Politik

Pünktlichkeit & Präzision

Das Unternehmen Zukunft in der Pünktlichkeitsoffensive

Die Deutsche Bahn AG, das selbsternannte "Unternehmen Zukunft", besinnt sich scheinbar ihrer originären Aufgaben.
Denn bisher machte die Bahn AG seit ihrer Gründung eher mit Projekt- und Grundstücksentwicklungen wie dem Umbau des Hauptbahnhofs Leipzig zum Einkaufscenter oder der geplanten Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde ("Stuttgart 21") und ihrem Einstieg ins Telekommunikationsgeschäft (Mannesmann Arcor) von sich reden, als sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Eisenbahnverkehrs zu konzentrieren.
Vielleicht lag es ja am neuen Vorstandschef der Bahn, Dr. Johannes Ludewig, der die Pünktlichkeit als Markenzeichen der Bahn wiederentdeckt hat und für sein Unternehmen reklamiert.

Negative Schlagzeilen

Seit der Wandlung von der Behörde zum "Unternehmen Zukunft" ließ die Pünktlichkeit zunehmend zu wünschen übrig. Beschwerden häuften sich, die Bahn geriet in negative Schlagzeilen, und in der Fachpresse setzte gar eine breit angelegte Ursachenforschung ein. Auf die Dauer kann sich selbst ein ehemaliges Monopolunternehmen solch eine Negativwerbung nicht erlauben, zumal es an der Schwelle zum Wettbewerb steht und seine Gleis-Trassen auch anderen Anbietern zur Verfügung stellen muß.
Dennoch dauerte es ein Weilchen, bis die Verantwortlichen aufwachten. Dafür geht's nun um so heftiger in die Offensive. Dabei scheut man, Besserung gelobend, nicht einmal die Selbstkritik und tut dies, für jedermann nachzulesen, in ganzseitigen Anzeigen kund, so auch in führenden Blättern wie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Dabei bedient sich das Management der Bahn der unterschiedlichsten Methoden, dieses Ziel zu erreichen. Nicht daß die Ursachen der Verspätungen etwa im unklaren lägen: Unzulänglichkeit der Technik, störanfälliges, weil überaltetes Fahrzeugmaterial, Überschreitung der Aufenthaltszeiten in den Bahnhöfen usw.
Freilich gibt es auch Ursachen, für die man die Bahn nicht verantwortlich machen kann: Anschläge auf Oberleitungen durch Hakenkrallen (vorzugsweise vor Castor-Transporten) oder Suizidfälle. Durchschnittlich nehmen sich täglich vier bis fünf Personen auf den Schienen der Deutschen Bahn AG das Leben.

Motivation

Vehement bestritten wird jedoch, daß die Unzuverlässigkeit der Bahn ihre Ursache in dem massiven und immer noch anhaltenden Personalabbau haben könnte, der mit einem gehörigen Maß Frustration der verbliebenen Beschäftigten einhergeht.
Trotzdem läßt die Führung der Bahn auch bei der Motivation ihrer Mitarbeiter keinen Versuch aus, dem Ziel der minutiösen Einhaltung des Fahrplans näherzukommen. Die "BahnZeit", Mitarbeiterzeitung der Bahn, verkündet Ausgabe für Ausgabe anhand von Zahlen und Graphiken den aktuellen Stand im Verhältnis zu den angestrebten Plandaten. Dagegen nahm sich in der Ex-DDR das damalige Pendant "Fahrt frei", das Organ für die Angehörigen der Deutschen Reichsbahn, noch als nüchterne Betriebszeitung aus.
Aber auch sonst bevorzugt man Methoden, die einen nicht an das nächste Jahrtausend, sondern eher an den verflossenen Arbeiter- und Bauern-Staat erinnern. Zumindest die 4.000 Führungskräfte der Bahn AG müssen bei unzureichender Planerfüllung mit einer Kürzung ihrer Jahresabschlußvergütung rechnen.

Mitarbeiter-Uhr

Die unteren Chargen hingegen dürfen sich seit neuestem mit einer "Mitarbeiter-Uhr" schmücken, deren Zifferblatt das Logo der Bahn AG ziert, und auf der Rückseite sind gar die Worte "PÜNKTLICHKEIT & PRÄZISION" zu lesen, schön dezent im Bahnhofsuhren-Look, von einem Armband aus echtem Leder gehalten.
Mit dem Tragen der Uhr bekennt sich jede(r) Mitarbeiter(in) zu dieser ausgegeben Losung. Es bleibt den geneigten Lesern überlassen, etwa seinen Kundenbetreuer im Nahverkehr, früher bekannt als Schaffner oder Zugführer, darauf anzusprechen, wenn dieser bei der Fahrkartenkontrolle im wieder einmal verspäteten StadtExpress stolz jene Uhr trägt.
Von Verdienst- oder Aktivistenorden unterscheiden sich die Mitarbeiteruhren dadurch, daß sie einen höheren Gebrauchswert haben (immerhin zeigen sie die Uhrzeit an), und sie werden verliehen, bevor das Planziel erreicht ist. Sozusagen Vorschußlorbeeren.
Aber damit noch nicht genug. In insgesamt 20 Hauptbahnhöfen bedeutender großstädtischer Bahnknoten, auch Köln, kann der Bahnkunde den Pünktlichkeitsgrad seiner Züge vom Vortag bundesweit und für seinen jeweiligen Bahnhof an sogenannten "Pünktlichkeitsanzeigern" verfolgen.
Bislang kannte man derart öffentlich plakatierte Planerfüllungszahlen eben nur aus verflossenen Planwirtschaftssystemen. Wer also demnächst in Köln Hauptbahnhof seinen Anschluß infolge einer Zugverspätung verpaßt, kann ja die entstehende Wartezeit mit einem Blick auf den Pünktlichkeitsanzeiger überbrücken. Ob dies jedoch im Einzelfall über die persönliche Betroffenheit hinwegtrösten kann, darf bezweifelt werden.

Lokführer an der Spitze?

Aktionismus allein wird nicht viel bewirken, was mancher Seiteneinsteiger im Bahn-Management früher oder später feststellen wird. Bei der vormaligen Reichsbahn der DDR jedenfalls verfügte selbst ein Direktor über fundierte Kenntnisse des Eisenbahnwesens, hatte sogar die Berechtigung zum Fahren von Triebfahrzeugen.
Vielleicht sollte man bei der Bahn AG etwas weniger Wert auf öffentlichkeitswirksame Aktionen und Marketingmethoden legen und sich statt dessen auf fachspezifische Dinge des Eisenbahnwesens konzentrieren. Der Rest kommt dann vermutlich ganz von alleine, auch was Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit anbelangt.