Politik

Abstimmung mit dem Bleifuß?

Sachsens provinzielle Verkehrspolitik

Über die längsten geschichtlichen Abschnitte war es das Schicksal Deutschlands, daß es nicht als einheitliches staatliches Gebilde bestand. Es gab weder ein geschlossenes Staatsgebiet noch ein geeintes Staatsvolk und folglich auch keine davon ausgehende Staatsgewalt.
Statt dessen gab es eine Vielzahl von Ländern und Staaten. Preußen verkörperte von Größe und Bedeutung her vielleicht noch am ehesten einen Teil dessen, was man unter dem Begriff Deutschland subsumieren konnte.
Insofern war auch die 40 Jahre währende und 1990 überwundene deutsche Teilung historisch gesehen nur eine Episode, wenngleich die Radikalität dieser Trennung von Volk und Territorium in der Geschichte ihresgleichen sucht.
Das geeinte Deutschland ist gleichwohl ein föderalistischer Staat, nicht zuletzt aus der Erfahrung der Zeit des Nationalsozialismus heraus. Diktaturen zeichnen sich unter anderem durch einen strikten Zentralismus aus, wie es ihn im übrigen auch in der verflossenen DDR gab. Denn sonst können derartige Systeme auf Dauer keinen Bestand haben.
So wurde nach der Wiedervereinigung auf dem Gebiet der DDR eine Struktur von fünf neuen Ländern errichtet. Zum Erbe der DDR gehörte auch die Deutsche Reichsbahn, die schließlich mit der Deutschen Bundesbahn zur Deutschen Bahn AG fusionierte, was gleichzeitig den Startschuß zur Bahnreform darstellte.

Regionalisierung

Eines der Zauberworte der Bahnreform lautete damals Regionalisierung. Das heißt: Wer bestellt, bezahlt. Die Länder bestellen fortan Verkehrsleistungen im Öffentlichen Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Entweder bei der Deutschen Bahn AG, oder die Leistungen werden ausgeschrieben und an einen anderen Bieter vergeben, der für die Nutzung des Gleiskörpers mit seinen Fahrzeugen ein entsprechendes Entgelt an die Bahn AG entrichten muß.
Neben mehr Wettbewerb und sinkenden Kosten versprach man sich vor allem ein bedarfsgerechteres Fahrplanangebot. Darüber hinaus entsprach diese "Regionalisierung" noch dem föderalistischen Prinzip. Solche Dinge sollten doch wirklich am Ort, auf Länderebene, geregelt werden können.
Doch eines dieser Länder fällt negativ auf, und zwar ausgerechnet jenes, das im übrigen von den fünf neuen Ländern den positivsten Eindruck macht: Sachsen. Mit dem erklärten Eisenbahnfreund Kurt Biedenkopf an der Spitze.
In dessen Kabinett jedoch wirkt der Minister Kajo Schommer, dessen Wirtschaftsministerium für die sächsische Staatsregierung in der Landesverkehrsgesellschaft federführend ist. Für bereits 14 Strecken im sächsischen Netz sind Beförderungsleistungen abbestellt, weitere 14 Strecken sollen folgen. Dem Brachliegen der Gleise folgt damit irgendwann die Demontage, und das Thema SPNV ist endgültig von der Tagesordnung gestrichen.

Fürs Auto entschieden?

Anstatt das Angebot im SPNV zu attraktivieren und dadurch gar mehr Fahrgäste von der Straße für die Schiene zu gewinnen, favorisiert man selbst zur Verwunderung der Bahn AG die Radikallösung der faktischen Stillegung, auch gegen den erbitterten Widerstand der betroffenen Städte und Kreise.
Verkehrsminister Kajo Schommers Devise lautet wie folgt (Zitat): "Die Menschen haben bei uns selbst entschieden, wo sie überwiegend lieber mit dem Auto als mit der Bahn fahren wollen. Das müssen wir respektieren." Die berühmte Abstimmung mit den Füßen scheint in Sachsen für den Wirtschaftsminister demnach mit dem Bleifuß zu erfolgen.
In Sachsen-Anhalt hingegen ist man geradezu auf vorbildhafte Weise um den Erhalt von Strecken bemüht und reaktiviert gar bereits stillgelegte Schienenstränge. Denn die DDR hinterließ mit der Deutschen Reichsbahn ein dichtes Schienennetz, wie es bis dato seinesgleichen auf der Welt suchte.
Nun mag man ob des Gebarens der Sachsen und ihres Wirtschafts- und Verkehrsministers noch den Kopf schütteln, doch diese sogenannte Verkehrspolitik treibt Blüten, die selbst jenseits der sächsischen Grenzen ihren Niederschlag finden. Betroffen sind schließlich die an Sachsen angrenzenden Bundesländer. Diese mühen sich redlich, auf ihrem Gebiet SPNV-Leistungen aufrechtzuerhalten. In einer mobilen Gesellschaft enden Verkehrsverbindungen gewöhnlich jedoch nicht an Ländergrenzen.

Kein Halt in Sachsen

Zudem speist der SPNV ja auch den Fernverkehr der Bahn. Künftig jedoch wird der Regionalexpreß Gera (Thüringen) - Hof (Bayern) auf dem sächsischen Streckenabschnitt nicht mehr halten: Im Transit ohne Halt durch den sächsischen Korridor! Die sächsische Landesverkehrsgesellschaft vermag im möglichen fahrplanmäßigen Halten des Regionalexpreß in ihrem Zuständigkeitsbereich keinen Vorteil für Sachsen zu sehen.
Gleichzeitig leben wir jedoch in einem Europa ohne Grenzen, demnächst mit einer gemeinsamen Währung. Im Kölner Hauptbahnhof kann man täglich den belgischen Schnellverkehrszug Thalys bewundern, der diesseits der Grenze sogar mit deutschem Personal gefahren wird. Nur irgendwo in der sächsischen Provinz scheint man die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden zu haben. Die Kleinstaaterei feiert fröhliche Urständ.