Politik

Europäisch bahnfahren

Mit dem Thalys nach Paris

Obgleich sich die Deutsche Bahn AG schon seit längerem mit dem Slogan "Unternehmen Zukunft" schmückt, war ebendiese Zukunft bisher am Rheinland vorbeigefahren. Während zwischen Hamburg und Frankfurt und weiter Richtung Stuttgart/München schon seit 1991 ein regelmäßiger Hochgeschwindigkeitsverkehr mit dem ICE besteht, konnte man an Rhein und Ruhr nur InterCity bzw. EuroCity fahren.

Fahren mit angezogener Bremse

Auch die Tatsache, daß in den letzten Jahren vermehrt ICE-Züge die Strecken zwischen Köln und Dortmund befuhren, brachte den Bahnkunden kaum Zeitersparnis, da die ICEs ihre Spitzengeschwindigkeiten von weit über 200 km/h auf den alten Trassen in NRW, wie ein Porsche in der verkehrsberuhigten Zone, nicht ausfahren können. Echten Hochgeschwindigkeitsverkehr wird es erst geben, wenn die derzeit im Bau befindliche Trasse zwischen Köln und Frankfurt in Betrieb gehen wird. In Sachen Bahnfahren ist Deutschland längst nicht in der Spitzenreiterrolle, die man gerne in Europa einnehmen würde. Im Nachbarland Frankreich ist der Schnellverkehr mit dem TGV (train à grande vitesse) schon seit den achtziger Jahren an der Tagesordnung.

Paris näher als Berlin

Der Neubaustrecke Paris-Lyon folgten andere Streckenabschnitte von der Hauptstadt an den Atlantik und im Zuge des Tunnelbaus unter dem Ärmelkanal auch in den Norden des Landes. Seit Ende letzten Jahres können nun auch die Bürger von Rhein und Ruhr vom TGV profitieren. Mit dem Thalys geht es jetzt in gerade vier Stunden und zwei Minuten von Köln nach Paris, und dies siebenmal täglich. Damit ist die Hauptstadt des ehemaligen "Erbfeindes" per Bahn vom Rhein aus schneller zu erreichen als die eigene Hauptstadt Berlin, wohin man mit dem ICE fünfeinhalb Stunden braucht. Die Seine-Metropole wird irgendwann in der Zukunft sogar noch schneller zu erreichen sein: Derzeit kann der Thalys erst hinter Brüssel so richtig Gas geben und die 300 km/h ausfahren. Auf den alten Strecken geht´s mit Geschwindigkeiten bis zu 220 km/h eher gemütlich zu. Eine Schnellfahrstrecke über Köln und Aachen nach Belgien ist aber in Planung.

DB kauft TGVs

Interessant für den Vergleich Deutschland/Frankreich in Bezug auf Innovationen ist ein technisches Detail: In Frankreich, Deutschland und Belgien beruht die Energieversorgung der Züge auf unterschiedlichen Stromsystemen. Früher mußte bei Zügen auf der Strecke Köln-Paris deshalb mehrmals die Lok gewechselt werden, bzw. es wurden Mehrsystemloks eingesetzt. Die im Binnenverkehr in Frankreich und Deutschland eingesetzten TGVs bzw. ICEs sind nur für ein Stromsystem geeignet. Deshalb mußten für einen grenzüberschreitenden Verkehr mit Hochgeschwindigkeitszügen, bei denen die Loks nicht mehr so einfach gewechselt werden können, neue Züge entwickelt werden. Auch hier waren die Franzosen wieder eher am Ball: Während GEC/Alsthom mit dem Thalys die Mehrstrom-Version des TGV auf den Markt brachte, begnügte sich das deutsche Konsortium um den Elektrokonzern Siemens noch mit Ankündigungen. So mußte selbst die Deutsche Bahn AG für den gemeinsamen Schnellverkehr einige Thalys-Garnituren kaufen, anstatt das eigene Paradepferd ICE einzusetzen.

Viele verschiedene Angebote

Doch nun zu den praktischen Aspekten für den Bahnfahrer. Für den Thalys gibt es nicht den sonst bei der Deutschen Bahn gültigen Einheitspreis pro gefahrenem Kilometer plus EC/IC-Zuschlag, sondern viele verschiedene Angebote. Interessant für Leute mit knappem Geldbeutel ist das Angebot von 128 DM pro Person für Hin- und Rückfahrt zwischen Köln und Paris. Dabei ist der Fahrpreis nicht an besondere Termine oder Tageszeiten gebunden, wie dies sonst bei DB-Angeboten üblich ist. Einzige Bedingung ist, daß man bereits beim Kauf der Fahrkarte die Züge für Hin- und Rückfahrt festlegt. (Im Vergleich dazu kostet bereits die einfache Fahrt zweiter Klasse nach Berlin 176 DM.) Es gibt auch besondere Angebote, die über die reine Bahnfahrt hinausgehen, beispielsweise direkte Züge bis zum Euro-Disneyland bei Paris, oder Züge zu besonderen Ausstellungen, wo bereits Métro-Karten und Eintrittskarten ins Museum im Fahrpreis enthalten sind.

Knapper Platz

Vom Aufbau entsprechen die Thalys-Zuggarnituren ganz dem TGV-Konzept: Möglichst viele Fahrgäste sollen in den Zug passen. Der Zug besteht nur aus Großraumabteilen und die Sitzreihen sind im Vergleich zum großzügigen ICE sehr eng hintereinander. Sitzt man an einem der Vierer-Tische, muß man sich mit seinem Gegenüber sehr gut verstehen, falls man die Beine ausstrecken möchte. ICE-Fahrer werden auch die im Sitz integrierten Kopfhörer-Buchsen mit mehreren Musik- und Radioprogrammen zur Auswahl vermissen. Dem Geiz mit dem Platz ist ebenso zu verdanken, daß jeder Wagen nur eine Tür zum Einstieg hat. Fahrgäste, die von anderen Zügen zwei Türen pro Waggon gewohnt sind, verirren sich schnell in den falschen Wagen und sehen ihren vermeintlich reservierten Platz bereits besetzt. Die Wagennumerierung im und auf dem Zug ist einfach zu spärlich. Positiv sind dagegen zwei Telefone pro Zug (eines pro Wagenklasse) sowie ein Babywickelraum zu vermerken.

Der Service

Das übliche Zugrestaurant besteht im Thalys nur aus einer Bar, an der es Getränke und ein kleines Imbißangebot gibt. Man kann sowohl in französischen und belgischen Francs als auch in D-Mark bezahlen, doch tut sich das Bar-Personal mit dem Umrechnen in die entsprechende Währung teilweise recht schwer.

Métro-Fahrschein im Zug kaufen

Ein dickes Plus für den Bar-Service sind die Métro-Fahrscheine, die man bereits dort erwerben kann. Sollte man in Paris wegen eines Anschlußzuges schnell von einem Bahnhof zum anderen müssen, erspart man sich so die lästige Suche nach einem Fahrscheinautomaten und dem passenden Kleingeld. Die Ansagen des Zugbegleitpersonals erfolgen fast durchweg viersprachig (französisch, flämisch, englisch, deutsch), nur in Frankreich scheinen einige Schaffner des Deutschen nicht mächtig zu sein. Ebenfalls viersprachig ist das kostenlos an der Bar erhältliche Journal "Thalyscope". Das gesamte Ambiente im Zug ist gezielt europäisch gehalten. Leider ist der Eisenbahnprovinzialismus noch nicht völlig überwunden: Das Zugbegleitpersonal wechselt immer noch an jeder Grenze. Und dies bedeutet für einen Zug, der nur in Köln, Aachen, Lüttich, Brüssel und Paris hält, fast nach jedem Bahnhof wieder eine komplette Fahrscheinkontrolle, bei der man jedesmal erneut die Tickets rauskramen muß.

M.W.