzicht auf Personenkult in der Partei oder die Fahrräder, mit denen sie zur Sitzung kamen, waren - man wollte sich einfach absetzen. Nur so glaubte man, Glaubwürdigkeit dem Bürger vermitteln zu können. Besonders hoch gehangen wurde die Basisdemokratie inklusive "imperativem Mandat". Nicht das eigene Gewissen sollte die Abgeordneten bei den Abstimmungen im Parlament leiten, sondern die Voten der grünen Bundeskongresse.

Bauchlandung

Fünfzehn Jahre später. Gerade hat der grüne Länderrat (so etwas wie ein kleiner Parteitag) in Bonn getagt. Er hat ein Kurzprogramm zur Bundestagswahl verabschiedet. So weit nichts besonderes - wäre da nicht erst vor wenigen Monaten der große Parteitag der Öko-Partei gewesen. Und der hatte ein langes Programm beschlossen, in dem mit großem Getöse ein Benzinpreis von fünf Mark pro Liter angekündigt worden war. Doch nach dem jähen Absturz bei der Landtagswahl in Niedersachsen gingen bei den Grünen die Alarmlichter an. Eigentlich hatte man den Sieg bei der Bundestagswahl, Seite an Seite mit Medienstar Gerhard Schröder, schon fest eingeplant. Nun aber mußte man plötzlich um den Einzug ins Parlament bangen.
Deshalb setzte man also den Länderrat auf den Terminplan. Und im Kurzprogramm, in dem die grünen Benzinpreispläne nicht mehr vorkommen, revidierte man eiligst auch die Einstellung zu Bundeswehr und NATO. Nun soll nur noch die Wehrpflicht und nicht mehr die ganze Armee abgeschafft werden. Ein "einseitiger Ausstieg aus der NATO" trifft plötzlich auf die Bedenken der Ex-Ostermarschierer. Und der in der Bevölkerung auf breite Zustimmung treffende Bundeswehr-Einsatz in Bosnien-Herzegowina wird sogar ausdrücklich befürwortet.

Hauptsacher Wählerstimmen

Wen wundert's? Die Grünen haben sich etabliert - und das nicht nur im Kohl-muß-weg-Rufen und mit der (schon vor Jahren vollzogenen) Abschaffung des Rotationsverfahrens. Für den Fall des Wahlsiegs Ende September soll das grüne Schröder-Pendant Joschka Fischer (wer spricht hier von Personenkult?) Außenminister werden. Dazu trägt der weiland erste deutsche Turnschuh-Minister immer öfter Jackett. Wie schön, daß die Grünen zufällig ihr außenpolitisches Gewissen korrigiert haben. Sonst würde der Vizekanzler in spe bei künftigen Verhandlungen mit seinen EU- oder NATO-Kollegen wohl in arge Gewissensnöte kommen. Basisdemokratie? - Wen interessiert denn so etwas noch? Macht ist alles!
Wie gut, daß die Grünen sich bei der Landtagswahl in Bayern (die letzte vor der Bundestagswahl am 27. September) sowieso nicht viel ausrechnen. Wer weiß, worauf man sonst noch alles käme. Vielleicht würden sie beschließen, sich noch Ringe durch Nase ziehen zu lassen und, von "Kaiser" Franz Beckenbauer an der Kette über den Münchener Marienplatz geführt, "Patrona Bavariae" zu singen...

M.W.