Editorial

Ausgebrannt

Taugt Helmut Kohl noch zum Kanzlerkandidaten?

Gerhard Schröder hat es uns vorgemacht. Politische Inhalte sind eigentlich Nebensache. Unter dem Motto "das Programm bin ich" gewann der redegewandte und medienbewußte niedersächsische Sozialdemokrat die Wahl und deklassierte den chancenlosen CDU-Spitzenkandidaten Wulff.
Geheimnis des Erfolgs war neben der geschickt inszenierten Schicksalswahl um den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten die "Amerikanisierung" des Wahlkampfes. Das bedeutet, daß das Parteiprogramm stark in den Hintergrund gedrängt und der Spitzenkandidat in den Vordergrund geschoben wird.

Defensive Reaktion

So ist es anzunehmen, daß der sozialdemokratische Bundestagswahlkampf auf ähnliche Weise geführt wird. Interessant ist dann aber die Reaktion seitens der CDU: Statt sich mit Schröder auseinanderzusetzen, scheint das Wahlkampfthema der CDU "5 Mark - mit uns nicht" zu sein. Wir erinnern uns: schon die "Rote Socken"-Kampagne während des letzten Bundestagswahlkampfes hinterließ einen schalen Nachgeschmack, weil man in Oppositionsmanier mehr auf dem Gegner herumdrosch als die eigenen Ziele nannte.
Doch was sind die Ziele von Helmut Kohl? Vergleicht man die Art und Weise, wie Schröder Wahlkampf betreibt, ist auffällig, daß ein Personenwahlkampf, mit Helmut Kohl als Spitzenkandidat um jeden Preis vermieden wird. Diesmal scheint der Kanzlerbonus kein Trumpf zu sein, weil Kohl in allen Umfragen scheinbar hoffnungslos zurückliegt.
Selbst der in der Bevölkerung ziemlich unbeliebte saarländische Ministerpräsident ist am Kanzler vorbeigezogen. Von Schröder ganz zu schweigen. Zu zahlreich sind die aktuellen Probleme dieser Republik, die diese Bundesregierung nicht mehr in den Griff zu bekommen scheint. Der Eindruck beim Wahlvolk ist klar - die Luft ist raus. Selbst in der Union fängt an zu fragen, ob Kohl es denn noch einmal schafft.

Stagnation nicht nur durch SPD

Aufgrund der politischen Stagnation, die sich seit der "Übernahme" des Bundesrates durch eine Mehrheit aus sozialdemokratisch kontrollierten Ländern noch verschärft hat, sehnen sich die Wähler nach einem Neuanfang. So kommt Gerhard Schröder mit seinen opportunen und populistischen Meinungen gerade recht und kopiert damit Tony Blair.
Flankiert wird dieser "Neuanfang" dadurch, daß die SPD auch "alte" Genossen in den politischen Ruhestand schickt, um Platz für neue Köpfe zu machen. Johannes Rau hatte seinen politischen Zenit lange überschritten und er wird mit seinem Rücktritt seinem unfreiwilligen politischen Ende zuvorkommen. Der Effekt ist klar: Neue Leute, neue Politik. Schicksalswahl zwischen Lafontaine und Schröder.

Keine Diskussion um Kanzlerkandidaten

In der CDU fand eine Diskussion um die Kanzlerkandidatur überhaupt nicht statt. Im Gegenteil. Man wird den Eindruck nicht los, daß der CDU-Vorsitzende eines Morgens aufwachte und Lust hatte, "es noch einmal zu machen". Seitdem ist auch nur eine Diskussion, ob nicht ein jüngerer, unverbrauchter Kandidat, der der Bevölkerung wieder einen Weg aus der Krise aufzeigt, völliges Tabuthema. Von Aufbruch und frischem Wind keine Spur.

"Gorbatschow-Effekt"

Im Gegenteil: Es kommt mehr oder weniger zum "Gorbatschow-Effekt". Der bekam seinerzeit die Probleme im Inland auch nicht in den Griff und versuchte dies durch Erfolge im Ausland zu kompensieren. Der Kanzler versucht dies auch. Einzige meßbare Aktivität Kohls scheint nur noch das kompromißlose Durchprügeln des Euro - notfalls auch gegen den Willen der Bevölkerung und gegen den Rat zahlreicher Wirtschaftsfachleute - zu sein.
Der Eindruck, daß sich Kohl mit einem geeinten Europa vor seinem endgültigen Abgang ein Denkmal setzen will und dabei völlig die innerdeutsche Lage ignoriert, wirkt sich verheerend aus. Und es ist fraglich, ob der (zugegeben) äußerst erfolgreiche Wahlkämpfer Kohl diesmal noch rechtzeitig irgendein Kaninchen aus dem Hut zaubert, welches ihm den Hals rettet. Und den Gefallen, daß die SPD wieder einen so farblosen Kandidaten wie Rudolf Scharping aufstellt, wird man ihm nach der Niedersachsenwahl wohl nicht tun. Es sei denn, die Grünen landen noch ein paar aufsehenerregende "Dinger", wie in letzter Zeit.
So gleicht der Wahlkampf wieder einer Belagerung. Hintzes geplante Tankstellenkampagne wird ein ähnlicher Schuß in den Ofen werden wie die "Roten Socken" vor vier Jahren. Das Programm gegen 5 Millionen Arbeitslose lautet Helmut Kohl.

Fazit

Kohl wirkt verbraucht - ähnlich wie Johannes Rau, der seine besten Zeiten ebenfalls hinter sich hat. Diskussion über den CDU-Kandidaten - Fehlanzeige. Während Rau jetzt noch einen relativ ehrenvollen Abschied schafft, hat es Helmut Kohl versäumt, rechtzeitig einen jungen und geeigneten Nachfolger wie Wullf oder Rühe zu präsentieren. Wenn sich die SPD nicht wieder genauso dämlich anstellt wie vor vier Jahren, dann droht die Gefahr, daß die CDU eine ähnliche vernichtende Niederlage einfährt wie in Niedersachsen.
Nicht etwa, weil Gerhard Schröder ein besserer Kandidat mit besserem Programm ist, sondern weil er unverbraucht wirkt und die Bevölkerung ihm einen Neuanfang zutraut. Kohl wird es schwer haben, aus eigener Kraft zu gewinnen.

Jeder nutzt sich mal ab

Eine Diskussion, ob Kohl denn wirklich noch einmal antreten soll, ist dringender denn je. Dies soll nicht seine Verdienste in der Vergangenheit schmälern, doch irgendwann nutzt sich jeder Kandidat ab - auch ein Helmut Kohl.

MiWi