Editorial

Verkauft? Aber nicht verraten!

Überraschendes Wiedersehen mit der IVL India

Die Informationsverarbeitung Leverkusen GmbH (IVL) wirbelte im Frühjahr 1996 einigen Staub auf - republikweit. Die Fernsehsendung "Focus TV" machte die Pläne des mehrheitlich der Stadt Leverkusen gehörenden Unternehmens bekannt, in Indien eine Tochtergesellschaft zu gründen, um auf diese Weise Kosten zu sparen. Daß jetzt auch noch Städte Arbeitsplätze in Billiglohnländer exportierten, empfand man verständlicherweise als Zumutung.

Verbot ...

Regierungspräsident Franz-Fosef Antwerpes mußte reagieren. Er befand, daß die Gründung dieser ausländischen Tochtergesellschaft weit über die Grenzen hinausging, die kommunalen Unternehmen rechtlich gezogen sind, und unterband das Vorhaben (vgl. POLITEIA 160, April 1996). Vor einigen Wochen machte sich ein POLITEIA-Mitstreiter in einer Mußestunde den Spaß, in verschiedenen Internet-Suchdiensten nach "IVL" und "IVL India" zu forschen. Das Ergebnis war verblüffend - jedenfalls für einen unbedarften Bürger, der sich täglich aus der Zeitung informiert und daher dachte, die IVL India sei eingestellt oder verkauft worden. Immerhin dachte so auch die Landesregierung (s.u.).

... ohne Wirkung

Wer sich einmal den Spaß macht, etwa unter http://www.hindubusinessline.com/bline/1997/04/01/BLFP13.html nachzuschlagen, wird dort in der Internet-Ausgabe der indischen Publikation "Business Line" einen ausführlichen Bericht über die IVL India finden. Dieser Bericht, datiert vom 31. März 1997, beschreibt das Tätigkeitsfeld der IVL India in vielen Einzelheiten. Dort ist auch zu lesen, daß die IVL India 1995 als 100%ige Tochter der IVL GmbH, Leverkusen, gegründet wurde und im April 1996, also gerade zu dem Zeitpunkt von Antwerpes´ Bannstrahl, ihren Betrieb aufnahm.

Enge Verflechtung

Von einem Eigentümerwechsel ist nichts zu lesen. Hingegen wird die extrem enge Verflechtung der IVL India mit der IVL Leverkusen beschrieben:
  • Alle Softwareentwicklungsaufträge kommen aus Deutschland;
  • die Computer der IVLs in Indien und Deutschland sind über Satellit direkt verbunden;
  • die Kommunikation zwischen Indien und Leverkusen erfolgt über ein internes E-Mail-System.
Im selben Artikel werden auch die "IVL-Direktoren" Errens und Michels zitiert, die den Standort Trivandrum im Bundesstaat Kerala wegen seiner Nähe zu leistungsfähigen Entwicklungsinstitutionen rühmen. Noch einmal: Dieser Artikel entstand am 31.3.1997, als die IVL India als Tochter der IVL Leverkusen gerade ein Jahr verboten war.

Jetzt auch noch eine Urenkelin

Wer´s aktueller mag: Unter http://www.ciol.com/newsroom/march98/41.asp, anscheinend ein Internet-Informationsdienst über Informationstechnik in Indien, wird unter dem Datum 17.3.1998 nicht nur weiterhin behauptet, die IVL India sei eine 100%ige Tochter der IVL GmbH - die Hauptmeldung lautet, die IVL India habe ihrerseits eine Tochtergesellschaft gegründet, nämlich die "IVL Software Pvt. Ltd.". Es scheint sich eher um illegitimen Nachwuchs zu handeln, denn kein Verwalter des "Konzerns Stadt" hat die Leverkusener Bürger freudestrahlend über die neue städtische Urenkelin informiert. Eigentümer gesucht Die IVL India ist also lebendiger denn je. Aber wem gehört sie nun? Der IVL GmbH und damit der Stadt? Das wäre Rechtsbruch, kann also nicht sein. Daß die IVL GmbH auf indischen Web-Sites immer noch als Eigentümerin genannt wird, ist wohl vor allem damit zu erklären, daß man es in Indien nicht besser weiß. Kein Wunder, wenn die IVL India ein integraler Teil in der Wertschöpfungskette der IVL GmbH ist. Wurde die IVL India an einen Strohmann verkauft? Aber wer kassiert dann ihre Gewinne oder steht für die Verluste gerade? Der Strohmann wohl kaum, sondern vermutlich die IVL GmbH. Daher dürfte auch diese Möglichkeit rechtlich höchst anfechtbar sein. Vielleicht ist auch der Minderheitsgesellschafter der IVL, die RWE, eingesprungen. Die IVL gehört derzeit zu 40% der Stadt, zu 40% der EVL und zu 20% der RWE - da die EVL wiederum zu jeweils 50% im Besitz der Stadt und der RWE ist, gehört die IVL GmbH durchgerechnet zu 60% der Stadt und zu 40% der RWE. Alles bleibt anders Im Endergebnis "bleibt alles anders" (Herbert Grönemeyer). Die IVL GmbH hat einen kostenträchtigen Teil der Softwareproduktion nach Indien ausgegliedert, was der Regierungspräsident ja eigentlich verhindern wollte. Die IVL India, die sich in der Öffentlichkeit als reine IVL-Tochter darstellt und damit faktisch auch vollkommen recht hat, expandiert emsig. Ob und wie dies auf Rechnung der Leverkusener Steuer- und Gebührenzahler passiert, sollten die Lenker des "Konzerns Stadt" offenlegen. Das Interesse der Bürger und vielleicht auch der Landesregierung und des RP wäre ihnen sicher.

Das sagte die Landesregierung zur IVL India
"Das hatten sich die Stadtväter von Leverkusen so schön vorgestellt: Sanierung des Haushaltes durch Einstieg ins internationale Software-Geschäft. Die NRW-Landesregierung hat der profitablen Idee nun einen Riegel vorgeschoben. Die im Besitz der Stadt befindliche Informationsverarbeitungsgesellschaft IVL, auf Entwicklung und Vermarktung von Computerprogrammen für Kommunalverwaltungen spezialisiert, hatte Anfang des Jahres im südindischen Trivandrum eine Tochtergesellschaft gegründet. Bekanntlich ist Indien zu einem der weltweit führenden Länder in der Entwicklung von Software aufgestiegen. Viele deutsche Unternehmen lassen sich von den meist jungen indischen Computerspezialisten maßgeschneiderte Programme stricken - zu konkurrenzlos günstigen Preisen. Auch die IVL wollte an diesem Geschäft teilhaben. Darf sie aber nicht, beschied nun die Landesregierung mit Hinweis auf die Gemeindeordnung. Die Gründung einer Firma in Indien sei nicht mit der Beschränkung der Kommunen auf örtliche Angelegenheiten zu vereinbaren. Zudem könne kein Zweck darin gesehen werden, "die vergleichsweise günstige Lohnsituation in Indien auszunutzen". Und schließlich könne die Stadt Leverkusen die Firma in Indien nicht ausreichend kontrollieren. Nun müssen die Leverkusener Stadtväter den Laden in Trivandrum wieder schließen und die 15 indischen Mitarbeiter auf die Straße setzen. (...)"
Quelle: Forum Eine Welt, III. Quartal 1996, herausgegeben vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen